Der Herbst steht vor der Tür. Und mit ihm das Törggelen. Törggele-Experte Christoph Gufler weiß alles über den Brauch.
Das Törggelen erfreut sich in Südtirol großer Beliebtheit. Der Herbst ist die Zeit des Törggelens. Bis in den Dezember hinein warten dabei viele Buschenschenke und Gasthöfe mit allen Köstlichkeiten auf, welche Küche und Keller zu bieten haben. Was es mit diesem alten Brauch auf sich hat, davon weiß Christoph Gufler Bescheid.
Gufler (Jahrgang 1956) ist Experte, wenn es ums Törggelen geht. Er gibt sein breites heimatkundliches Wissen seit langem in Beiträgen in verschiedenen Medien weiter. Zuletzt sind die Kulturführer „Meran und Umgebung“ und „Lana und Umgebung“ erschienen.
Auch ein Kastanien- und ein Apfelbuch stammen aus der Feder des langjährigen Bürgermeisters von Lana (1995 bis 2010).
Im BAZ-Interview räumt Gufler mit Missverständnissen und Mythen, die sich um das Törggelen ranken, auf und erklärt den Ursprung des Herbstbrauches.
BAZ: Was versteht man unter Törggelen?
Christoph Gufler: Das Törggelen ist ein alter Brauch. Es ging dabei stets darum, im Spätherbst beim Bauern den neuen Wein zu verkosten. Dazu begab man sich in die Torggl, das ist ein ebenerdiger Raum, der seinen Namen von der großen dort aufgestellten hölzernen Weinpresse hat. Torggeln sind bei uns schon seit dem Mittelalter bezeugt. Der Name der Traubenpresse kommt vom lateinischen torquere, was soviel wie pressen bedeutet. Man ging in die Torggl, um den „Nuin“ zu verkosten.
Seit wann gibt es das Törggelen und wo war bzw. ist es am stärksten verbreitet?
Der Brauch des Törggelens ist seit dem 19. Jahrhundert ausdrücklich bezeugt. Sicherlich ist er aber noch älter. Verbreitet war bzw. ist das Törggelen vor allem im Eisacktal und im Etschtal.
1845 schreibt der gelehrte Benediktinerpater Beda Weber: „Die gebratenen Kastanien schmecken besonders gut zum Wein und Herbstpartien auf diese Leckerkost gehören zu den Freuden der Etschländer“. Fast gleichzeitig, nämlich 1846, beschreibt der Reiseschriftsteller Ludwig Steub in seinem Buch „Drei Sommer in Tirol“ ausführlich eine Törggelepartie in der Meraner Gegend. Von Ernst Loesch stammt eine reizende Schilderung des alten Brauches in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg aus der Gegend von Klausen und der große Kunsthistoriker Josef Weingartner erzählt wiederholt von zünftigen Törggelepartien rund um Brixen.
In verschiedenen Veröffentlichungen wird das Törggelen als Festessen bezeichnet, mit dem man im Spätherbst den Abschluss der Ernte feierte. Sie sind da anderer Meinung?
Ja, denn das mit dem Erntedank-Festessen stimmt mit Sicherheit nicht. Beim Törggelen stand der neue Wein im Mittelpunkt. Die oben erwähnten Chronisten und andere Quellen sagen das ganz klar. Bei Steub heißt es 1846: „Zur Zeit, wenn der neue Wein hell geworden, gehen die Bauern in die Stadt und laden die Herren ein den neuen Trank bei ihnen zu versuchen. Eigentlich sollte dies in der Torkel geschehen und deswegen heißt auch die lobenswerte Übung Törkeln“. Ernst Loesch schreibt in seinen „Eisacktaler Erinnerungen“ 1919: „Törggelen? Da geht man zum Bauern und trinkt neuen Wein von seinem Eigenbau“. Josef Weingartner berichtet etwa zur selben Zeit, dass sich „im Spätherbste zahllose Kolonnen von Bürgern in Bewegung setzen, um den ‚Nuien‘ an der Quelle, bei den Weinbauern zu verkosten.“ Er erwähnt auch, dass am Hof nur „gebratete Kastanien, Nüsse und hartes Brot“ gereicht wurden, was auch die beiden anderen Chronisten bestätigen.
Seit dieser Zeit hat sich das Törggelen ziemlich verändert. Wie bewerten Sie das heutige Törggelen?
Heute steht beim Törggelen der neue Wein nicht mehr so im Mittelpunkt wie früher. Jetzt ist es wirklich mehr ein Festessen mit typischen, größtenteils am Hof hergestellten bäuerlichen Gerichten. Wobei bei Kennern der Eigenbauwein und seine Qualität immer noch eine wichtige Rolle spielen. Wichtig erscheint mir, dass das Törggelen dort bleibt, wo es von Anfang an hingehört, nämlich auf den Bauernhof, dort wo die Trauben wachsen und gekeltert werden. Es gibt im Eisacktal und auch im Etschtal noch etliche richtige „Buschen“, wo man in der schönen getäfelten Stube oder im Hof im Schatten eines Nuss- oder Kastanienbaumes sitzen kann. Zum Törggelen gehört die bäuerliche Kultur, gehört eine Wanderung durch die herbstliche Landschaft unbedingt dazu. Sogenannte Törggelefeste und dergleichen haben mit dem alten Brauch nichts zu tun.
von Michael Andres