An die 8000 Apfelbauern gibt es in Südtirol. Sie ernten fast eine Million Tonnen Äpfel jedes Jahr. Das sind 7 Milliarden Äpfel, ein Apfel für jeden Menschen auf der Erde. 7 Prozent davon sind „bio“.
Das Erntejahr 2018 ist schon voll im Gang. Die anhaltende Hitze hat richtig Zucker in die Gala gepumpt. Aber nicht alle haben Grund zur Freude. Die Wetterkapriolen der vergangenen Monate und der Hagel haben so manche Obstwiese arg in Beschlag genommen.
Trotzdem: Das mediterrane Wechselklima mit regnerischem Frühling, sonnigem Sommer und Herbst mit großen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht ist ideal für den Anbau einer Vielzahl leckerer Sorten. Auf ca. 18.000 Hektar werden Äpfel bei uns angebaut, das entspricht ca. 2,5 % von Südtirols Gesamtfläche und mehr als 25.000 Fußballfeldern. Jeder zweite in Italien geerntete Apfel stammt aus Südtirol – jedes Jahr werden bei uns rund eine Million Tonnen Äpfel geerntet. Das entspricht 50 % der italienischen und 10 % der europäischen Apfelernte.
Integrierter Anbau
Der Großteil der Bauern baut integriert an. Dabei werden die Bäume regelmäßig auf Krankheiten kontrolliert und Pflanzenschutzmittel nur bei Überschreiten der Schadensschwelle ausgebracht. Einige wenige Substanzen sind erlaubt. Trotzdem: In der Region Südtirol-Trentino soll der höchste Chemieeinsatz Italiens gemessen werden. Im Vinschgau hat in den letzten Jahren der Pestizideinsatz zu einem regelrechten Apfelkrieg geführt. In Mals wurden die „Gifte“ nach einem Volksentscheid verboten. Bauern, insbesondere Biobauern, fürchten die Ausbreitung der Pestizide auf ihre Äcker und Wiesen.
7 Prozent sind bio
7 Prozent der Südtiroler Äpfel werden aber biologisch angebaut. Das klingt nach nicht viel, ist es aber. Mit rund 40 % bzw. 70.000 Tonnen Jahresernte sind wir der größte Bio-Apfel-Lieferant Europas. Und ein echter Vorreiter in Sachen bio. Bereits in den 1990er-Jahren begannen die ersten Bauern nach biologischen Richtlinien Äpfel anzubauen. Heute wird etwa auf 10 % der Gesamtfläche biologisch produziert. Dabei wird unter zwei Anbaumethoden unterschieden: Zum einen der organisch-biologische Anbau mit naturnahen Methoden und ohne Einsatz von chemisch-synthetischen Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Zum anderen der biologisch-dynamische Anbau (auch Demeter genannt), bei dem jede Maßnahme zudem auch im Hinblick auf das ganzheitliche Ökosystem geprüft und der Einfluss der Gestirne berücksichtigt wird.
In Algund entsteht die erste Genossenschaft
Der Obstbau hat bei uns eine lange Tradition. Schon im 16. Jahrhundert wurde frisches und konserviertes Obst an die österreichischen und russischen Höfe geliefert. Mit der Eröffnung der Brennereisenbahn 1867 begann der Siegeszug dann europaweit. 1893 wurde Tirols erste Obstgenossenschaft in Algund gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der lokale Apfelexport einen Boom. In der Nachkriegszeit wurden die Wegenetze und Transportmittel optimiert und neue Lagertechnologien entwickelt, welche den Apfel von einem saisonalen Produkt in eine Frucht verwandelt haben, die inzwischen zwölf Monate im Jahr genussreif erhältlich ist. Nach mehreren Fusionen ist die Burggräfler COFRUM zur größten Genossenschaft Südtirols geworden. Der Name ist eine Abkürzung der italienischen Bezeichnung „Cooperativa Frutticoltori Marlengo“. Die erste Fusion erfolgte 2002 mit der Obstgenossenschaft Tscherms. Zu einem weiteren Zusammenschluss kam es 2008 mit der Obstgenossenschaft Gargazon-Tisens. Die jüngste Fusion mit Algund ließ die Cofrum mit 615 Mitgliedern zur landesweit größten Genossenschaft werden.
Mit dem Gala beginnt es
Gala sind die ersten. Gepflückt wird bis Mitte Oktober. Äpfel bestehen übrigens zu 85 % aus Wasser und zu 8 % aus Fruchtzucker. Sie enthalten kaum Fette, dafür aber viele wertvolle Inhaltsstoffe wie Vitamine, Mineralien und Vitamin C . Zwei Wochen lang darf jetzt eine Sorte geerntet werden. Den genauen Starttag gibt die Genossenschaft vor. Einmal dort angekommen, durchlaufen die Äpfel ein Wasserbad und eine genaue Video-Kontrolle. Je nach Größe, Farbe, Schäden und Schalenreinheit werden sie aussortiert. Danach richtet sich der Auszahlungspreis an die Bauern. 13 der über 18 in Südtirol angebauten Apfelsorten tragen das EU-Gütesiegel. Für jeden Geschmack ist etwas dabei: von den säuerlichen Granny Smith, Idared, Topaz und Morgenduft bis zu den aromatischen Gala, Jonagold, Elstar und Pinova. Am saftigsten sind die Sorten Braeburn, Fuji und Winesap, am süßesten Golden und Red Delicious. Auch jene Äpfel, die kein Qualitätssiegel bekommen, können vielseitig verwendet werden. Im Strudel schmecken bekanntlich die Golden Delicious am besten.
„Erst im Kopf umstellen, dann in der Wiese“
In der Industriezone von Lana hat Biosüdtirol seinen Sitz. Seit 6 Jahren ist der Lananer Bernhard Lösch Obmann der noch jungen Genossenschaft.
200 beherzte Bauern zwischen Meran, Salurn und Brixen vermarkten hier ihre Bio-Äpfel in alle Welt. „Auf biologische Landwirtschaft umzustellen sollte Überzeugung und Herzenssache sein und nicht wegen höherer Umsätze erfolgen“, rät Lösch. Ein Gespräch mit Bernhard Lösch und Biosüdtirol-Geschäftsführer Werner Castiglioni.
BAZ: Wie kam es zur Gründung von Biosüdtirol?
Bernhard Lösch/Werner Castiglioni: In den frühen 1990er Jahren haben knapp 20 Südtiroler Bauern auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Anfangs waren es Einzelkämpfer, die sich dann zur Bioland-Verarbeitungs-Genossenschaft (BVG) zusammengeschlossen haben. Später spaltete sich Vinschgau ab, im Burggrafenamt wurde im Jahr 2000 Bio Meran gegründet. 2002 fusionierten Bio Meran und BVG zu Biosüdtirol.
Wer steht hinter Biosüdtirol?
200 Betriebe mit einer durchschnittlichen Anbaufläche von 3,4 Hektar, die jährlich zwischen 25.000 und 30.000 Tonnen Bio-Äpfel ernten. Wir gehören zum Verband der Südtiroler Obstgenossenschaften (VOG) und beschäftigen 80 Mitarbeiter.
Was macht das „Bio“ in den Äpfeln aus?
Wir verzichten auf synthetische und chemische Pflanzenschutzmittel und Dünger. Unsere wichtigsten Pflanzenschutzmittel sind Kupfer, Schwefel und Schwefelkalk. Als Insektizid nehmen wir das pflanzliche Niemöl. Unsere Mitglieder produzieren sowohl biodynamisch als auch organisch. Es geht uns nicht nur darum Äpfel zu produzieren, sondern auch um die Art und Weise des Anbaus, also wie wir mit der Natur umgehen. Rückstandsfreie Äpfel sind die Folge unseres Handelns und unserer Entscheidung, wie wir mit der Natur arbeiten.
Lohnt es sich auf Bio umzustellen?
Die Auszahlung fällt zwar höher aus, wir gehen aber auch ein größeres Risiko ein. So sind die Erträge geringer als im integrierten Anbau, der Arbeitsaufwand ist größer und es steckt viel Handarbeit drin. Die Umstellungszeit auf biologischen Anbau beträgt außerdem 3 Jahre.
Wer sind Ihre Abnehmer?
Nicht mehr ausschließlich die traditionellen Biofachgeschäfte, sondern die großen Supermarktketten, Großmärkte und Discounter. Wir verkaufen 10 % in Italien, exportieren 40 % unserer Ernte nach Nordeuropa, 20 % nach Deutschland und der Rest kommt in alle Welt, auch nach Übersee.
Südtirol gerät durch seinen Chemieeinsatz in der Landwirtschaft immer wieder in die Schlagzeilen. Warum kann man nicht ganz auf biologische Landwirtschaft umstellen?
Die Frage ist nicht, ob es möglich ist, sondern ob es sinnvoll ist. „Von oben“, also von Seiten der Politik kann man das nicht befehlen, das würde auch nicht funktionieren. Die Entscheidung eines Bauers, auf biologische Landwirtschaft umzustellen, ist ein Schritt, der vieles für ihn verändert. Wir sehen, dass dieser Schritt häufig mit einem Generationswechsel oder einer Familiengründung einhergeht. Nur umzustellen, um einen höheren Umsatz pro Hektar zu machen, ist nicht sinnvoll. Wie gesagt, die Herausforderung ist nicht gering, aber dank der Erfahrung der letzten Jahrzehnte und der technischen Entwicklungen ist es absolut möglich, biologische Landwirtschaft in Südtirol zu betreiben und davon gut zu leben.
Südtirol hat sich auf den Apfelanbau spezialisiert. Ist es nicht problematisch – auch vor dem Hintergrund des Klimawandels – so sehr auf Monokulturen zu setzen?
Grundsätzlich ja, allerdings haben wir in Südtirol wenig Flächen zur Verfügung, da nur ein Bruchteil unseres Landes landwirtschaftlich nutzbar ist. Viele Kulturen wie Getreide brauchen aber große Flächen. Zudem haben wir eine kleinstrukturierte Landwirtschaft mit vielen Familienbetrieben. Für sie macht die Spezialisierung Sinn. Für den regionalen Markt ist eine vielfältigere Anbauform aber durchaus realistisch und auch anzustreben. Allerdings haben wir bisher keine wirklichen Alternativen zum Apfel- und Weinanbau gefunden.
Was ist der Trend im Apfelanbau und auf welche Sorten sollten Bauern setzen?
Die Bauern sind gut beraten, auf jene Sorten zu setzen, die zu ihren jeweiligen Wiesen passen. Dabei spielen Höhenlage und Böden eine wichtige Rolle. Im „Bio“ sind Sorten, die eine gute Haltbarkeit im Lager haben und schorfresistent sind, zu empfehlen. Dazu gehören die neuen Sorten wie Natyra, Bonita, Story Inored. Generell sind zweifarbig-rote, knackige und saftige Äpfel im Trend. In Nordeuropa sind mehr saure Äpfel gefragt, in Asien hingegen süße.
Wann werden wir einen Apfel aus Südtiroler Zucht haben?
Wir tun gut daran, dieses Kirchturmdenken hinter uns zu lassen. Vielmehr geht es darum, Sorten zu finden, die gut in unser Mikroklima passen und diese dann auch an den richtigen Standorten zu pflanzen. Das heißt für uns Bauern weniger Schwierigkeiten im Anbau, weniger Arbeit, weniger Ressourcenverbrauch und Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.
von Josef Prantl