Meran – Drei historische Villen namens Borodina, Moskau und Lituania liegen verträumt inmitten eines Parks mit altem Baumbestand.
Sie bilden zusammen das erst 80 Jahre später so benannte Ensemble Zarenbrunn in bester Meraner Wohngegend, ergänzt durch die russisch-orthodoxe St.-Nikolaus-Kirche mit Rundbogenfenstern und Zwiebelturm – erbaut gegen Ende des 19. Jh. vom Meraner Architekten Tobias Brenner. Die Auftraggeber dazu waren noch zur Kaiserzeit russische Staatsbürger, die als Gäste in die aufblühende Kurstadt Meran gekommen waren, sich dort nach und nach einbürgerten. Als wohlhabende Kaufleute, Diplomaten, Angehörige des zaristischen Hochadels wollten viele von ihnen den eisigen Wintern im Norden entfliehen, um im milden Klima Merans zu überwintern. Sie nutzten damals bereits die direkte Bahnverbindung – mit Kurswagen aus Moskau und St. Petersburg.
Russische Kolonie in Meran
Um 1875 wurde das erste wohltätige Russenkomitee gegründet. Es sollte die hinterlassenen Geldmittel der jungen, an Tuberkulose erkrankten Tochter reicher Moskauer Würdenträger namens Nadezhda Ivanovna Borodina dazu verwenden, eine Heilanstalt für Lungenkranke zu bauen. Auf stadtnahem, idyllischem Bauplatz wurden vorgenannte Villen im Gründerstil samt Gotteshaus um 1897 errichtet. Letzteres gilt als die älteste russisch-orthodoxe Kapelle in Italien und im Alpenraum. Der österreichisch-russische Kulturaustausch sollte hier Fuß fassen, russische Landsleute sollten beim Besuch in Meran eine heimische Anlaufstelle vorfinden, ihre christlich-orthodoxe Glaubensliturgie hier in vertrauter Gemeinschaft ausüben können. Erkrankte russische Mitbürger sollten im Russischen Haus gesundgepflegt werden. Dessen Blütezeit dauerte bis zum 1. Weltkrieg. In der Folge diente es als Zufluchtsstätte für russische Flüchtlinge – es wurde manchem von ihnen Ersatz für die verlorene Heimat.
Wechselvolle Nachkriegswirren
Die Kriegsjahre führten zum Bruch zwischen der Russenkolonie und dem Vaterland. Die ausgewanderten Russen fühlten sich weitgehend entwurzelt. Sie fanden sich im italienischen Südtirol wieder, wo zeitweise Wohnverbot für Ausländer galt. Die Bewegungen im Russischen Haus kamen um 1950 zum Erliegen, die Gebäude verwaisten zusehends. Es kam zu Inventarplünderungen von wertvollen Ikonen und Einrichtungsgegenständen. 1973 wurde die russisch-orthodoxe Kirche als besonderes Kulturgut noch unter Denkmalschutz gestellt, kurz bevor sich das Russenkomitee auflöste. Ein von der Stadt eingesetzter Kommissär beschloss den Verkauf der kostenaufwändigen Villen; 1978 wurde der Ansitz zum Kurhotel Zarenbrunn umgebaut. Der neue Name konnte den weiteren Niedergang nicht aufhalten – 1985 ersteigerte die Gemeinde Meran die Gesamtanlage aus dem Konkurs.
Seniorenwohnungen im Russen-Ensemble
Um den historischen Gebäuden wieder eine angemessene Zweckerfüllung zu verleihen, musste die Gemeindeverwaltung erneut umbauen. Mit Unterstützung der bewährten Pitsch-Stiftung wurde die Villa Lituania mit Zugang von der Grabmayrstraße zur Senioren-Wohngemeinschaft bis heute. Im Hauptgebäude Villa Borodina mit angebauter Kapelle im Obergeschoss wurden auf drei Etagen Altenwohnungen für zwei Dutzend Insassen eingerichtet. In der Villa Moskau mit den holzgeschnitzten Balkonen fanden 18 kleine Alten-Mietwohnungen Platz. Aus der angestammten Russenstiftung mit 120-jähriger Geschichte wurde 2009 das Russische Zentrum Borodina Meran neu gegründet mit eingetragenem Kulturverein RUS. Treibende Kraft dahinter ist das Ehepaar Pruss, die sich mit der Wahrung des russischen Kulturerbes befassen – darüberhinaus aber den Bogen der wirtschaftlich-sozialen Beziehungen zwischen Südtirol und Moskau erfolgversprechend gespannt haben. So konnte die Landesregierung unter Durnwalder mit dem Zuspruch namhafter diplomatischer Funktionäre davon überzeugt werden, eine großzügige Investition zugunsten von Zarenbrunn seitens der öffentlichen Hand zu tätigen. Das Land Südtirol ist somit seit 2014 Besitzer von Zarenbrunn und gewährt gleichzeitig dem Russischen Zentrum in der Villa Borodina vertragliches Bleiberecht für die Ausübung ihrer kirchlich-kulturellen Traditionen und Veranstaltungen.
von Jörg Bauer