Er zählt zu den produktivsten Künstlern Südtirols. Als Bildhauer hat Friedrich Gurschler hunderte vor allem sakrale Werke geschaffen. Schon als kleiner Bub auf dem Mastaunhof im Schnalstal zeigte sich seine Begabung. Heute, mit 94 Jahren, blickt er auf ein Lebenswerk zurück.
Zu den wilden Modernen zählt er nicht. Will er auch nicht. „Sein Werk ist wie sein Leben“, betitelt der Kunsthistoriker und langjährige Direktor des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Gert Ammann, die zweibändige Bildbiografie zu Gurschlers Werk. Und er trifft es damit auf den Punkt.
1923 in Unsere Frau in Schnals geboren, wäre das Leben für einen Bergbauernbub eigentlich schon vorgeplant gewesen, denn große Möglichkeiten bot es für die meisten zu dieser Zeit nicht. Ganz anders bei Friedrich Gurschler.
Liebevoll zeigt er uns die Krippenfiguren, die er als Bub geschnitzt hat; die Schafe, Maria und Josef, das Jesuskind. Auch dem, der von Kunst und Handfertigkeit wenig versteht, wird sofort klar, dass hier jemand großes Talent hat. Und das haben auch die Kapuziner-Patres verstanden, die vor 90 Jahren zum Almosensammeln auf den Mastaunhof gekommen sind. „Der Bub muss gefördert werden!“, hieß es.
Die Jahre vergingen, Friedrich verdingte sich als Knecht auf dem Hof des Onkels, die Sommer verbrachte er als Hirte auf der Alm. Es waren Lehrjahre des genauen Beobachtens der Natur und Tierwelt, das ihm später als Bildhauer zugute kommen wird. „Nur wer die Seele der Tiere kennt und sich in sie hineinfühlen kann, dem gelingt auch eine wirklich gute Darstellung“, weiß Gurschler und erinnert damit an den großen deutschen Dichter Rainer Maria Rilke, der in seinen Erinnerungen an die Zeit als Sekretär beim großen Erneuerer der Bildhauerkunst, Auguste Rodin, genau dies in sein Tagebuch schreibt.
Kindheit und Jugend in Schnals
Das Lesen und Schreiben lernt Gurschler im faschistischen Italien vorerst nur in Italienisch. „Wer sich in die Partei einschrieb, erhielt auch eine Uniform“, erinnert er sich. „Täglich wurden uns auf einer Landkarte die Eroberungszüge der italienischen Truppen im Abessinienkrieg vorgeführt“, erzählt er.
Die Option: Die Mutter entscheidet sich für Deutschland, zur Auswanderung ist es aber nie gekommen. Und dann die Einberufung. 1944 wird Gurschler zur Partisanenbekämpfung im Polizeiregiment Schlanders nach Oberitalien beordert. Er hat Glück und überlebt die Kriegsjahre unbeschadet. Die Heimkehr im Sommer 1945 gestaltet sich abenteuerlich, an den Amerikanern vorbei, die am Eingang des Schnalstals ihre Wachposten aufgeschlagen haben.
Lehrjahre in Gröden
Mit 25 Jahren kommt es zum ersten bedeutenden Einschnitt im Leben des Schnalsers. Gurschler geht nach Gröden, um an der Kunstschule in St. Ulrich Bildschnitzerei zu lernen. Fast fünf Jahre wird er dort bleiben und zugleich auf dem Hof seines Lehrers Vigil Pescosta da Banch arbeiten und sich so sein Studium finanzieren. „Es gibt keine bessere Ausbildung in der Schnitzkunst als in Gröden“, sagt Gurschler rückblickend. Hier lernt er die Handwerkskunst von der Pike auf, das Entwerfen, Modellieren, Zeichnen, Schnitzen. Dass ein Sizilianer damals Direktor der staatlichen Kunstschule war, lässt ihn heute noch schmunzeln.
Bald wurde klar: Gurschler war zu Höherem bestimmt. Gemeinsam mit dem vor wenigen Jahren verstorbenen zweiten bedeutenden Südtiroler Bildhauer, Martin Rainer, will er an die Kunstakademie nach Wien gehen. Dort lehrt der gebürtige Südtiroler Franz Santifaller. Allerdings stirbt dieser 1953 genau in dem Jahr, in dem die beiden Schnalser sich um eine Aufnahme bewerben. Ein Antwortschreiben auf Gurschlers Anfrage bleibt somit aus. Aufgeben kommt für ihn jedoch nicht in Frage, und in „Herders Volkslexikon“ stößt er auf die „Akademie der bildenden Künste“ in Nürnberg.
Ein Schnalser in Nürnberg
Schon sind die sieben Sachen gepackt, und Gurschler ist in Nürnberg. Rückblickend mag dieser unvorbereitete Aufbruch naiv erscheinen, aber das Glück ist ihm hold. Die Aufnahmeprüfung besteht der Schnalser Bauernbub mit Bravour, und es folgen weitere fünf Jahre Studium zum akademischen Bildhauer fernab der Heimat. „Das erste Semester waren wir in Ellingen unweit Nürnbergs untergebracht“, erinnert er sich. „Das Akademiegebäude war ja vom Krieg noch zerstört.“ Mit ersten Auftragsarbeiten finanziert er sich die Studienjahre. Die 1,70 Meter große Madonna in Eichenholz in St. Kunigund bei Nürnberg (1955) wird zum ersten bedeutenden Werk Gurschlers.
Die Heimkehr
1958 kehrt Gurschler nach Südtirol zurück. Und schon sofort erhält er einen großen Auftrag und stellt sich 1959 in der Dominikanergalerie in Bozen in einer Ausstellung erstmals der Öffentlichkeit. Sein Kriegerdenkmal in Gries mit der fast zwei Meter hohen Auferstehungsfigur in Bronze beweist Meisterklasse. In Bozen begegnet er auch seiner zukünftigen Frau, Anna Santer, wieder. Die Schnalserin arbeitet hier in der Hauswirtschaft einer Arztfamilie. Bald werden die beiden heiraten und auf die Töll ziehen, wo Gurschler – wieder einmal durch glückliche Zufälle – einen Baugrund findet und 1962 sein Zuhause errichtet. Hier wird er zeitlebens arbeiten, hier entstehen aberdutzende Werke, Auftragsarbeiten landauf, landab, aber auch ganz persönliche Arbeiten, die nur darauf warten, dass sie der Öffentlichkeit gezeigt werden, vielleicht in einem eigenen Friedrich-Gurschler-Museum. Die Zwillinge Anna Maria und Friederike sowie Sohn Gregor wachsen hier auf der Töll auf, gehen in Partschins zur Schule, wo der Vater als Lehrer für Kunsterziehung arbeitet. Nebenbei hat er sich den Brotberuf des Lehrers angeeignet, in den Sommerferien und in der unterrichtsfreien Zeit sieht man ihn aber ausschließlich in seiner kleinen Werkstatt. Die großen Arbeiten entstehen im Freien oder unter dem Dach einer Scheune, wie die in Laaser Marmor gemeißelte über zwei Meter hohe „Heilige Familie“, die heute den Altarraum der Pfarrkirche von Algund schmückt.
Das Sakrale rückt in die Mitte
Das Werkverzeichnis Friedrich Gurschlers aufzuzeigen, wäre eine Mammutaufgabe. Zwei dicke Bildbände, die kürzlich erschienen sind, zeigen seine wichtigsten Arbeiten. Es sind vor allem Bildwerke mit Schutzmantelmadonna, Holz bemalt, Oberbozen,1998religiösem Inhalt. „Die Sehnsucht nach der Schöpfung ist stets gegenwärtig“, schreibt Gert Ammann. „Gurschler stellt nicht die Frage nach Gott, sondern in seinem Werk ist das Bewusstsein der Gegenwart Gottes und dessen Botschaft offenkundig.“ Neben der religiösen Thematik stehen das Tiersujet und der Mensch im Mittelpunkt seines Schaffens. Die Tierplastiken erinnern in ihrer Klarheit und Reduktion auf das Wesentliche an die Plastik antiker Hochkulturen. „Sie haben das letztlich Schlüssige an Form gefunden (…), der Hirsch ist bei Ihnen nicht ein Hirsch, es ist der Hirsch. Es ist nicht eine nackte Frau, es ist die Frau“, schreibt der Schriftsteller Herbert Rosendorfer anerkennend kurz vor seinem Tod in einem Brief an Gurschler. Ob er Vorbilder habe? Ob er sich vergleiche? Friedrich Gurschler weiß darauf nicht zu antworten. Zu banal sind ihm solche Fragen. Er will nicht vergleichen, auch nicht Nachläufer sein, die Allüren des Kunstmarktes sind ihm fremd. Er ist bodenständig geblieben. Auch auf die Frage, welches wohl sein wichtigstes Werk sei, gibt es keine Antwort. „Jede Aufgabe ist eine andere Herausforderung“, sagt er und ergänzt: „Wenn alles Überflüssige weggelassen ist, dann ist es gut. Das Einfache ist immer stimmig.“
Ehrungen und Auszeichnungen
Ehrungen folgten mit der Zeit: 1983 das Verdienstkreuz des Landes Tirol, 1987 Ehrenbürger der Gemeinde Schnals, 1996 Ehrenzeichen des Landes Tirol, 2000 Walther-von-der-Vogelweide-Preis, 2001 Ehrenbürger der Gemeinde Partschins und 2012 Ehrenmitglied des Südtiroler Künstlerbundes, dessen ältestes Mitglied er heute ist. Dutzende Ausstellungen im In- und Ausland, Fernsehsendungen in RAI, ORF, ZDF und Bayerischer Rundfunk würdigen seine Arbeit. Zum Schluss zeigt er uns seine Schnalser Weihnachtskrippe, entstanden im Verlauf von 20 Jahren. 300 bemalte Holzfiguren, jede ein Unikat. Unsere Blicke wandern über die Figuren, immer neue Details fallen uns auf.
Die Vergangenheit wird plötzlich lebendig. Gurschler erzählt von seinen ersten Figuren, als Bub habe er sie geschnitzt, Geschenke für die Verwandten. Liebevoll nimmt er sie in die Hand wie seine Kinder.
Einen Traum hegt er noch: ein Museum für die vielen noch nie gezeigten Werke. Visionen zu haben, heißt zu leben. Auch mit seinen 94 Jahren steht Friedrich Gurschler noch ganz im Leben.
von Josef Prantl