Als Bub schmunzelte ich über die „Städter“, die in den Wiesen „Zigori“ gestochen haben. Wie kann man das Gras nur essen, wunderte ich mich. Die wilden Kräuter und Pflanzen am Wegesrand galten mir als Unkraut. Da hatte ich mich wohl gewaltig geirrt!
Immer mehr Menschen erkennen, dass Blumen und Pflanzen mehr sind als nur Dekoration. Meine Mutter zog Maria Trebens „Gesundheit aus der Apotheke Gottes“ immer wieder zu Rate. Auch Hildegard von Bingen war eine beliebte Lektüre bei uns zu Hause. In ihrem Buch „Physica“ beschreibt sie ausführlich die Heilpflanzen und wie man sie am besten einsetzt. Wer sich früher den Apotheker nicht leisten konnte, ging zur Kräuterfrau, die sicher das passende Kräutlein parat hatte. Diese Kräuterfrauen heilten die gesundheitlichen Probleme der armen Menschen, verwendeten die heilenden Kräfte der Heilpflanzen.
Südtiroler Kräuterpädagogen nennt sich heute bei uns eine Gruppe engagierter Kräuterexperten, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Wissensschatz der traditionellen Kräuterkunde zu bewahren und mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verknüpfen. Viel Interessantes zum Nachlesen gibt es auf der Homepage des Vereins unter http://www.suedtiroler-kraeuterpaedagogen.it/
Das Sammeln von Kräutern hat in Südtirol Tradition. Mittlerweile gibt es auch wieder Dutzende bekennende „Kräuterfrauen und Kräutermänner“. „Kräuterkraft“ (http://www.kräuterkraft.info) hat Astrid Schönweger ihren Blog getauft. Die Meranerin hat mit Irene Hager und Karin Raffeiner bereits mehrere Bücher zum Thema verfasst. Die drei „Kräuterfrauen“ halten Vorträge im ganzen Land. „Ich empfinde es als Berufung, mündliche Überlieferungen und Frauenwissen vor der Vergessenheit zu retten. Dieses Wissen – vor allem auch zu den Kräutern – gehört verbreitet, ausgetauscht und vernetzt“, sagt Astrid Schönweger. Dabei ist die heilende Wirkung von Pflanzen und Kräutern seit Jahrtausenden und in allen Kulturen bekannt. Werner Gurschler hat sich intensiv mit diesem uralten Wissen beschäftigt. Der gebürtige Schnalser kennt die Zusammenhänge, die dem modernen Menschen verlorengegangen sind, gut. Jede Pflanze ist beseelt, sagt er, und kann dem Menschen Hilfe sein. Als Tee, Umschläge, Pulver oder auch als frische Pflanze helfen sie bei vielen kleinen und größeren Leiden. Nicht ohne Grund waren sie Göttern zugeordnet. Majoran, Rosmarin und Thymian wurden beispielsweise der Aphrodite zugeschrieben. Auch der Arzt Hippokrates (um 460 – 375 v. Chr.) verweist in seinen Aufzeichnungen auf ein großes Heilpflanzensortiment. Kräuter können aber nicht nur heilen, sie schmecken auch gut.
Mit Kräutern zum richtigen Geschmack
Man weiß heute, dass die Menschen schon in der Altsteinzeit, also vor rund 50.000 Jahren, ihren Speisen mit bestimmten Blättern und Früchten einen besonderen Geschmack verliehen. Die Völker Mittelamerikas würzten ihr Essen bereits 7000 v. Chr. mit verschiedenen Sorten wilden Chilipfeffers. In Europa war das Wissen um die Kräuter lange Zeit Sache der Klöster. Hier fanden sich ausgedehnte Heil- und Küchenkräutergärten. Die Klöster waren bei uns die Vorreiter im Kräuterwissen. Auch die Mediziner und Bader des Mittelalters gründeten ihre Heilkunst auf dem Wissen um die wohltuende und lindernde Heilkraft der Pflanzen. Manch einer heilkundigen Frau in der frühen Neuzeit wurde diese Kenntnis zum Verhängnis: Sie landete als Hexe auf dem Scheiterhaufen.
Aufstieg und Fall der Heilpflanzen
Wirklich bekannt wurde die Kräuterkunde im 15. Jahrhundert mit der Erfindung des Buchdrucks. Doch spätestens im 19. Jahrhundert, als in Europa die Wissenschaft von der Medizin ihren Durchbruch hatte und chemische Wirkstoffe den pharmazeutischen Markt eroberten, war es vorbei mit dem altüberlieferten Wissen um die Heilpflanzen. Fortan wanderten Kräuter kaum noch in die Apotheke, sondern vorzugsweise in den heimischen Kochtopf. Und heute? Plötzlich sind sie wieder da, die Kräuter, ob als Küchengewürz, chemische Duftstoffe, Körperöle oder homöopathische Heilmittel. Kräuter sind wieder in aller Munde und feiern sowohl in der Küche als auch als natürliches Heilmittel eine Renaissance.
Wunderkraut statt Unkraut
Jeder kennt Löwenzahn. Für viele ist er nur Unkraut, stört die Wiese und den Rasen. Ein ungerechtes Urteil, denn in ihm steckt Heilkraft. Die Botaniker sprechen vom Taraxacum. Das ist Griechisch und bedeutet wörtlich übersetzt „Augenheiler“. Löwenzahn soll für Leber, Niere und Galle besonders gut sein, und laut chinesischer Medizin sind diese Organe dem Auge zugeordnet. Als Bub sammelte ich für meine Kaninchen kübelweise Löwenzahnblätter. Die schmeckten ihnen besonders gut. Zu Recht, denn sie sind sehr gesund, auch für den Menschen. Apotheker haben dies längst erkannt, und so gibt es bei ihnen heute Löwenzahntee, Löwenzahndragees oder Löwenzahnblattpulver teuer zu kaufen. Wildkräuter, wilde Pflanzen, wildes Obst und Gemüse sind nährstoffreicher als von Menschen gezüchtete. Sie wachsen in der freien Natur. Der Bärlauch soll fünfmal stärker sein als normaler Knoblauch. Neueste Studien bestätigen wissenschaftlich die Wirksamkeit vieler altbekannter Heilpflanzen, etwa der Pfefferminze. Die Pflanze enthält einen hohen Anteil an ätherischen Ölen, vor allem Menthol. Pfefferminzöl wirkt bei Migräne genauso wie Paracetamol. Johanneskraut wird bei depressiven Verstimmungen gern genommen. Kleinere Verletzungen lassen sich mit Spitzwegerich behandeln, und ein altbewährtes Hausmittel sind die Holunderbeeren. Die Brennnessel ist wahrhaft eine Wunderpflanze mit vielen Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen. Nicht zu vergessen Salbei, vor allem bei Rachenentzündungen. Zu Recht heißt es im Volksmund: Gegen fast jedes Leiden ist ein Kraut gewachsen. Allerdings ist auch Vorsicht geboten. Nicht jedes Pflänzchen ist gut für Körper, Geist und Seele. Wer sich aufmacht, selbst Wildkräuter zu sammeln, sollte sich vorher gut informieren und auf jeden Fall ein Bestimmungsbuch dabeihaben. Neben den essbaren Wildkräutern wachsen auch zahlreiche giftige Pflanzen am Wegesrand.
Vier Fragen an Heinrich Abraham
Diplomherborist und Wildkräuterfachmann, der an der Fachschule für Obst-, Wein- und Gartenbau Laimburg für den Kräuteranbau verantwortlich zeichnete.
Was haben essbare Wildkräuter und Pflanzen, was gezüchtetes Gemüse und Obst nicht hat?
Heinrich Abraham: Unser gezüchtetes Obst und Gemüse stammt von ihren wilden Arten ab. Die Züchtung begünstigte das Aussehen und den Geschmack zum Nachteil der Inhaltsstoffe. Wilde Kräuter, wildes Gemüse schmeckt meist bitter, hat aber viel mehr Inhaltsstoffe, Vitamine und führt viel schneller zu einem Sättigungsgefühl als die schönen und süßlichen Produkte aus dem Supermarkt.
Das alte Kräuterwissen erlebt bei uns eine Renaissance. Zu Recht?
Im Vergleich zu anderen Provinzen in Italien hinken wir sogar nach. So gibt es dort bereits Verzeichnisse mit den verschiedenen Wildkräutern. Jeder mittelalterliche Klostergarten hat schon Dutzende Kräuter angebaut sowohl für die Küche als auch für medizinische Zwecke.
Was muss man wissen, wenn man selber sammeln geht?
Jeder sollte sich vorher ausbilden oder einen Fachmann zu Rate ziehen. Ein Wildkräuterexperte muss die wichtigsten Kräuter unterscheiden können. An der „Laimburg“ kann ein Berechtigungsnachweis zum Sammeln und Abgeben von Wildkräutern erworben werden. Aus- und Fortbildungen zum Kräuterwissen, deren Anbau und Verwertung gibt es im ganzen Land.
Und was ist Ihr Lieblingskraut?
Vieles, vom Taubenkropf-Leimkraut bis zum guten Heinrichsspinat. Wir haben so viele Wildkräuterarten und Wildpflanzen bis hoch hinauf, wo sie unbelastet sind und einen reichen Schatz darstellen.
Bewusst und achtsam leben
Werner Gurschler ist diplomierter Kräutermann und lebt leidenschaftlich in den Kräuter-, Märchen- und Mythenwelten, die sich wunderbar ergänzen und für Körper, Seele und Geist hilfreich sind, wenn sich Menschen darauf einlassen.
Der gebürtige Schnalser lebt heute am Eingang des Ultentals auf dem Punterhof, wo er sich seine „Mythen- und Kräuterwelt“ aufgebaut hat. Er hat sich intensiv mit den Zusammenhängen in der Natur und dem uralten Wissensschatz in Mythen und Märchen auseinandergesetzt.
Bewusst und achtsam leben
Werner Gurschler ist diplomierter Kräutermann und lebt leidenschaftlich in den Kräuter-, Märchen- und Mythenwelten, die sich wunderbar ergänzen und für Körper, Seele und Geist hilfreich sind, wenn sich Menschen darauf einlassen.
Der gebürtige Schnalser lebt heute am Eingang des Ultentals auf dem Punterhof, wo er sich seine „Mythen- und Kräuterwelt“ aufgebaut hat. Er hat sich intensiv mit den Zusammenhängen in der Natur und dem uralten Wissensschatz in Mythen und Märchen auseinandergesetzt.
Was fasziniert Sie an Kräutern und Wildpflanzen?
Werner Gurschler: Sie sind unsere ältesten Begleiter. Pflanzen sind die ältesten Lebewesen auf unserem Planeten. Sie sind beseelte Wesen, die wissen, was wir Menschen brauchen.
Es gab einmal eine Zeit, in der die Menschen verstanden haben, wie sie wirken. Dieses Wissen ist von Generation zu Generation –auch bei uns – weitergegeben worden. Wir leben heute wieder in einer Zeit, in der immer mehr Menschen fühlen, dass wir Teil der Natur, von Mutter Erde sind.
Wie sind Sie zu den Kräutern gekommen?
Das ist mir in die Wiege gelegt. Ich habe im Verlauf meines Lebens vieles gemacht, vor allem im sozialen Bereich. Mein Großvater väterlicherseits war ein sehr naturverbundener Mensch. In der intensiven Auseinandersetzung mit ihm, aber auch mit unseren Märchen und Mythen bin ich auf uraltes Wissen gestoßen.
Warum pflanzt Aschenputtel ausgerechnet einen Haselstrauch auf das Grab der Mutter?
Die Hasel ist nämlich unser Ahnenbaum. Er bringt uns in Verbindung mit unseren Vorfahren. Jede Pflanze, jeder Baum hat einen „Auftrag“ zu erfüllen und die Fähigkeit, dem Menschen zu helfen. Der Holunderstrauch etwa stellt die alte Erdmutter, die dreieinige Göttin dar. Holunder hat heilende Kraft. Die Birke ist ein Lichtbaum, die Lärche ist den „Saligen“, den Lichtwesen geweiht. Aber unsere Vorfahren kannten das alles und haben dieses Wissen in den Märchen und Mythen festgehalten. Die Brennnessel ist eine große Schutzpflanze, eine Kämpferpflanze, die uns wachhält, und wir gehen achtlos an ihr vorbei. Das Johanneskraut ist ein Abwehrkraut. Es symbolisiert das Sonnenrad, das man unter dem Mikroskop auch erkennt.
Das Wissen um die heilsame Kraft der Natur liegt also in unserer Kultur verborgen?
Genau. In Sprichwörtern und Redewendungen, in unseren Bauernregeln, in den Sagen und Märchen stoßen wir dauernd darauf, verstehen sie aber nicht mehr. Die Natur gibt uns mehr oder weniger alles, was wir brauchen. Die „moderne Hexerei“ – ich meine damit unsere Medien, die Werbung und tägliche Manipulation – trüben unsere Sinne. Kräuter, Pflanzen, die Natur hält uns wach, schützt uns davor, „verhext“ zu werden. Wir sollten bewusster und achtsamer leben.
Werner Gurschler gibt sein Wissen gern weiter. Anfragen unter: werner.gurschler@web.de oder Tel. 339 4741720