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Schmerz und Freude sind so nah…

Maria Hofer

Vor genau 70 Jahren hat Annemarie Hofer aus Meran ihre Ausbildung zur Hebamme begonnen.

Annemarie Hofer wurde im Oktober 1923 in Platt in Hinterpasseier geboren. Der Vater starb zwei Monate vor ihrer Geburt, die Mut­ter neun Jahre später. Maria wuchs mit einem älteren Bruder bei Stiefeltern auf. Der Wunsch, Krankenpflegerin zu werden, begleitete sie von Kindheit an. Während des Krieges arbeitete sie in verschiedenen Lazaretten, besuchte eine  dreijährige Krankenpflegeschule, legte 1946 die Staats­prüfung als Krankenpflegerin ab, und ein Jahr später besuchte sie die Hebammenschule in  Klagenfurt, arbeitete an der dortigen Frauenklinik und erlangte 1949 das Hebammen-Diplom. Ende 1949 rückoptierte sie nach Südtirol, wo die österreichische Ausbildung nicht anerkannt wurde, und so musste sie 1954 das dritte Jahr der Hebammenschule in Camerino in der Nähe von Rom belegen, um in Italien als Geburtshelferin arbeiten zu können. Achtundzwanzig Jahre war Annemarie  Hofer Gemeindehebamme in Dorf Tirol, Kuens, Riffian und später auch in Algund. Nach ihrer Pensionierung war sie sechs Jahre lang als freiberufliche Hebamme aktiv. Annemarie Hofer begleitete in ihrem Arbeitsleben 3004 Geburten, 28 davon waren Zwillingsgeburten. 1951 heiratete sie einen Italiener und schenkte drei Kindern das Leben. Die heute 93-Jährige lebt in Meran und versorgt sich selbst.

 

Der Beruf der Hebamme ist einer der ältesten der Welt. 209 Hebammen sind derzeit in Südtirol aktiv, zwei davon Männer. Sie arbeiten im Krankenhaus, im Sprengel oder freiberuflich. Einen unkomplizierten Geburtsverlauf begleitet eine Hebamme alleine. Ein Arzt kommt erst bei Komplikationen dazu. Die Hebammen beklagen, dass heute das Körperbewusstsein der Frau und das Vertrauen in die ureigene weibliche Kraft schwindet. Sie unterstützen die werdenden Eltern beim Wunsch nach maximaler Sicherheit, raten allerdings von vorschneller Medikalisierung ab.

 

Die Betreuung von Kriegsschwerstverletzten hat Ihre Ju­gend geprägt. Wie sind Sie da­mit umgegangen?
Maria Hofer: Ich war froh, für die schwerverletzten Soldaten etwas tun zu können, und habe schnell verstanden, dass eine gute  Ausbildung notwendig ist. Ich habe viele Menschen sterben sehen, aber ich konnte auch vielen beim Überleben helfen. Darüber bin ich sehr froh.

Warum haben Sie sich entschieden, nach dem Krieg die Hebammenausbildung zu machen?
Ich kann mich gut an die erste Geburt in Seekirchen erinnern. Die Frau wollte kurz vor dem Entbinden nur mehr sterben und war danach in einem Glücksrausch sondergleichen. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Es gibt keine vergleichbare Situation im Leben eines Menschen, wo sich der Gefühlszustand so schnell verändert wie während und nach einer Geburt.

Sie haben nach der Ausbildung rückoptiert. Wie schwierig war es, in Süd­tirol als Hebamme Arbeit zu finden?
Das war nicht einfach. Meine Diplome wurden nicht anerkannt, ich musste das dritte Schul­jahr in Camerino und die Prüfung in Italien wiederholen. Ich habe mich unter anderem in Dorf Tirol beworben. Der damalige Bürgermeister war mit dem Landeshauptmann befreundet und erklärte ihm, dass er zwar dringend eine Hebamme bräuchte und eine mit österreichischem Dialekt sich auch beworben hätte. Aber ich schien ihm zu herrisch. So erkundigte sich Karl Erckert in Klagenfurt über mich. Am 1. April 1950 wurde ich Gemeindehebamme von Dorf Tirol, Riffian und Kuens und bin es 28 Jahre lang geblieben.

Wussten die Leute von Ihren Kran­kenpflegekenntnissen?
Die Leute haben mitbekommen, dass ich als Krankenschwester aus­gebildet war. Anfangs kam der Gemeindearzt nur zwei Mal pro Woche nach Dorf Tirol. Er rief mich täglich an und fragte: „Hoferle, wie viele Patienten sind heute da?“ Ich berichtete von den Patientenanliegen und er beauftragte mich mit der Versorgung. Die Leute kamen daraufhin wegen jeder Krankheit oder bei jedem Unfall zu mir. Bei mir mussten sie nichts zahlen, beim Arzt schon.

Wie hat sich die Geburtensituation über die Jahre verändert?
Im Jahr 1951 habe ich 31 Geburten begleitet, nur eine in der Klinik, alle anderen als Hausgeburten. Im Jahr 1981 habe ich 56 Geburten begleitet, keine davon daheim, alle in der Klinik oder im Krankenhaus. Die meisten Geburten habe ich 1967 betreut: Damals waren es 151. Insgesamt habe ich in meiner Zeit als Hebamme bei 529 Hausgeburten und bei 2475 Geburten in der Klinik assistiert, 28 Mal sind Zwillinge zur Welt gekommen.

Sie sind als Hebamme auch psychologische Begleiterin.
Ja, daher ist für eine Landhebamme eine gute Ausbildung notwendig. Mir sind Fälle von Tuberkulose begegnet, von Lungen- und Brustkrebs, von Typhus und Eileiterschwangerschaften. Da muss man sich professionell verhalten .

Was waren die eindrücklichsten Erlebnisse als Hebamme?
Ich kann mich erinnern, wie ich selbst hochschwanger auf die Mut hinaufgerufen wurde. Es gab keine Bahn, ich musste zu Fuß hinaufstapfen. Die Geburt ist gelungen, einige Tage später habe ich selbst entbunden.
Einmal wurde ich ins Ultental auf einen Bergbauernhof gerufen, dort angekommen, wusste ich, dass es Schwierigkeiten bei der Geburt gibt. Ich habe die Bauersfrau und ihren Mann bekniet, sie ins Krankenhaus bringen zu lassen. Sie wollten es nicht, und mit der Geburt wurde es immer schlimmer. Schließlich holte ich die Nachbarn als Zeugen, dass ich die Frau ins Krankenhaus bringen wollte, denn sollte die Frau sterben, würde man mich zur Verantwortung ziehen. Dann kam doch das Einsehen.
Im Krieg hatte ich gelernt, wie man mit zwei Stühlen, ein paar Latten und einer Matratze eine stabile Trage anfertigt, und so kam die Frau rechtzeitig ins Krankenhaus. Mutter und Kind ging es gut.

Wie wichtig ist der Kontakt zu den Frauen?
Ich habe es fast immer geschafft, eine gute Beziehung mit den Frauen aufzubauen. Einmal kam ich zu einer Hausgeburt und hörte die Schreie der Ge­bärenden. Auch ihre Mutter konnte sie nicht beruhigen. Ich habe die junge Frau von ihrer eigenen Kraft überzeugen können, sie hat sich beruhigt, und bald darauf ist ihr Kind geboren. Die glückliche Oma fragte mich später, wie ich es geschafft hätte, ihre Tochter zu beruhigen. Eine Hebamme braucht eben Empathie, Wissen, Ruhe, Er­fahrung und eine natürliche Autorität.

Was freut Sie rückblickend am meisten?
Meine größte Angst war, eine Frau bei einer Geburt zu verlieren. Ich durfte als Hebamme 3004 Geburten begleiten, alle Frauen haben überlebt. Das ist das Schönste für mich.

von Maria Lobis