Elternbrief für die Altersgruppe von 7 bis 10 komplettiert Reihe
6. Dezember 2017
LIEBE
7. Dezember 2017
Alle anzeigen

Männer in Krise

Statistisch gesehen sind Männer schon lange Sorgenkinder. Ihre Leistungen an Schulen und Universitäten stagnieren, sie werden öfter krank, leben kürzer, und die Selbstmordrate ist mehr als dreimal so hoch wie die der Frauen. Es gab schon bessere Zeiten fürs Mannsein.

Spätestens seit der weltweiten „MeToo“-Sexismuskampagne stehen Männer unter Generalverdacht. Dass ausgerechnet das durch und durch sexualisierte Hollywood das Ganze ins Rollen brachte und nun von einer moralischen Ohnmachtsattacke in die nächste fällt, ist recht verlogen. Trotzdem: Männer halten mit dem gesellschaftlichen Wandel nicht mehr mit. Das belegen mehrere Studien. Dass sie eigentlich Hilfe bräuchten, passt nicht in das traditionelle Rollenbild. Psychische Störungen treten heute bei Jungen häufiger als bei Mädchen auf, mehr als zwei Drittel der Schüler mit Schwierigkeiten sind Buben, 93 Prozent der wegen Mordes, Mordsversuchs oder Totschlag Inhaftierten sind Männer und – wenn man von Sexualdelikten absieht – zwei von drei Gewaltopfern sind ebenfalls Männer. Aber darüber sprechen wir nicht. Amokläufe werden fast ausschließlich von Männern begangen, Obdachlosigkeit ist ein Männerproblem und es wird immer größer.
Dass für die Orientierungslosigkeit des Mannes die verschobenen Rollenbilder verantwortlich seien, heißt es in Psychologenkreisen immer wieder. Ein Mann kann heute viel mehr falsch machen. Wenn wir ehrlich sind: Das Rollenmodell „Sie arbeitet, er bleibt zu Hause“ ist nur für wenige akzeptabel – am wenigsten für Frauen. Nur wenige Frauen binden sich an einen Mann, der einen geringeren Bildungsgrad hat, ihr also womöglich keine finanzielle Sicherheit bieten kann. Während Männer mit einem höheren Bildungsabschluss zu 30 Prozent „nach unten“ heiraten, tun das nur neun Prozent der Frauen. Das Abweichen vom klassischen männlichen Rollenbild ist bis heute nur in sehr engen Grenzen akzeptiert. Der Mann ist immer noch derjenige, der das Geld verdient, und Männer wie Frauen halten daran fest. Selbst emanzipierte Frauen reagieren manchmal verschreckt, wenn ihr Mann wirkliche Schwäche zeigt. Therapeuten berichten, dass Frauen erst von ihrem Mann einfordern, Gefühle zu zeigen, und ihn genau dann verlassen, wenn er negative Gefühle, beispielsweise Depressionen, eingesteht. Auch Erfolgslosigkeit ist ein Liebestöter. Für die allermeisten Frauen muss der Mann ihrer Träume mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllen: ein bisschen erfolgreicher, etwas älter, ein bisschen größer. Lange wurden Frauen dämonisiert und kleingemacht, sie werden es manchmal noch immer. Doch jetzt sind die Männer dabei, viel zu verlieren. Männer gelten heute schnell als lächerlich, brutal, rücksichtslos, rechthaberisch, sexistisch. Einige Fluggesellschaften lassen allein reisende Kinder nicht mehr neben Männern sitzen. Die männliche Sexualität wird dämonisiert: Die Medien können gar nicht genug bekommen von Geschichten über Vergewaltiger, Puffgänger und Pädophile.
Doch welche Frau sollte sich freuen, dass der Mann, den sie liebt, fünf Jahre früher stirbt, weil er ungesund lebt? Welche Mutter sollte sich freuen, dass ihr Sohn schlechtere Noten bekommt als ihre Tochter? Welche Akademikerin sollte sich über die Statistiken freuen, die besagen, dass hoch qualifizierte Frauen keinen Mann finden? Welche Frau kann sich freuen, wenn sie ihrem gescheiterten Mann den Laufpass gibt und dann allein ist?

„Wir brauchen eine neue Kultur der Zärtlichkeit“
die BAZ sprach mit dem Diplomtheologen und Philosophen Dr. Otto Zsok, Leiter des Süddeutschen Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse in Fürstenfeldbruck bei München, über die Umbrüche in den Geschlech­terrollen.

 

Dr. Otto Zsok

BAZ: Herr Dr. Zsok, das Verhältnis zwischen Mann und Frau sei im Umbruch und der Mann in der Krise, heißt es. Zu Recht oder steckt dahinter mehr die Angst vor dem Bedeutungsverlust?
Otto Zsok: Ich muss ein wenig ausholen. In der Zauberflöte lässt Mozart Pamina und Papageno ein urtiefes Geheimnis besingen: „Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an“. Gemeint sind hier zwei Ur-Kräfte und Seins-Pole, Yang und Yin, die als ewig gleichwertige – wenn auch nicht gleichartige – Kräfte in ihrer Vereinigung und Vereinung Leben, Harmonie, Erfüllung und Vollendung bewirken. Disharmonie muss überall dort entstehen, wo Männliches und Weibliches nicht miteinander vereint und nicht sich gegenseitig ergänzend wirken. Disharmonie entsteht, wenn jeder Pol für sich selbst, ohne Bezugnahme auf den anderen Pol wirken will.

Worin besteht nun das Männliche und das Weibliche?
Das spezifisch Männliche ist in der Zeugungskraft zu finden, und das nicht nur im biologischen Sinne des Wortes. Das spezifisch Weibliche ist in der Empfängniskraft zu erkennen, und das nicht nur im biologischen Sinne des Wortes. Beide Kräfte sind ewig gleichwertig und aufeinander angewiesen. Wie in einem ewigen Kreislauf verbinden sich die beiden gegensätzlichen Pole, das Weibliche und das Männliche, die in ihrer Vereinigung Leben bewirken: die Frau wird Mutter des Mannes und der Mann wird Vater der Frau in dieser Welt. Hierin gründet der bedingungslose Respekt, den Mann und Frau sich gegenseitig zollen. Tun sie das, verschwindet die Angst vor dem Bedeutungsverlust.

Wo liegen die Ursachen für die Krise im Rollenverständnis?
Nicht die Ebene der Rollen ist gemeint. Diese sind, in der Tat, soziokulturell ausgebildet und geprägt. Fast alle Rollen und Berufe können Männer wie Frauen gleich gut ausüben. Ich spreche hier von der seinsmäßigen Ebene, von der Natur der zwei verschiedenen Kräfte. Eine wichtige Teilursache der besagten Krise, die zugleich eine Chance ist, ist im Nicht-mehr-richtig-Fühlen des eigenen spezifischen Mann- bzw. Frau-Seins. Die Stärkung der Selbstempfindung als Mann und die Stärkung der Selbstempfindung als Frau ist angesagt, wollen Mann und Frau sich selbst und den Gegenpol als Ergänzung erneut finden und empfinden.

Also müssen Mann und Frau sich besser verstehen lernen?
Der Mann ist eingeladen, die Seele der Frau in sich selbst empfinden zu lernen, so gut es ihm gegeben ist. Und die Frau ist eingeladen, die Seele des Mannes in ihrem Innersten erfühlen zu lernen, so gut es ihr gegeben ist. Hier handelt es sich, freilich, um einen langen Lernprozess. Und dieser Lernprozess beginnt in der Familie, durch die Art und Weise, wie ein Kind – Bub oder Mädchen – das Miteinander von Papa und Mama erlebt, und zwar von Anfang an.

Was sind die Konsequenzen dieses Umbruchs? Geraten die gängigen Geschlechterverhältnisse durcheinander?
Wenn Umbruch, dann wollen wird doch sehr stark hoffen, dass es zum Durchbruch kommt. Das Geschlecht oder, anders gesagt, die Sexualität ist nicht nur eine biologische, auch nicht eine nur soziokulturelle Angelegenheit. Wenn eine Geige unbedingt Bratsche sein will und eine Bratsche unbedingt die Geige sein will, würde im musikalischen Geschehen eine besondere Spannung fehlen, die nur bestehen kann, wenn die Geige Geige bleibt und die Bratsche Bratsche bleibt. Wir brauchen eine neue Kultur der Zärtlichkeit sowohl der weiblichen wie der männlichen Form. Die eigene Identität finde ich niemals durch die Bekämpfung der Andersheit des Anderen. Das gilt auf der Ebene der Individuen wie zwischen Nationen und Völkern. Der allzu starke männliche Größenwahn braucht als Kontrapunkt die Zartheit und Weichheit des Weiblichen. Niemals dürfen Männer die Frauen bekämpfen, verachten oder gar unterdrücken. Diese Zeit muss definitiv ein Ende haben.

Was bedeutet das für die Frauen?
Je mehr Frauen ihre ureigene Identität und Weiblichkeit entdecken, leben und bewahren und dabei durchaus selbstbewusst agieren (und nicht nur reagieren), desto mehr inspirieren sie die Männer, sich nicht nur machohaft oder softimäßig zu verhalten, sondern klar, gesammelt, zielgerichtet und männlich zu sein. Das alles schließt ein: Keinen Machtmissbrauch mit der eigenen Geschlechtskraft treiben. Sobald er über sie dominieren will oder sie bestrebt ist, ihn zu unterwerfen, verschwindet das dynamische Gleichgewicht und die gesunde Spannung zwischen Yin und Yang. Das Resultat kennen wir alle allzu gut.

Männer- und Vatertage finden in unserer Gesellschaft kaum Beachtung

Wie müssten sich die Geschlechterrollen ändern, damit sich in unserer Gesellschaft Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung durchsetzen könnten?
Die Geschlechter sind ewig gleichwertig, aber nicht gleichartig. Das Wort Gleichberechtigung bedeutet für mich, dass Frauen ihr spezifisches Sosein annehmen und leben und, darüber hinaus, nicht weniger Geld bekommen für ihre Arbeit. Eigentlich ist es in meinen Augen ein Witz, dass man darüber diskutieren muss, ob Mann und Frau gleichberechtigt sind. Wer hierüber noch im Zweifel ist, dem ist nicht zu helfen.

Wie sehen Sie die derzeitige Sexismusdebatte, die in den Medien hohe Wellen schlägt?
Einerseits sicher wichtig und hoffentlich auch förderlich, andererseits auch hysterisch und teilweise destruktiv. Stimmen und Tendenzen, die den Geschlechterkampf propagieren, führen in die Sackgasse. In allen Bereichen der Gesellschaft brauchen wir das harmonische Zusammenwirken von Mann-Frau-Paaren: in der Politik, in der Kirche, in der Wirtschaft, in der Erziehung. Die sogenannte Sexismusdebatte (das Wort gefällt mir nicht) wird ein Ende haben, sobald Männer und Frauen gegenseitig ein tieferes und durchfühltes Verständnis für die jeweils andere Art des Anderen entwickeln.

Wie sieht die Rolle des Mannes in 20 Jahren aus?
Eine tiefe Hoffnung kann ich äußern: In 20 oder vielleicht erst in 50 Jahren, vorausgesetzt, dass in Europa kein Dritter Weltkrieg ausbricht, werden hoffentlich Männer wirken, die das Weibliche viel tiefer und umfassender erfühlen und respektieren als dies heute der Fall ist. Ich meine, diese reife Form des Mann-Seins in Jesus von Nazareth erspürt zu haben. Umgekehrt hoffe ich ebenso, dass dann Frauen auf der Bühne der Geschichte sein werden, die das Männliche wertschätzen und inspirieren.

 

von Josef Prantl