Wir alle wünschen uns, wenn wir krank sind, die beste Versorgung. Wer die Mittel hat, kann sich die besten Ärzte und die neuesten Therapien leisten. Die meisten von uns sind aber auf die öffentliche Gesundheitsversorgung angewiesen. Wie gut und wie zukunftsweisend ist aber unser Gesundheitssystem?
Kostenexplosion, strapazierte Notaufnahmen, Fachkräftemangel, monatelange Wartezeiten, überforderte Hausärzte: das ist die eine Seite. Hochspezialisierte Medizin, sieben Krankenhäuser in bestem Zustand, ein gut aufgebauten Netz an Vorsorge- und Versorgungseinrichtungen vor Ort ist die andere Seite. Trotzdem, der Ruf um Südtirols Gesundheitswesen war wohl noch nie so angegriffen wie zurzeit. Rund 10.000 Mitarbeiter beschäftigt Südtirols Gesundheitswesen. „Sicher, gut und versorgt“, verspricht der Landesgesundheitsplan „Gesundheit 2020“. Mit der Reform des Gesundheitssystems soll qualitativ hochwertige medizinische Versorgung für die Zukunft sichergestellt werden.
Die Herausforderungen sind gewaltig: Bereits heute ist jeder fünfte Südtiroler über 65 Jahre alt, drei Viertel von ihnen leiden an chronischen Krankheiten. Tendenz steigend. Die zentrale Frage lautet: Wie können wir vor diesem Hintergrund die hohe Qualität unserer Gesundheitsleistungen sicherstellen?
Der Landtag boxte kürzlich zwei Gesetzesentwürfe durch: der eine sieht die Reform der Organisationsstruktur des Landesgesundheitsdienstes vor, der andere eine Reihe von Änderungen von Landesgesetzen im Gesundheitsbereich. Vereinheitlicht, verschlankt, vernetzt sei der Sanitätsbetrieb nun geworden, prophezeit Martha Stocker. „Wir setzten auf einen landesweit vernetzten Betrieb mit einheitlichen Abläufen zur medizinischen Betreuung der Menschen, ein Miteinander in der kollegialen Führung und die verstärkte Beteiligung und Mitsprache aller Interessenvertretungen“, unterstreicht die Gesundheitslandesrätin. Das klingt vielversprechend. Dagegen spricht, dass die Unzufriedenheit mit dem Gesundheitssystem zunimmt. Patienten fühlen sich wie Nummern behandelt, Ärzte und Pfleger überfordert, das System bietet kaum Entwicklungsmöglichkeiten und die Zentralisierungstendenzen mit dem Abbau von oft gut gehenden Abteilungen in der Peripherie verunsichern viele. Vor allem aber lässt ein Generaldirektor aufhorchen, der sich manchmal wie ein Elefant im Porzellanladen aufführt.
DIE GROSSE REFORM BLIEB AUF DER STRASSE
Kritik hagelt es von der Opposition. „Aufgeblähte Verwaltung, Abbau der Krankenhäuser, mehr Kosten sind die Schlagworte, mit denen die Sanitätsreform charakterisiert werden kann. Dreiviertel davon betreffen den Generaldirektor, die Manager, das Führungsgremium, die
Bezirksdirektoren, die Gehälter und die Machtfülle des Verwaltungsapparates im Sanitätsbetrieb“, heißt es von den Oppositionsbänken. „Der die Patienten und Gesundheitsversorgung betreffende Teil der Sanitätsreform ist jener, in dem aus sieben Krankenhäusern vier gemacht und die kleinen Krankenhäuser von den großen verschluckt werden“, meint Andreas Pöder von der Union für Südtirol. Gar aus den eigenen Reihen musste die Gesundheitslandesrätin Kritik einstecken. Die Reform sei insgesamt unausgewogen zugunsten des Generaldirektors, meinte Maria Hochgruber Kuenzer. Es werde Zeit brauchen, bis die Menschen wieder Vertrauen in den Gesundheitsdienst schöpfen. „Geht diese Reform wirklich die großen Fragen der Sanität an und berücksichtigt sie die Sorgen der Menschen?“, fragt Brigitte Foppa von den Grünen kritisch.
Was die Menschen beschäftigt, sind nicht die Kompetenzen des Generaldirektors oder die Gehälter der Manager als vielmehr die Sicherstellung einer guten, ganzheitlichen und möglichst wohnortnahen medizinischen Versorgung. Immer mehr Bürger können sich nicht des Eindrucks erwehren, dass es bei der Reform eigentlich nur um Einsparungen geht und einer Zweiklassenmedizin Vorschub geleistet wird
EINE REFORM MUSS ZUM WOHL DER MENSCHEN SEIN
Andreas Fabi kennt Südtirols Gesundheitsbetrieb in- und auswendig. Als Leiter der Personalabteilung und stellvertretender Verwaltungsdirektor im Krankenhaus Bozen, später als Generaldirektor der Sanitätseinheit Meran und schließlich als Generaldirektor des gesamten Südtiroler Sanitätsbetriebs stand er fast sein ganzes Berufsleben im Dienste von Südtirols Gesundheitswesen. Beruf war Andreas Fabi Berufung, und im Mittelpunkt stand der Mensch. Der derzeitigen Gesundheitsreform kann er durchaus etwas abgewinnen, versteht aber auch die Sorgen der Menschen. Ein Gespräch mit dem ehemaligen Generaldirektor.
Herr Dr. Fabi, die Reform des Gesundheitswesens sorgt für Aufregung und verängstigt die Menschen. Zu Recht?
Andreas Fabi: Ich sehe die Reformbemühungen in den Grundzügen durchaus berechtigt und notwendig. Die Materie ist aber derart komplex, dass es sogar für Experten oft schwierig ist, den Durch- und Überblick zu bewahren. Die Verwaltungsabläufe, das Informationssystem und auch Spezialisierungen zu vereinheitlichen, ist nicht nur aus Kostengründen notwendig. Allerdings sollte man nichts mit der Brechstange durchsetzen. Wenn Dinge gut laufen, sollte man sie belassen, wie sie sind. Zentralisierung birgt die Gefahr in sich, dass die Schwächeren bzw. Kleineren auf der Strecke bleiben. Das macht den Menschen Angst. Geduld und sanfte Einschnitte sind oft die besseren Ratgeber.
Geduld braucht es auch bei den Facharztvisiten, die Wartezeiten sind oft monatelang. Muss das sein?
Die langen Wartezeiten sind ein großes Problem. Sie sind nicht mutwillig gemacht und sie zu lösen hängt oft mit vielen Dingen zusammen. Da spielen Facharztmangel und Arbeitszeitgesetze eine Rolle, organisatorische Rahmenbedingungen oder Überlastung vor allem in den Ballungszentren. Mit einer einheitlichen Vormerkstelle könnte man auf die Peripherie ausweichen, allerdings nur für Fachbereiche, die auch dort angeboten werden. Es stand auch im Raum, dem Bürger es freizustellen, einen privaten Facharzt aufzusuchen. Daraus wurde aber leider nichts.
Warum kosten die Untersuchungen oft sehr viel?
Für Facharztvisiten, Röntgen- und Laborleistungen ist eine Kostenbeteiligung vorgesehen. Dass z. B. ein großes Blutbild dem Patienten teuer kommt, hängt von der staatlichen Gesetzgebung ab. Die Ticketpreise sind uns vorgeschrieben. Da kann das Land wenig machen.
Der einfache Bürger sorgt sich, dass wir einer Zweiklassenmedizin zusteuern. Stimmt das?
Gerade in letzter Zeit sind viele private Strukturen im Gesundheitsbereich entstanden. Lange Wartezeiten muss man dort nicht in Kauf nehmen, Ärzte haben mehr Zeit für ihre Patienten, die allerdings die erbrachten Leistungen aus der eigenen Tasche bezahlen. Viele haben mittlerweile dafür eine Privatversicherung. Grundsätzlich finde ich diese Entwicklung nicht falsch, wenn die Erbringung von Gesundheitsleistungen für Selbstzahler bzw. über Privatversicherungen in Privatstrukturen das öffentliche System etwas entlasten. Das muss nicht heißen, dass die privaten Dienste besser sind. Unser Gesundheitssystem kann sich durchaus sehen lassen und das wissen die Menschen auch. Es darf aber in keinem Fall sein, dass man eine gute Gesundheitsleistung in einem zeitlich angemessenen Rahmen nur bekommt, wenn man zahlt.
Warum herrscht dann so viel Missmut in der Öffentlichkeit?
Ich denke, dass die Kommunikation nach außen nicht immer die beste war. Unterschiedliche Aussagen zwischen Politik und Betriebsführung haben immer wieder für Unsicherheit gesorgt. Es wurde angekündigt, widerrufen, anders angekündigt usw. Viele Bürger fürchten um ihre Dienste und eine angemessene öffentliche Gesundheitsbetreuung für die Zukunft. Mitarbeiter in den Krankenhäusern und Diensten fühlen sich oft zu wenig wertgeschätzt. Sie spüren die Hierarchie und sehen für sich kaum Entwicklungsmöglichkeiten. Warum verlassen immer mehr gute Fachärzte den öffentlichen Betrieb? Es ist nicht das Geld. Personalführung ist mehr als nur Personalverwaltung. Einsparungen dürfen nicht auf dem Rücken der mittleren bzw. unteren Mitarbeiterebene erfolgen. Das kommt uns auf Dauer teuer zu stehen.
Was wünschen Sie dem Südtiroler Gesundheitsbetrieb für die Zukunft?
Die Gesundheitsversorgung steht in Südtirol auf guten Beinen. Wir haben schöne Strukturen, beste medizinische Geräte und noch motiviertes und fachlich gutes Personal. Ich würde mir wünschen, dass Mitsprache, kollegiale Entscheidungsfindung und ein Miteinander zum Wohle der Menschen wichtiger sind als reine Zahlen- und Indikatorenverwaltung und ein Qualitätsmanagement nach Lehrbuch. Vor allem aber darf die Wertschätzung gegenüber dem Personal und dem Patienten nicht fehlen.
EIN BLICK VON AUSSEN
Der gebürtige Algunder Univ.-Prof. Lukas Prantl leitet das 2012 von ihm aufgebaute Hochschulzentrum für Plastische und Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie“ in Regensburg.
Die Universitätsklinik und Caritas-Krankenhaus St. Josef arbeiten eng zusammen, was für ganz Ostbayern (25.000 Patienten/Jahr) ambulante Vor- und Nachsorge neben stationärer Versorgung auf universitärem Niveau garantiert. Die „BAZ“ sprach mit dem Südtiroler Chefarzt.
Herr Professor Prantl, was sind wesentliche Merkmale eines gut funktionierenden regionalen öffentlichen Gesundheitswesens?
Lukas Prantl: Laut Weltgesundheitsorganisation gibt es eine Rangordnung für die Beurteilung der öffentlichen Gesundheitssysteme in den europäischen Ländern. Italien schneidet dabei gar nicht so schlecht ab, allerdings sagt diese Bewertung schlussendlich über die Versorgungsqualität des einzelnen Patienten sehr wenig aus. Hohe Versorgungsqualität im Gesundheitswesen beinhaltet unter anderem eine gute Vernetzung der Krankenhäuser mit den Haus- und Fachärzten, den präventiven und rehabilitativen Einrichtungen in der Region. Gute Zusammenarbeit kann die Patientenversorgung effizienter (kürzere Wartezeiten) und kostengünstiger (Vermeidung von Doppeluntersuchungen) gestalten. Schlussendlich profitiert der Patient am meisten, je besser alle Beteiligten im Gesundheitssystem zusammenarbeiten.
Was muss getan werden, damit das öffentliche Gesundheitssystem und eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau auch in Zukunft sichergestellt ist?
Entscheidend für gut funktionierende Gesundheitssysteme ist eine hohe Motivation der Mitarbeiter. Die wichtigste Frage lautet also, wie Motivation und Identifikation mit dem Betrieb langfristig gefördert werden können. Wertschätzung und Leistungsanreize sind meiner Ansicht nach der Schlüssel dazu. Das italienische System berücksichtigt dies zu wenig, indem es kaum Entwicklungsmöglichkeiten bietet.
Südtirol leidet unter akutem Fachkräftemangel. Haben Sie eine Idee, wie man das Problem lösen könnte?
Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder man bietet in Südtirol eine Facharztausbildung selbst an oder man findet Kooperationen mit Kliniken, die eine solche Ausbildung garantieren können. Allerdings muss den Ärzten, die sich im Ausland spezialisieren, dann auch eine adäquate Betätigung im Land ermöglicht werden. Mehrere hoch spezialisierte Südtiroler Ärzte derzeit im Ausland finden in Südtirol keine angemessene Anstellung.
Lässt sich eine Zweiklassenmedizin überhaupt verhindern?
Wenn man sich die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen europaweit ansieht, so wird bald jedem klar, dass eine Maximalversorgung jedes Patienten ohne Kostenexplosion nicht mehr möglich sein wird. Aufgabe des öffentlichen Systems ist es, die bestmögliche Notfall- und eine gute Basisversorgung zu garantieren. Alles was darüber hinausgeht, kann sich in Zukunft das öffentliche System nicht leisten. In Deutschland haben viele Patienten daher eine private Krankenversicherung.
von Josef Prantl