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Das Webwunder

Vor 30 Jahren war Fliegen noch ein Luxus. Telefonieren ins Ausland kam einem teuer zu stehen. Heute fliegen wir zu Spottpreisen, telefonieren gratis in alle Welt. Anstelle von Briefen schreiben wir Emails, anstelle fernzusehen surfen wir durch das weltweite Web.

Vieles ist heute wirklich anders. Kinder und Jugendliche können das alte Telefon mit der Wahlscheibe gar nicht mehr benutzen, der Fernseher lockt niemanden mehr aus der Reserve, Radio, Plattenspieler oder CD-Player findet man höchstens bei der Generation 50+. Laptop, PC, Smartphone sind die Medien von heute, ohne die ein Leben nicht mehr vorstellbar ist. Dahinter steckt eine Idee, die vor 30 Jahren geboren wurde, ein „Weltwunder“, wie es einige schon bezeichnen. Denn noch nie in der Geschichte der Menschheit konnten wir so schnell an Informationen gelangen und miteinander kommunizieren.

Die Geburtsstunde des Web
Ursprünglich hatte Tim Berners-Lee keineswegs vor, die Welt zu verändern. Eigentlich wollte er nur das Informationsmanagement seines Arbeitgebers verbessern. Genau darüber schrieb Berners-Lee in seinem berühmt gewordenen Papier, das er am 12. März 1989 vorstellte. Es gilt heute als das Gründungsdokument des World Wide Webs, abgekürzt www. Damals war Berners-Lee gerade einmal 33 Jahre alt. Geboren wurde er 1955 in London. Schon seit seiner frühen Kindheit hatte er mit Computern zu tun, seine Eltern waren an der Entwicklung eines der ersten programmierbaren Computer beteiligt, dem Manchester Mark I. Berners-Lee studierte in Oxford Physik und arbeitete ab Mitte der 1980er Jahre beim Cern, der Europäischen Organisation für Kernforschung bei Genf. Es war seine Idee, ein internetbasiertes Netzwerk mit Servern, Webseiten, Links und Browsern aufzubauen, auf das jeder zugreifen konnte und in dem jeder seine Daten ablegen konnte. Sogenannte Hypertexte sollten mit „Links“ vernetzt sein. Er entwickelte ein Konzept, durch das Informationen einfacher online gestellt und angeschaut werden konnten und erst so konnte das Internet zum Massenmedium werden.

4 Milliarden Menschen sind online
In Europa ist heute weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung täglich online. Insgesamt surfen weltweit schon 4 Milliarden Menschen im Internet, erledigen dort Einkäufe, Bankgeschäfte, Reiseplanung oder Partnersuche, lesen online Nachrichten oder veröffentlichen selbst Informationen. Das Surfen im „Netz“(=net), also das Klicken von Link zu Link, ist es, was vor drei Jahrzehnten das Neue am World Wide Web ausmachte. Diese Verknüpfungen sind die Grundlage des weltweiten Datennetzes. „Das Web wird dadurch aufgespannt, dass man die Hypertext-Links hat, also die Verweise auf Adressen auf anderen Rechnern“, sagt der Dortmunder Informatiker Gerd Sokolies. Die Fülle von Daten, die zur Verfügung stehen, und diese Links, die man anklickt, um wieder woanders hinzukommen, die machen letztendlich das World Wide Web aus.

Mit dem Arpanet begann 1969 alles
1990 ging die erste Internetseite online, mittlerweile knacken wir die Milliardengrenze. Niemand hätte sich vor 30 Jahren vorstellen können, wie das Internet unser Leben verändert: Ohne Zweifel, was da vor genau 50 Jahren vor dem Hintergrund des Kalten Krieges erfunden wurde, ist die bedeutendste Erfindung der Menschheit seit dem Buchdruck. Das erste Netzwerk war das sogenannte „Arpanet“, das mehrere Computer amerikanischer Universitäten miteinander verband. Die erste und heute erfolgreichste Internetanwendung ist übrigens die E-Mail. Aber außer an Hochschulen und Universitäten fand Arpanet kaum Anwendung. Das änderte sich mit der Erfindung des World Wide Web schlagartig. In Italien surfen heute rund 45 Millionen Menschen durch das Internet. Und mit der Einführung von 5G, die sogenannte fünfte Mobilfunkgeneration, dürfte die Verbreitung noch einmal exponentiell anwachsen, denn 5G soll nun auch die Vernetzung aller Maschinen und Geräte durch Internet vorantreiben.

Ein großes Geschäft
Aber: Datenskandale, Fake News, Hasspostings, im 30. Jahr seines Bestehens hat das Word Wide Web einen schlechten Ruf. Zwei große Gefahren kristallisieren sich heraus: die sogenannte „Überwachungs- und Datenkrake“ und die enorme Ökonomisierung des Internets. Berners-Lee sieht zu Recht die größte Gefahr in den Datenmonopolen der Plattformbetreiber. „Ich habe immer geglaubt, dass das Internet für alle da ist“, schrieb er Ende September 2018 in einem Blogeintrag. „Aber bei allem Guten, was wir erreicht haben, hat sich das Web zu einem Motor der Ungerechtigkeit und Spaltung entwickelt, beeinflusst von mächtigen Kräften, die es für ihre eigenen Zwecke nutzen.“ Es sei eine völlig neue Ökonomie entstanden, wo das wirklich große Geld verdient werde, warnen Kritiker. Aus einem offenen Ort des Wissens und der Kommunikation sei aus dem Internet eine Überwachungs- und Datenkrake geworden. Um dem wieder Herr zu werden, müssten die großen Monopole wie Facebook, Google, WhatsApp, Youtube, Amazon & Co. infrage gestellt werden. Vorbild könne die Zerschlagung von Standard Oil im Jahre 1919 in den USA sein. Vielen von uns ist eigentlich nicht bewusst, dass die Eintrittskarte für Google, Facebook & Co. unsere Daten sind.

Wir brauchen einen Internet-Vertrag
Manche Medien brauchen eine Weile, bis wir wissen, wozu sie da sind. Das Telefon zum Beispiel wurde zunächst wie ein persönliches Radio benutzt. Man übertrug Musik per Fernsprecher in Hörräume; das erste Mal übrigens 1880 das Sängerfest in Zürich nach Basel. Beim Auto wusste man gleich, dass es zum Fahren da ist, aber nicht, wie es die städtische Struktur von Wohn- und Arbeitsraum verändern würde. Kann es sein, dass das World Wide Web erst jetzt, mit 30, seine eigentliche Bestimmung findet? Noch stehen wir vor ihm – und sind ihm fast schutzlos ausgeliefert. Das heurige Jubiläum bietet die Gelegenheit, sich Gedanken darüber zu machen, welche Wegstrecke noch zurückzulegen ist. In einem offenen Brief ruft der WWW-Erfinder Unternehmen, Regierungen und Gesellschaft dazu auf, einen „Vertrag für das Netz“ zu schließen. „Die halbe Welt ist online“, schreibt Berners-Lee, „und das Web ist heute gleichzeitig öffentlicher Marktplatz, Bibliothek, Büro, Kino, Bank und vieles mehr.“ Im heurigen Jubiläumsjahr kämpft sein Erfinder umso mehr für einen freien und unentgeltlichen Zugang zum Internet für alle Menschen, für Regeln und Gesetze, die die Cyberkriminalität, die Verbreitung von Falschinformationen, Hass und staatlich gefördertem Hacking unterbinden. „Das Web ist für alle da – und zusammen haben wir die Macht, es zu verändern“, schließt Berners-Lee seinen Aufruf zum runden Geburtstag. Das werde nicht leicht – „aber wenn wir ein bisschen träumen und viel arbeiten, können wir das Netz bekommen, das wir wollen.“

 

Kinder, Jugendliche und das Internet

Tage ohne Internet gibt es kaum mehr, und dass das Internet eine feine und nützliche Sache ist, ist unstrittig. Kinder und Jugendliche wachsen damit auf, die Wissenschaft spricht von den „Digital Natives“. In Südtirol leben zurzeit rund 82.000 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren. 73,5 % der Jugendlichen sind täglich im Internet. Den allermeisten ist bewusst, dass die Internetnutzung Risiken mit sich bringen kann. Wo die Grenze zur Abhängigkeit liegt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Nicht jeder, der mehrere Stunden vor dem Computer verbringt, ist schon süchtig. Wir sprachen darüber mit Michael Reiner, Psychologe und Leiter der Abteilung Beratung und Information bei Young+Direct des Südtiroler Jugendringes.

Drei, vier, fünf Stunden täglich im Netz: Ab wann beginnt Onlinesucht?
Michael Reiner: Nun, das ist gar nicht so einfach zu sagen, zumal die Zeit, die man spielend verbringt, nicht unbedingt ausschlaggebend ist, um von Online(spiel)sucht sprechen zu können. Beschrieben wird diese „Sucht“, welche erst ab 2022 in das Klassifikationssystem der medizinischen Störungen der WHO aufgenommen wird, als ein Muster anhaltenden oder wiederkehrenden Spielverhaltens, das online oder offline erfolgen kann. Notwendige Kriterien für eine Diagnose sind: Verlust der Kontrolle über Beginn, Häufigkeit, Intensität, Dauer, Beendigung und Kontext des Spielens; das Spielen gewinnt zunehmend an Wichtigkeit, in einem Maße, dass das Spielen letztendlich Vorrang vor anderen Interessen und täglichen Aktivitäten hat; die Fortsetzung oder Steigerung des Spielverhaltens trotz des Auftretens von negativen Folgen. Wichtig ist aber: Nur ein sehr, sehr kleiner Teil der Personen, die sehr viel Zeit am Computer oder mit dem Handy verbringen, ist auch krankhaft süchtig.

Viele Menschen gehen mit dem Internet um, ohne süchtig zu werden. Was muss also passieren, damit es zur Sucht kommt?
Auch wenn die Ursachen sehr verschieden und vielfältig sein können, müssen meist mehrere Faktoren zusammenkommen. Grundsätzlich sollte man diese Art der Sucht mehr als eine Form von Flucht sehen. Sehr oft flüchten sich die Betroffenen in diese Welten, um sich vor negativen Ge­fühlen, die für sie schwer auszuhalten sind, abzulenken. Man kann diese Form des Konsums dann auch durchaus als eine gut funktionierende Bewältigungsstrategie ansehen. Zum Problem wird es dann, wenn diese Strategie nicht mehr wirkt und man in jeder Krise oder bei jedem Problem auf diese eine Strategie zurückgreift oder gar präventiv sich nur noch vor der Realität in die virtuelle Welt flüchtet. Weiters hat aber gerade das Onlinespielen auch soziale (z. B. die Anerkennung der Gleichaltrigen) und physiologische Komponenten (z. B. Ausschüttung von Glückshormonen), welche das Spielverhalten verstärken.

 

Gibt es verschiedene Formen der Onlinesucht?
Ja, Onlinesucht, Handysucht, Computerspielsucht, computervermittelte Kommunikationssucht – es gibt viele Namen für die Internetsucht und viele Formen süchtigen Verhaltens im Netz. Grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen Onlinespielsucht (Computer-, Konsolen- oder Handyspiele, Cybersexsucht und Online-Glücksspielsucht. Zudem gibt es noch jene Form, bei der die Betroffenen von der Kommunikation und der Nutzung von sogenannten „Social Media“ abhängig sind.

Wie können die Betroffenen den Ausstieg aus der Sucht schaffen?
Hat jemand wirklich eine Onlinesucht entwickelt, sollte man sich überlegen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Nicht weil man es grundsätzlich nicht auch selbst in Griff bekommen kann, sondern weil es mit der passenden professionellen Unterstützung leichter geht und auf lange Sicht auch erfolgreicher umgesetzt werden kann.

 Gibt es Daten zur Situation von Internetabhängigkeit in Südtirol?
Wie man sich sicher denken kann, gibt es dazu keine genauen Daten, zumal es das Phänomen selbst noch nicht gibt. Tatsache ist, dass die Beratungen und Begleitungen von Kindern und Jugendlichen bei uns, aber auch in allen anderen Diensten – öffentliche wie auch private – rasant zunehmen.

Wie können wir Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene davor schützen, internetsüchtig zu werden?
Vorab ist es notwendig, dass sich Eltern dafür interessieren, was ihre Kinder und Jugendlichen im Internet machen. Welche Seiten sie besuchen, welche Videos sie auf Youtube schauen, was sie spielen, denn nur dann können sie präventiv agieren. Grundsätzlich gilt es, die Kinder und Jugendlichen zu begleiten. Dazu muss man sich ein wenig auskennen oder sich informieren, und man muss in Beziehung bleiben. Nur dann kann ich erkennen, wenn etwas mit dem Konsumverhalten nicht stimmt oder es dem Kind bzw. Jugendlichen nicht gut geht.

Ab welchem Alter würden Sie ein Smartphone in die Hand geben?
Für mich kommt es weniger auf das genaue Alter an, sondern vielmehr auf die Umstände, die Art und Weise und vor allem auf den Inhalt, also wann wie und was Kinder konsumieren. Vor allem deshalb, weil Kleinkinder, auch wenn sie noch kein Smartphone oder Tablet benutzen (dürfen), bereits vieles durch die Beobachtung der Eltern, Geschwister, Bekannten aufschnappen und lernen. So versuchen oft schon 1 ½-Jährige am Fernseher oder bei Bildern den sogenannten 2-Finger-pinch (das ist das Vergrößern durch das Auseinanderziehen von Daumen und Zeigefinger). Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass man Kinder und Jugendliche dem Alter entsprechend begleitet. Dies bedeutet in der Praxis, dass man Kleinkinder, aber auch ältere Kinder bei ihrem Medienkonsum nicht allein lassen sollte. Zudem ist es wichtig, Zeit und Inhalt dem Alter entsprechend zu dosieren bzw. zu filtern. Aber: unabhängig aller Empfehlungen, was Zeit und Inhalt angeht, kommen Eltern nicht drum herum, die individuellen Aspekte des eigenen Kindes zu beobachten und zu berücksichtigen. So reagieren manche beim Onlinespielen aggressiv (z.B. Tür knallen und gegen die Wand hauen…), obwohl sowohl der Inhalt des Spiels als auch die Spielzeit altersgerecht sind. Manche können besser, manche schlechter mit demselben Inhalt umgehen. Selbiges gilt für die Spielzeit. Gute Information und Beratung für Eltern gibt es auf: https://www.eltern-medienfit.bz/de/elternmedienfit-­1171.html

 

von Josef Prantl

 

Das Smartphone als Babysitter
Ein Essay von Toni Haller Pixner

Szene 1: In einer Trattoria, irgendwo in Italien
Es wird gespeist, es wird gelärmt, man trifft sich mit Freunden. An der Mineralwasserflasche aufgestellt ein Smartphone, Kino für zwei Knirpse, die schräg nach oben starren. Sie sehen, wie Monster sich bekriegen und durch Lüfte fliegen. Ab und zu öffnen sie den Mund, da Gnocchi hineingelöffelt werden. Sie sind brav und folgsam. Sie stören nicht.

Szene 2: In einem Innenhof, irgendwo in Asien
Ein Dreikäsehoch liegt im Lehnstuhl. Seine Eltern führen die Rezeption eines Apartment-­Kom­plexes.
Der Knirps schaut tagelang und täglich in sein Smart­phone. Von der Gasse her, wo sich Kinder tollen, kommt ein Objekt geflogen, rund, bunt, hüpfend. Knaben stürmen diesem Ding hinterher. Der Knirps zeigt sich unbeeindruckt. Wenn er googeln könnte, würde er in die Such­ma­schine eingeben: „Unbekanntes Objekt gesichtet, aus Gummi oder Plastik, hüpfend, mit Gas oder Luft gefüllt. Was ist das?“ Die Eltern sind von der Intelligenz ihres Dreikäsehochs überzeugt, offensichtlich. Ein Appartementbewohner geht am Knirps vorbei, ruft: „Hello Boy!“ Müde hebt dieser seinen Blick, verschleiert, in seinem Gehirn blubbert es, Dampf quillt aus den Ohren, er erkennt niemanden, ist jung und schon alt, hat alles verstanden, lehnt sich im Liegestuhl zurück, geht früh in Rente.

Szene 3: Am Rande der Kalahari-Wüste, Afrika
Die Mutter balanciert einen Wassertopf auf dem Kopf. Er ist noch leer, an ihrer Seite ihr Dreikäsehoch mit dem Smartphone, Batterie leer. Die Mutter, auf dem Weg zum Wasserloch, nimmt einen Umweg zur Tankstelle, dort kann ihr Knirps sein Smartphone laden. Jeden Tag muss die Mutter diesen Umweg laufen, damit ihr Boy happy ist. Sie balanciert zwanzig Liter auf ihrem Kopf, hinter ihr stolpert ihr Söhnchen mit aktiviertem Smartphone, es geht heimwärts, eine Stunde lang bis zur Hütte.