Als Prunkstück der zeitgenössischen Theaterarchitektur samt seiner ursprünglichen Originalausstattung hat sich dieses Baudenkmal bis heute erhalten.
Es war die k.u.k. Zeitepoche vor 150 Jahren, in der sich das Landstädtchen Meran, bekannt durch sein mildes Klima, seine liebliche Umgebung und seine heilenden Wasser zur mondänen Kurstadt an der Alpensüdseite aufschwang.
Tourismus-Anfänge im 19. Jahrhundert
Neben dem Adel belebten namhafte Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst sowie zunehmend gutsituierte Besucher aus dem Großbürgertum das Meraner Kurambiente. Die willkommenen Gäste sollten standesgemäße Unterkünfte vorfinden. So entstanden in nie dagewesener Aufbruchstimmung Gästehäuser, Grandhotels, Pensionen, Badehäuser unter ärztlicher Leitung. Für das Wohlbefinden der Urlaubsgesellschaft sollten entsprechende Kultureinrichtungen geboten werden. In der für Meran so bedeutenden Gründerzeit ab 1850 lagen die Wurzeln für die gestalterische Bedeutung des Kurortes und seinen Bekanntheitsgrad, der bis heute anhält. 1874 eröffnete das Meraner Kurhaus als stilvolles Veranstaltungszentrum, mit Kurabteilung und eleganten Mehrzwecksälen für Konzerte, Feste, Musik, Theater. Ein Kurorchester mit fester Besetzung wurde eingerichtet und gehörte alsbald mit festtäglichen Darbietungen zum gehobenen Kurbetrieb. Auch Volksschauspiele auf Gesellenvereinsbühnen waren damals verbreitet; ihre Tradition reicht zurück bis ins späte Mittelalter. Es gab in Meran lediglich das kleine Rosengartentheater für die Aufführung von Volksstücken. Der zunehmende Kurgastbetrieb ging einher mit immer anspruchsvollerem Publikum, das sich nach Theaterklassikern und Operetten mit Orchesterbegleitung sehnte. Erste Aufführungen in kleinem Rahmen wurden im Kurhaus Meran erprobt. Das Fehlen eines repräsentativen professionellen Theaters in der aufstrebenden Kurstadt war jedoch unübersehbar. Ein 1884 gegründetes Theaterbaukomitee sollte Abhilfe schaffen.
Projekt-, Standort-, Finanzierungsfragen
Noch jahrelang zogen sich diese Grundsatzfragen samt Architekturwettbewerben hin bis zum 1. Spatenstich des Theaterneubaus im August 1899. Mit einer beispielhaften Bausteinaktion für die Beihilfe zur Finanzierung des Prestigeobjektes im Herzen der Kurstadt hatten sich Gönner, Prominente, Gäste, viele Meraner Bürger durch Zeichnung von Anteilen hervorgetan. Den Bauauftrag erhielt wider Erwarten nicht die führende Gilde der Wiener Theaterbauer, sondern aufgrund der Fachempfehlung des beratenden bayrischen Architekturprofessors Fischer das ehrgeizige Architektenteam um Martin Dülfer, aus Breslau gebürtig, mit Kreativatelier in München.
Dekorative Theaterarchitektur
Vorweggenommen sei, dass sich die Wahl des Projektanten im Zusammenwirken mit dem damals führenden Baumeisterbetrieb von Peter Delugan als seltener Glücksgriff erwies. Die unglaublich kurze Bauzeit von 15 Monaten, bei 2 Monaten Winterruhe, für die ordnungsgemäße Ausführung dieses komplexen Theaterbauvolumens samt detailreicher Innenausstattung bleibt eine Meisterleistung – selbst für heutige Begriffe. Vom Aushub der Baugrube bis zum Mauerwerk aus gehauenen Bruchsteinen, bis hin zur gezimmerten Dachkonstruktion galt es mit geballter Manneskraft, mit Handwerksgerät und Pferdefuhrwerken für den Materialtransport ein Bauwerk fertigzustellen; dabei waren Hundertschaften von angeworbenen Bauarbeitern zu koordinieren, zu kontrollieren, zu versorgen. Das Baujuwel Meraner Stadttheater wurde ohne Hilfe von Bagger, Kran, Maschinen oder Spannbeton in Rekordzeit meisterlich vollendet. Für die besondere Architektenpersönlichkeit Martin Dülfer war dies sein Erstlingsprojekt im Theaterbau, dem zahlreiche weitere Referenzobjekte folgten. Sein schöpferisches Gestalten im Zeichen des Jugendstils sowie als Vorläufer des Art Deco umfasste stets das gesamte Projekt inklusive der Formsprache und Funktion aller wichtigen Details der Innenausstattung. Es ist ihm in genialer Weise gelungen, den hohen Erwartungen eines einzigartigen Theater-Musetempels für Meran in vieler Hinsicht zu entsprechen. Mit sicherem Gespür für die ansprechende Raumgliederung in seiner Größe, Funktionalität und eleganten Ausstrahlung durch formvollendete Stilmischung von Klassizismus und Avantgarde präsentiert er das Stadttheater über 2 Etagen. Die Eröffnungsprämiere mit Goethes Faust wurde am 1. Dezember 1900 gefeiert.
Stadttheater-Raumaufteilung
Der Haupteingang in der Mitte der symmetrischen Westfassade liegt hinter vier kräftigen Marmorsäulen und wird überdacht von der Sommerterrasse des Hauptfoyers im Theaterobergeschoss.
Drei Schwingtüren mit Messingornamentik eröffnen das Kassenvestibül, vom dem aus, 2 Porphyrstufen höher, durch weitere Doppelschwingtüren die Ränge erschlossen werden.
Ein elegantes Marmorgranulat am Boden und die wunderschöne weiße Ovaldecke mit kunstvollem Zentralluster dominieren dieses Eingangsfoyer. Von Wandelgängen mit Garderoben und Serviceräumen im Erdgeschoss gelangt man seitlich in das zentrale Auditorium mit sanft geneigtem Boden hin zur Bühne. Vom repräsentativen Theater-Hauptfoyer mit Barbuffet im Obergeschoss führen seitliche Ringfoyers mittels doppelwandiger Schwingtüren zu den Logen im 1. Rang; ein separater Treppenaufgang erschließt die höher gelegene Galerie mit Logenbalkonade. Der stimmige große Theatersaal wird überspannt von einer reich verzierten Stuckdecke. Darin verbaut sind dekorative Beleuchtungskörper und Belüftungsrosetten. Das Theater verfügt über eine bestens ausgestattete Profibühne und über tadellose Akustik im gesamten Auditorium.
Theatererfolge, Renovierungsarbeiten
Seine Glanzzeit erfuhr das Stadttheater von Beginn an mit jährlich bis zu 250 Aufführungen. Die Kriegsjahre beeinträchtigten den Kulturbetrieb beider Sprachgruppen, der jedoch nie ganz zum Stillstand kam.
Zeitweise wurde das Theater zum Puccinikino umfunktioniert. Mit dem legendären Impresario Karl Margraf kam Meran in der Nachkriegszeit wieder zu einem festen Theaterensemble und zu neuen Theatererfolgen. Er führte Regie bei umfangreichen Renovierungsarbeiten ab 1971, geleitet vom Meraner Architektenehepaar Gutweniger.
Mit der Erneuerung aller substanziellen Stukturen samt Innenausstattung, mit zeitgemäßer Haus- und Bühnentechnik versehen, erwartet das Meraner Stadttheater als originelle Bauikone der Jahrhundertwende seine kulturbewussten Gäste auch heute im ursprünglichen Glanz.
von Jörg Bauer