Das kommende Jahr verspricht spannend zu werden. Jedenfalls auf der politischen Bühne. Im Herbst wird der neue Landtag gewählt, zu Frühlingsbeginn aller Voraussicht nach das italienische Parlament. Die Weichen dafür wurden gestellt.
Italien hat seit Ende Oktober ein neues Wahlgesetz, das alles besser machen soll als bisher.
Gleich vorweg: Die große Reform ist es nicht geworden. Es scheint fast so, als dass alles beim Alten bleiben und die neue Regierung mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird wie die vielen Regierungen davor. Eigentlich hätte ein Wahlsystem nach deutschem Vorbild eingeführt werden sollen, um so für die Zukunft stabile Mehrheiten im Parlament zu sichern. Nun haben sich die führenden Parteien aber auf eine Rückkehr zur Verhältniswahl geeinigt. Es droht eine weitere politische Zersplitterung.
Was nach monatelangen Anläufen der Regierung versucht wurde, ist für alle, die eine echte Reform wollten, in einem faulen Kompromiss geendet. Paolo Gentiloni hat das Gesetz mit dem Vertrauensvotum verbinden müssen, um es überhaupt durchzubekommen. So einigte sich der Partito Democratico (PD) am Ende mit der konservativen Forza Italia und der rechtspopulistischen Lega Nord auf das sogenannte Rosatellum.
Seit zehn Monaten wird an dem neuen Gesetz gebastelt. Wir erinnern uns: Nach dem gescheiterten Verfassungs-Referendum vom 4. Dezember 2016 und dem Rücktritt Matteo Renzis wurde der Ruf nach sofortigen Neuwahlen laut. Renzi wollte vor einem Jahr schon mal die ganze Verfassung ändern und die zweite Kammer, den Senat, faktisch abschaffen. Allerdings machte er den zweiten vor dem ersten Schritt und so wurde bereits vor der Verfassungsänderung ein Wahlrecht erlassen, das sich nur noch auf die Abgeordnetenkammer bezog. Die Volksbefragung daraufhin scheiterte, die Verfassungsänderung wurde ad acta gelegt, aber das neue Wahlrecht – das sogenannte „Italicum“ – blieb. Und wurde auch schon gleich vom Verfassungsgericht teilweise für verfassungswidrig erklärt.
Der Wirrwarr um das Wahlgesetz war es dann auch, der vorgezogene Neuwahlen nach dem Rücktritt Renzis verhinderte. Doch gewählt werden muss in Italien bis spätestens im Frühjahr 2018. Ohne ein einheitliches Wahlrecht drohte dieser Urnengang aber im Chaos zu versinken. Ob dieses nun mit dem neuen Wahlgesetz ausbleibt, sei erst einmal dahingestellt.
Eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht
Vorgesehen ist, dass künftig 231 Abgeordnete nach dem Mehrheitswahlsystem bestimmt werden, also derjenige Kandidat mit den meisten Stimmen gewählt ist. 399 Abgeordnete sollen auf Grundlage von Wahllisten nach dem Verhältniswahlsystem bestimmt werden, davon 12 Abgeordnete in den Auslandswahlkreisen.
Für den Senat gilt: 116 Sitze mit Mehrheitswahlsystem und 199 Sitze mit Verhältniswahlsystem, davon 6 in den Auslandswahlkreisen. Die Wahlrechtsreform trägt den Namen Rosatellum nach dem Fraktionsvorsitzenden des PD in der Abgeordnetenkammer, Ettore Rosato, der das Reformgesetz eingebracht hat. Die neue Wahlrechtsreform ist der vierte Anlauf in 20 Jahren, Italiens politisches System zu stabilisieren. Bereits 1993, 2005 und 2015 war das Wahlrecht reformiert worden. Seit 1948 gab es in Italien bereits 64 verschiedene Regierungen.
Auf die politische Kultur kommt es an
Was ändert sich aber konkret für den Bürger und wie gut ist dieses neue Wahlgesetz wirklich? Darüber sprach die BAZ mit dem Politikwissenschaftler und Oberschullehrer Paolo Debertol.
BAZ: Italien hat ein neues Wahlgesetz. Warum war eine Reform überhaupt notwendig?
Paolo Debertol: Es war zwar nicht unbedingt nötig, aber ratsam. Ohne Rosatellum hätten wir die Abgeordnetenkammer mit dem Wahlsystem des Italicums und den Senat mit dem Wahlsystem des Porcellums gewählt – also zwei verschiedene Systeme für die beiden Kammern. Außerdem wurden beide Systeme vom Verfassungsgericht in einigen Teilen für verfassungswidrig erklärt. In sich hätte man die beiden Rumpfsysteme noch anwenden können, doch wäre das ziemlich verwirrend gewesen. Also wurde ein neues Wahlgesetz erlassen, das nun für beide Kammern einen nahezu gleichen Wahlmodus vorsieht.
Künftig werden nahezu zwei Drittel der Sitze proportional über Parteilisten vergeben. Was heißt das konkret?
Konkret heißt dies, dass innerhalb eines Wahlkreises die Sitze im Verhältnis zum eingefahrenen Wahlergebnis vergeben werden. Können in einem Wahlkreis beispielsweise 4 Sitze vergeben werden, so erhält eine Partei, die 25 Prozent der Vorzugsstimmen erhalten hat, einen Sitz. Jene, die 50 Prozent der Vorzugsstimmen erhalten hat, 2 Sitze.
Ein weiteres Drittel wird in Ein-Personen-Wahlkreisen nach dem Mehrheitswahlsystem vergeben.
In jedem Wahlkreis können die verschiedenen Parteien einen einzigen Kandidaten aufstellen und pro Wahlkreis ist ein einziger Sitz zu vergeben. Als Gewinner geht dann derjenige Kandidat hervor, der die meisten Stimmen erhält.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei das System ein eher fragwürdiger Kompromiss. Stimmen Sie dem zu?
Dieses Wahlgesetz enthält zwar einige Schattenseiten, aber ob diese so gravierend sind, dass sie zu einer Verfassungswidrigkeit führen können, bezweifle ich sehr.
Wäre der Vorschlag von Matteo Renzi für Italien nicht besser gewesen?
Für diese Antwort muss ich etwas ausholen. Wahlsysteme beinhalten die Vorgaben, wie Wählerstimmen in Sitze umgerechnet werden müssen. Je nach Umrechnung werden bestimmte Parteien bevorteilt und andere benachteilt. Dementsprechend gilt für Parteien wie für Wähler, dass ein Wahlsystem dann gut ist, wenn dadurch die eigene Partei gestärkt wird und gleichzeitig die Gegnerparteien geschwächt werden. Das Italicum von Renzi hätte also bei heutigem Stand der Dinge die Fünf-Sterne-Bewegung bevorteilt, da sie derzeit die größte Partei Italiens ist. Das Rosatellum hingegen wird jene Parteien bevorteilen, die auf dem Territorium gut verankert sind. Es gewinnen also viele Ein-Person-Wahlkreise und das heißt insbesondere die PD und die Lega Nord und zweitrangig Forza Italia. Die Fünf-Sterne-Bewegung ist mit diesem System benachteiligt.
Das Quorum für Parteien liegt bei 3 %, jenes für Koalitionen bei 10 %. Was ist damit gemeint?
Das heißt, dass Parteien, die auf nationaler Ebene keine 3 % erreichen, bei der Zuweisung der Sitze nicht berücksichtigt werden. Das Gleiche gilt für Koalitionen, die unter der 10%-Hürde bleiben. Diese Hürden können beschränkt auf die Senatswahlen umgangen werden, wenn eine Partei auf regionaler Ebene mindestens 20 % der Stimmen erreicht.
Bei Protestveranstaltungen wurde der Regierung vorgeworfen, „autoritärer als Mussolinis faschistisches Regime“ zu sein und der „Demokratie den Todesstoß“ versetzt zu haben. Können Sie dem Vorwurf etwas abgewinnen?
Nein. Diese Regierung ist sicherlich nicht autoritär und undemokratisch ist sie auch nicht. Protestveranstaltungen vor dem Parlament geben der einen oder anderen Partei die Möglichkeit, sich zu profilieren und die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die 5-Sterne-Bewegung hat diese Möglichkeit auch sehr geschickt genutzt, um ein Wahlgesetz, das für sie nachteilhaft ist, anzuprangern.
In den italienischen Medien wird lamentiert, dass das neue Wahlgesetz keine klaren Mehrheiten und damit auch keine stabile Regierung bringen wird. Zu Recht?
Es stimmt sicher, dass Wahlgesetze stabilisierend oder destabilisierend wirken können, doch letztendlich ist die politische Kultur in einem Land ausschlaggebend. Solange persönliche Interessen und Parteiinteressen wichtiger sind als das Allgemeininteresse, werden stabile Regierungen die Ausnahme sein. Selbst ein Wahlgesetz, das einer einzigen Partei die große Mehrheit in beiden Kammern garantiert, nutzt nichts, wenn diese Partei dann in sich zerstritten ist und auseinanderfällt.
Mittlerweile sind mehr als zwei Dutzend Parteien im Parlament vertreten. Wie soll so mit dem neuen Wahlgesetz eine tragfähige Regierung gebildet werden?
Derzeit kann ich nur vier Hauptakteure erkennen: PD, Forza Italia, Lega Nord und die Fünf-Sterne-Bewegung, die gemeinsam 85 % der Wählerstimmen ausmachen. Bei einer solchen Parteienlandschaft sind stabile Regierungen durchaus möglich. Selbst eine Minderheitsregierung PD oder Forza Italia/Lega Nord mit externer Unterstützung durch die Fünf-Sterne-Bewegung ist nicht auszuschließen.
40 % Frauenquote auf den Listen, ist das nicht zu hoch angesetzt?
Einerseits kann man argumentieren, dass 50 % der Bevölkerung Frauen sind, und so gesehen sind 40 % Frauenquote sogar zu wenig. Andererseits kann man argumentieren, dass der Wähler bzw. die Wählerin die freie Wahl haben soll zu wählen, wen er bzw. sie wählen will. So gesehen sollten Quoten gar nicht existieren, da sie die freie Wahl einschränken.
Kommen wir zu Südtirol. Was ändert sich für uns?
Faktisch nicht viel. Für den Wahlbezirk Trentino-Südtirol sind für die Abgeordnetenkammer sechs Ein-Person-Wahlkreise (früher 8) vorgesehen. Davon entfallen 3 (früher 4) auf Südtirol. Dafür werden auf Regionalebene weitere 5 Sitze (früher 3) mit Verhältniswahlsystem vergeben. Für die Senatswahlen bleibt alles beim Alten. Für Trentino-Südtirol sind sechs Ein-Person-Wahlkreise vorgesehen, davon fallen 3 auf Südtirol. Zudem wird auf Regionalebene noch ein Sitz mittels Verhältniswahlsystem vergeben. Die Gesamtanzahl der Sitze für die Abgeordnetenkammer und für den Senat bleibt also nach wie vor gleich.
Im neuen Jahr wählt Italien ein neues Parlament. Wie lauten Ihre Prognosen?
Für Prognosen ist es derzeit noch viel zu früh. Einige Monate bis zum Wahltermin sind für italienische Verhältnisse eine Ewigkeit, in der noch alles geschehen kann. Fest steht, dass sich das Mitte-Rechts-Lager im Aufschwung befindet, das Mitte-Links-Lager aufgrund der Uneinigkeit zwischen Articolo 1 und PD im Abschwung, die Fünf-Sterne-Bewegung ist stabil. Würden wir heute wählen, würde wahrscheinlich Mitte-Rechts gewinnen.
von Josef Prantl