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Schloss Winkel

Dieses Baudenkmal und die Pitsch-Stiftung sind geschichtlich miteinander eng verwoben und zählen zum Kulturerbe der Stadt Meran.

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Der ursprüngliche Gutshof der Bauernfamilie Winkler auf halbem Weg von Obermais nach Meran aus dem 14. Jh. erfuhr aufgrund seiner wundervollen Lage alsbald bedeutende bauliche Veränderungen durch seine späteren Besitzer aus Zunft und Adel. Kaspar von Rosenberg, Vertrauter von Erzherzog Maximilian II. erwarb das bäuerliche Anwesen im 17. Jh. und erweiterte die Baulichkeiten zum stattlichen Wohnschloss im Stil der Renaissance – mit mehrstöckigem Palas und mächtigem Treppenturm samt barocker Kuppel, gedeckt in Kupferblech. Mehrere Wirtschaftsgebäude umrahmen den großzügigen, kopfsteingepflasterten Innenhof. Auf erhöhter Ebene liegt der weitläufige Zier- und Nutzgarten – alles umgeben von einer Ringmauer mit Eingangstoren aus allen vier Himmelsrichtungen.

Geschichtliche Entwicklung
Schloss Winkel erlebte zahlreiche Besitzerwechsel, darunter reihte sich kurzzeitig Erzherzogin Claudia de᾿ Medici, Landesherrin von Tirol, ein. Später um 1810 war es Kronprinz Ludwig von Bayern, der spätere kunstsinnige Sonnenkönig, der sich für den Erwerb der bestgelegenen Schlossanlage interessierte – was die damaligen politischen Verhältnisse jedoch verhinderten. Um 1812 wurde Schloss Winkel samt seinen ausgedehnten Grundstücken Eigentum des aufstrebenden Landmannes Urban Pitsch, welcher als Haupt­mann beim Tiroler Freiheitskampf Bergisel 1809 eine 100 Mann starke Kompanie angeführt hatte. Mit ihm als unternehmerischen Pioniergeist begann eine neue produktive Blütezeit landwirtschaftlicher Erfolge sowie gesellschaftlicher Bedeutung auf Schloss Winkel.

Die Ära Pitsch ab 1812
Urban Pitsch sen. 1765 geboren in Marling, entstammte bürgerlichen, tiefgläubigen Verhältnissen. Sein Lebensglück und den stetigen Erfolg fand er – ohne ererbtes Vermögen – durch unermüdlichen Fleiß und Sparsamkeit, durch seinen ehrenhaften rechtschaffenen Einsatz. Binnen weniger Jahrzehnte brachte er es aufgrund seiner Tüchtigkeit zum vermögenden Familienpatron. Er war Sternwirt und Gastwirt zum Lamm in Meran. Von seinem Bruder übernahm er den Pichlhof in Marling/Mitterterz, und neben dem Gutshof Schloss Winkel erwarb er den ansehnlichen Leitenbauerhof in Terlan. Mit 33 Jahren heiratet er, wird Vater von neun Kindern und gilt bald als bedeutendster Grundbesitzer und Weinhändler im Burggggrafenamt. 1834, mit 69 Jahren, übergibt er Schloss Winkel an den Sohn gleichen Namens. Er regelt testamentarisch seine Erbfolge und zieht sich zurück in sein Haus am oberen Meraner Pfarrplatz. Dort verstarb er 10 Jahre später und fand sein Grabmal direkt an der Pfarrkirche St. Nikolaus. Sohn Urban Pitsch jun. 1808 geboren in Meran, übernahm als junger Haupterbe des Vaters Lebenswerk – er besaß die ähnlichen tatkräftigen Gene. Schloss Winkel wurde zu seinem Stammsitz,

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daraus machte er eine Musterwirtschaft als Gutshof. Das Anwesen wurde in seiner Gesamtheit renoviert. Eine Hauskapelle, ein Garten- und Gästehaus, ein großer Stadel für Vieh- und Milchwirtschaft wurden dazugebaut. Urban Pitsch jun. gelang es, das umfassende Familienvermögen noch zu erweitern. Neben diversen Grundstücken im Tale erwarb er den Eishof im Pfossental mit ausgedehnten Sommerweideflächen. Den Handel und Versand von Südtiroler Weinen konnte er bis über die Landesgrenzen ausweiten. Auf Schloss Winkel verkehrten einflussreiche Bürger und Adelige jener Zeit. Mehrere Stockwerke im Schloss wurden als Fremdenwohnungen ausgestattet und vermietet. Zusammen mit anderen Grundbesitzern gründete Urban Pitsch um 1850 einen Verein zur Förderung des Kurwesens von Meran. Mit Weitblick und Sinn für das Gemeinwohl hat er sich verdient gemacht um stadtbildende Pionierleistungen wie die Anlage von Parks und Spazierwegen über die Sommerpromenade von Obermais bis an die Passer, unter Abtretung der eigenen Grundparzellen. Zeitlebens blieb er dem Glauben wie der kirchlichen Geistlichkeit eng verbunden. Vor diesem Hintergrund ist das 1865 verfasste Testament von Urban Pitsch jun. zu deuten, nachdem zwei Ehen kinderlos geblieben waren. Zwei Jahre vor seinem frühen Ableben mit 58 Jahren bestimmte er detailliert allfällige Erbanteile für seine Witwe, für seine ledigen Schwestern, für wohltätige Zwecke – den überwiegenden Anteil seiner Besitzungen vermachte er der Kirche. Den beiden Pfarreien Meran und Mais wollte er das Verfügungsrecht über sein Stammvermögen anvertrauen, dessen Besitzstand etwa 72 ha Land mit Dutzenden an Gebäuden aufwies. Seinen Grabstein an der Pfarrkirche St. Vigil – Untermais zieren die biblischen Worte: Ihre Werke folgen ihnen nach.

Werdegang Pitschsche Stiftung

Maria Pitsch verstarb als letztes Familienmitglied 1978. Ihre Hinterlassenschaft ließ sie vollständig in die Stiftung ihres Bruders einfließen. Die geistlichen Herren als Nachlassverwalter verwendeten anfangs nur die betrieblichen Reinerträge für karitative Zwecke. Mit dem Verkauf der ers­ten Grund­stücke 1884 kamen der Kirche alsbald weltliche Interessen in die Quere. Im Streit mit Behörden und durch verlustreiche Kriegsanleihen gingen Stiftungsgelder verloren. Ab 1920 sollte Schloss Winkel samt seinem Betrieb veräußert werden. Eine dazu extra gegründete Gesellschaft verschacherte dieses Kleinod unter Wert. Seit Kriegsende wurde vom privaten Eigentümer nichts mehr investiert. Eines der schönstgelegenen Meraner Baudenkmäler dämmert seitdem dem Verfall entgegen. Die wohltätigen Bausteine der Pitsch-Stiftung sind dennoch in Meran allgegenwärtig – zu finden in Kirchen, Schulen, Wohnbau, in Parks und Altenheimen und im Seniorenwohnheim Seisenegg. Die Pitsch-Stiftung betreut heute im Sozialauftrag über 200 Senioren mit geschulten Pflegebediensteten und ist nach 150 Jahren immer noch ein Segen für die Passerstadt.

von Jörg Bauer