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Der Neue

Mit einem Vertrauenszuspruch von fast 90 Prozent wurde Zeno Christanell im März zum neuen Obmann des SVP-Bezirkes Burggrafenamt gewählt. Der Generationenwechsel ist erfolgt: Nach zehn Jahren Obmannschaft von Karl Zeller übernimmt nun sein bisheriger Stellvertreter das Amt.

Christanell hat sich einen Namen gemacht, als er im Jahr 2000 als jüngster Gemeindereferent Italiens in den Ausschuss der Marktgemeinde Naturns gewählt wurde und dort 15 Jahre lang verschiedene Ressorts betreute.
Haupt­beruflich unterrichtet er am Sozialwissenschaftlichen Gymnasium Meran, zudem ist er ehrenamtlich als Präsident des Jugendzentrums Naturns und als Leiter der Sektion Handball in Naturns engagiert. 2016 veröffentlichte er ein Sachbuch mit dem Titel „Min­­derheitenschutz in Europa – Fallbeispiel Südtirol“. „Auch in Südtirol gibt es Ungerechtigkeiten, für welche die Politik bessere Antworten liefern muss. Wir müssen für alle Be­völkerungsgruppen da sein“, fordert Christanell.
Für das Burggrafenamt nennt er eine Reihe von Anliegen, die anzugehen seien. Neben der Mobilität  auch die Schaffung von neuen hochqualifizierten Arbeitsmöglichkeiten, den Ausbau des Glasfasernetzes, aber auch den Ausgleich zwischen Berg und Tal sowie dem Zentrum und der Peripherie. Ein Gespräch mit dem neuen SVP-Bezirksobmann.

BAZ: HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH ZU IHRER NEUEN AUFGABE. HABEN SIE DEN SIEG AUCH GEFEIERT?
Zeno Christanell: Das Wahlergebnis empfinde ich als große Bestätigung für meinen bisherigen Einsatz. Natürlich habe ich die Wahl auch ein bisschen gefeiert.

Das 700-Jahr-Jubiläum von Meran soll neue Im­pulse liefern. Haben Sie dazu konkrete Vorschläge?
Meran hat beste Voraussetzungen, für seine Bürger gute Lebensbedingungen und eine hohe Lebensqualität zu schaffen. Die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten war eine sehr positive – also besteht auch Grund zum Feiern. Ich würde mir wünschen, dass Meran noch etwas „hipper“ und vor allem für junge, innovative Unternehmen interessanter würde. Die Initiativen für Neugründer sind da sicherlich ein richtiger Schritt, aber auch durch gezielte Veranstaltungen sollte man das Image einer modernen, welt­offenen Stadt aufbauen.

Die Standseilbahn Schenna-Tirol-Meran ist nicht mehr nur ein schöner Traum

Der Verkehr ist ein großes Thema. Welche Alternativkonzepte haben Sie in der Tasche?
Es braucht ein integriertes Gesamtkonzept, im urbanen Bereich würde ich gezielt auf Shared-Space-Konzepte setzen. Dabei werden neben der Automobilität auch die öffentlichen Verkehrsmittel, die Fahrradfahrer und Fußgänger berücksichtigt. Mobilität hört aber nicht an den Stadtgrenzen auf: Ich befürworte die Elektrifizierung und damit bessere Taktung der Vinschger Bahn sowie den Ausbau der Schiene nach Bozen. Auch der Bau der übergemeindlichen Radwege gehört zu einem nachhaltigen Verkehrskonzept.

Wie denken Sie über das Projekt Standseilbahn Meran-Ti­rol-Schen­na?
Die Standseilbahn nach Schenna wäre eine große Aufwertung und könnte vernetzt mit einem neuen Sessellift nach Dorf Tirol und angebunden an die Kavernengarage ein großer Schritt zur Entlastung der Stadt und zur Entspannung der Verkehrssituation ins­gesamt im Burggräfler Raum führen. Die SVP wird sich auf jeden Fall mit ganzer Kraft dafür stark machen.

Was können Sie uns zum Projekt Küchelbergtunnel sagen?
Der Küchelbergtunnel ist der wichtigste Baustein unserer übergemeindlichen Verkehrspolitik, damit wird nicht nur die Stadt massiv vom Autoverkehr entlastet, sondern auch der Einkaufs- und Arbeitsstandort deut­lich attraktiver. Nicht zuletzt bedeutet er für viele Pendler aus dem Passeiertal eine Steigerung der Lebensqualität, weil sehr viel Zeit gespart wird. Die Ausschreibungen sind nun im Gange, die Vergabe wird noch 2017 erfolgen. Damit könnte mit den Vorbereitungen der Umsetzung bereits in diesem Jahr gestartet werden.

Welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie für die Wirtschaft?
Ich erwarte mir neue Impulse in innovativen Branchen, zum Beispiel auch durch die Ansiedlung des neuen Alperia-Sitzes mit Forschungseinrichtung. Das ist ein so genanntes Leuchtturmprojekt. Wenn wir das richtig machen, dann können im Windschatten dieses Projektes viele weitere sehr spannende Dinge passieren. Zur Industrie sage ich ganz klar, hier müssen wir aufpassen, was zu Meran passt – es gibt hier nicht nur gute Erfahrungen.

Was würden Sie mit dem ehemaligen Militärareal in Untermais machen?
Das Militärareal ist für Meran Risiko und Chance. Als möglicher Innovations-Inkubator mit sauberem Gewerbe rund um den Impulsgeber Alperia, Start-ups und hochqualifizierten Zulieferern kann es ein Wirtschaftsmotor für das Burg­gra­fenamt werden. Zudem sollte leistbarer Wohnraum mit der entsprechenden öffentlichen Infrastruktur geschaffen werden. Ich wünsche mir zudem freie Räume für Kreativität und auch alternative Ansätze für Kultur.

Ist durch den Zentralismus der Gesundheitsreform das Krankenhaus Meran  benachteiligt?
Den Trend zur Zentralisierung beobachten wir mit Argusaugen. In intensiver Absprache mit dem Gesundheitsbezirk und auch mit der SVP Vinschgau haben wir uns in die Diskussion eingebracht und auch einiges erreicht – wie zum Beispiel den Erhalt der Geburtenabteilung in Schlanders. Meran hat das zweitgrößte Krankenhaus im Land und liefert sehr gute Ergebnisse, wie etwa bei der Hospitalisierungsrate. Bedenklich ist der aktuelle Ers­te-Hilfe-Tourismus aus anderen Bezirken. Das geht natürlich nicht, jedes Krankenhaus muss seine Hausaufgaben machen. Auch den Mangel an Fachkräften sehe ich problematisch, hier kommt die Personalanwerbung kaum voran. Was in manchen Abteilungen trotz Personalknappheit zum Wohle der Patienten geleistet wird, muss gewürdigt werden.

Schulraumnot, zu wenig Mensen, keine universitären Angebote:  Ist Me­ran als Bildungs­standort im Hintertreffen?
Es ist sicherlich schade, dass es in Meran keine universitären Angebote gibt, wobei in Zukunft ja auch im Forschungsbereich Ko­ope­rationen angedacht sind. Ansonsten ist das Bildungsangebot doch beachtlich. Wir sind gestärkt aus der Reform der Oberstufen, nicht zuletzt durch den großen Ein­satz des SVP-Bezirks, hervorgegangen. Vor allem das Land hat in die öffentlichen Bauten viel investiert. Nun fehlt manchmal eher das Geld für kleine Maßnahmen, wie für die Erneuerung der technischen Ausstattung, was im digitalen Zeitalter die Arbeitsmöglichkeiten einschränkt.

Das ehemalige Militärareal in Untermais eröffnet neue Möglichkeiten der Stadtentwicklung

Sie selbst sind Oberschullehrer und kennen die Situation an unseren Schulen. Was sind die größten Probleme?
Wir sollten nicht nur in Mauern investieren, sondern mehr Raum für Köpfe lassen. Ich meine damit, dass wir vor allem beim Schul­organisatorischen einiges besser machen könnten. Es gibt sehr viele engagierte und hoch­qualifizierte Lehrpersonen, die bereit wären, in offeneren Formen zusammenzuarbeiten – damit könnten wir die Ressourcen besser nutzen und den Lehr- und Lernerfolg steigern. Insgesamt beobachte ich auch, dass durch die ständig zunehmende Bürokratie das Kerngeschäft, der gute Unterricht, leidet. Hier sollte der Gesetzgeber mehr Vertrauen in die Kompetenzen der Experten haben.

Was halten Sie von CLIL, also dass Sachfächer wie Geschichte in der zweiten Sprache oder in einer Fremdsprache  unterrichtet werden?
Der CLIL-Unterricht ist eine Antwort auf die teilweise mangelhafte Sprachkompetenz in der Zweit- und Drittsprache. Dass diese noch verbessert werden kann, steht außer Fra­ge. Wir sind es auch den jungen Menschen schuldig, Angebote zu schaffen, damit sie in einer zusammenrückenden Welt die bestmöglichen Zukunftschancen haben. Ich persönlich finde aber einen Aufenthalt an einer Partnerschule in Italien oder England effizienter und vor allem persönlichkeitsbildender.

Wie ist Ihre Einstellung zur Diskussion um die Kreuze in den Klassenzimmern und um den Bau von Moscheen?
Da gibt es meines Erachtens oft nur eine künstliche Hysterie, die von einigen angefeuert wird. Heute darf es keine Diskussionen mehr zur freien Ausübung der Religion geben – solange sich alle an die Gesetze halten. Wer ein gesundes Heimatbewusstsein und eine klare Vorstellung von seinen kulturellen Wer­ten hat, muss keine Angst vor anderen Kulturen haben.

Das Burg­gra­fenamt muss laut staatlichem SPRAR-Programm  354 Migranten aufnehmen. Derzeit sind es ungefähr 150. Wächst uns das Problem über den Kopf?
Migration gehört zu unserer Gesellschaft und ist absolut kein zeitgenössisches Phänomen. Das hat es immer schon gegeben und das wird es auch immer geben. Vor nicht allzu vielen Jahren war auch Südtirol ein Land der Auswanderer, weil es hier bei uns kaum wirt­schaftliche Perspektiven gab. Wir haben heute auch eine moralische Pflicht, Vertriebenen und Verfolgten zu helfen. Nur dürfen wir nicht ähnliche Fehler machen, wie in manchen europäischen Nachbarländern – wir müssen die Ghettoisierung vermeiden und die Integration über den Sprachenerwerb fördern. Dann kann auch ein Mehrwert entstehen. Die SVP hat durch das neue Fördergesetz entsprechende Anreize geschaffen. Das SPRAR-Programm, mit kleineren Flüchtlingsgruppen, ist dafür ein passendes Modell. Es muss aber einfach auch einmal gesagt werden, dass die bisherigen Erfahrungen in den Gemeinden Tisens und Riffian sowie in Meran überwiegend gute sind. Hier hat die Zivilgesellschaft durch ihre Offenheit und Willkommenskultur auch sehr viel Humanität bewiesen.

1935 wurde der Meraner Pferderennplatz eröffnet Er zählt zu den größten und schönsten Europas

Bozen und Meran gehören zu den teuersten Städten Italiens, obwohl die Löhne bei der öffentlichen Hand mit anderen Provinzen vergleichbar sind. Ist das nicht ungerecht?
Dieses Thema ist mir ein besonderes Anliegen. Insgesamt sind die Löhne in Südtirol im Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten zu gering. Die Unterschiede haben in den ver­gangenen Jahren sogar noch zugenommen. Die durchschnittliche Jahresbruttoentlohnung ist laut ASTAT inflationsbereinigt von 2009 bis 2014 um 2,8 % gesunken. Um für eine gerechte Kaufkraft zu sorgen, kann auch das Land Südtirol etwas tun, so zum Beispiel durch die Erhöhung der regionalen IRPEF-Freibeträge bis zu einem Einkommen von 35.000 € als so genannte „Südtiroler no tax area“. Die SVP-Arbeitnehmer haben diese Forderung schon mehrfach erhoben.

In letzter Zeit poltert die SVP in Meran gegen den Koalitionspartner. Gibt es Un­stimmigkeiten mit dem „grünen“ Partner?
Es handelt sich um keine Liebesehe – das ist schon klar. Wenn etwa ein Teil der Koali­tion eine Bürgerversammlung auf Kosten der Stadt organisiert, ohne dass der andere Teil eingeladen ist, verwundert das und hat zu Recht für Kritik gesorgt. Trotzdem erfüllt die SVP Meran mit zwei Stadträten den Wählerauftrag und bringt sich mit ihrer langjährigen Erfahrung, wo eben gewollt, im Sinne der Bürger ein.
Wann wird der Bürgermeister-Posten wieder in SVP-Hand sein?
Paul Rösch ist Bürgermeister und wird es wohl auch bleiben. Es ist schwierig, einen amtierenden Bürgermeister schon nach einer Legislatur abzulösen. Trotzdem wird die SVP eine gute Alternative bieten. Falls der Bürgermeister nicht mehr regieren möchte, werden die Karten neu gemischt, dann gibt es einen New Deal. Die SVP hat auf jeden Fall den Anspruch und auch die Fähigkeit, in Zukunft wieder die Spitze der Stadtregierung zu stellen.

Wie sehen Sie das Zusammenleben der Sprachgruppen und wie denken Sie über die Ortsnamenfrage?
Das Zusammenleben ist überwiegend entspannt, manchmal gibt es ein Miteinander, häufiger vielleicht ein Nebeneinander. Die Vereine leisten eine tolle Zusammenführung, zum Beispiel beim Sport, aber auch im kulturellen Bereich. Die Ortsnamenfrage ist nicht das wichtigste politische Thema in Südtirol, auch wenn es manchmal so scheinen mag. Hier braucht es endlich eine vernünftige Lösung. Ich würde mir wünschen, dass die Hardliner auf beiden Seiten etwas kompromissbereiter und für einen zeitgemäßen Ansatz offener wären.

Der Tourismus muss allen zugute kommen                  Foto: Gigi Sommese

Die Zeiten eines Saurer, Achmüller oder Frasnelli scheinen vorbei zu sein. Sind die Arbeitnehmer in der SVP eingeschlafen?
Die SVP-Arbeitnehmer stellen mit vier Landtagsabgeordneten, von denen zwei auch Mitglieder der Landesregierung sind, zahlenmäßig keine schlechte Truppe. Es ist aber etwas die Sichtbarkeit verloren gegangen und das ist bedauerlich. Denn es gibt bei allem Wohlstand in Südtirol auch soziale Ungerechtigkeiten. Von den Steuersenkungen ist zu wenig bei den Lohnempfängern angekommen, das Eigenheim ist weiterhin für viele nicht leistbar, für ältere Ar­beitssuchende bietet der Markt kaum Mög­lichkeiten, um nur einige zu nennen. Hier muss die Politik bessere Antworten liefern – die Arbeitnehmer setzen sich genau dafür ein!
Bräuchte es wegen der sozialen Ungerechtigkeit auch bei uns nicht mehr politischen Rückhalt für die Arbeiter?
Ich bin kein Anhänger von Revolutionen, da gibt es immer Sieger und Verlierer. Was wir brauchen, ist ein evolutiver Schritt mit einem Maßnahmenpaket, durch welches wieder mehr Gerechtigkeit geschaffen wird. Dafür stelle ich meine Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Verfügung!

Zum Schluss, wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Streben Sie den Landtag an?
Ich bin ein politischer Mensch, der sich immer auch neuen Herausforderungen stellt und sich gerne für das Allgemeinwohl einsetzt. Aktuell bin ich neuer Bezirksobmann – als solcher ist es auch meine primäre Aufgabe, ein schlagkräftiges Team für die nächsten Landtagswahlen zusammenzustellen. Wenn ich Teil des Teams sein soll und dort auch Möglichkeiten sehe, meine politischen Überzeugungen umzusetzen, bin ich bereit, Verantwortung zu übernehmen.

von Josef Prantl