Ein Leben wie auf der Achterbahn

Vorgefühl
14. November 2019
Das Tonzhaus
15. November 2019
Alle anzeigen

Ein Leben wie auf der Achterbahn

Wenn jemand viel zu erzählen hat, dann ist das Franz Theiner. Der Meraner mit Algunder Wurzeln blickt mit seinen 85 Jahren auf ein Leben zurück, das einen Roman füllt. Und dafür auch reichlich Stoff liefert.

Franz mit „Derrick“ Horst Tappert beim Humbl in Algund

Heute wäre Franz Theiner der perfekte Eventmanager. Er hat ein Leben lang Menschen zusammen­geführt, Begegnungen ermöglicht, Impulse gegeben. Franz Thei­ner kennt die „High Society“, ist seinen Wurzeln aber stets treu geblieben. Der erste Sohn von Sepp Theiner und Rosa Trogmann erblickt 1934 mitten in den Meraner Lauben das Licht der Welt. Der Vater stammt vom Humblhof in Mitterplars, die Mutter ist Untermaiserin. Sie führt ein kleines Milchgeschäft in der Meraner Mühlgasse, der Vater arbeitet auf dem elterlichen Hof in Algund. Mit vier Jahren schneit es in Algund: „Nie mehr habe ich so viel Schnee gesehen“, erinnert sich der heute 85-Jährige. Es ist das Jahr, in dem sich sein Vater einen Moto-Guzzi-Dreiradler zulegt, um die Milch auszuliefern. Natürlich auf Raten gekauft. Es ist auch das Jahr, in dem Mussolini den Abessinienkrieg beginnt und den neuen Dreiradler sofort konfisziert. Auf den Schulden bleibt der Vater aber sitzen. Die Butter und vor allem Mutters selbstgemachtes Jogurt in den Gläsern kommen gut an. „Der Algunder Apfelgroßhändler, der Bachguter-Hans war ein guter Kunde“, erinnert sich Franz Theiner. Die Kriegsjahre ruinieren aber das mütterliche Geschäft, „Milch gab es kaum mehr, sie musste abgegeben werden, die Lebensmittel wurden rationiert“, erzählt Franz von seinen Kindheitsjahren. Die Volksschule besucht er in der Galileistraße, Deutschunterricht organisiert die Mutter bei den Eng­lischen Fräulein am Sandplatz. Dort lernt Franz die Singerbuben kennen, später werden sie sich als Zahnärzte in Meran einen Namen machen. An die Stunden im Luftschutzbunker in der Galileistraße erinnert er sich auch noch lebendig. Und an die Ansprache von Gauleiter Franz Hofer auf der Promenade zu Hitlers Geburtstag am 20. April 1945, als er noch stolz verkündet, in 10 Tagen sei der Krieg gewonnen. Das Gegenteil trat ein. In wenigen Wochen kam es zum Zusammenbruch. Dann kamen die „Amis“. Beim „Maratscher“ in Mitterplars schlu­­gen die heimkehrenden deutschen Truppen noch schnell eine Feldküche auf, erinnert sich Franz. Die Mutter eröffnet nach dem Krieg in der Freiheitsstraße einen Delikatessenhandel. Franz hilft dort viel aus und lernt einen ganz besonderen Mann kennen. Ing. Luis Zuegg, der „reichste Junggeselle Italiens“, kauft bei seiner Mutter ein. Nicht nur er. Auch viele untergetauchte Nazis, die in Meran Unterschlupf gefunden haben, sind Kunden. An den ehemaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar von Schacht, der bis Mitte der 1960er Jahre zeitweise in Meran lebte, erinnert er sich ebenso wie an die Bormann-Kinder oder Frau Mengele.

Schauspielerin Evelyn Opela mit Ehemann Helmut Ringelmann und Franz Theiner

„Liebesgaben“-Paketeversand nach Deutschland, Österreich und Israel, darauf hatte sich Mutter Rosa spezialisiert. Der Vater ar­beitet auf dem elterlichen Humbl­hof und ist maßgeblich am Erfolg der Algunder Musikkapelle beteiligt; kurze Zeit ist er deren Obmann und wird später zum Ehrenmitglied. „Die 1950er Jahre im Hotel Mama waren meine schönste Zeit“, schmunzelt Franz Theiner. Freunde hat er viele und genießt in vollen Zügen das Junggesellenleben. 1960 ereilt die Familie ein schwerer Schicksalsschlag, von dem sich die Eltern nie mehr erholen. Der jüngere Bruder Josef stirbt mit 25 Jahren an Krebs. Er hatte sich im Hotelfachgewerbe spezialisiert, sprach fünf Sprachen und an der weltweit besten Hochschule für Hotellerie und Gastgewerbe, der École hôtelière de Lausanne, einen Studienplatz erhalten. „Wenn der Sepp Theiner fertig ist, dann kaufe ich das Palace und gebe es ihm zur Führung, hat der Bachguter-Hans (= Johann Kiem Bachguter) gesagt“, erinnert sich Franz.
Als in den 1960er Jahren die ersten „supermercati“ aufkommen, will Mutter Rosa nicht wahrhaben, dass sich die Zeit der „Tante-Emma-Läden“ dem Ende zuneigt. Franz ahnt es und schaut sich nach einem neuen Modell für das Geschäft um, der Tourismus in der Stadt beginnt wieder zu boomen. Nur widerwillig lässt Mutter Rosa zu, dass aus dem Gemischtwarenhandel ein Spirituosenhandel mit Zierflaschen wird. „Es lief alles sehr gut“, erinnert sich Franz. 1965 lernt er auf einer Messe in Deutschland Günther Findel kennen, den Ehemann der Jä­ger­meister-­Haupt­aktionärin. „Was folgt, ist komplex“, sagt Franz Theiner. In Kürze: Er vermittelt seinem damaligen Freund Karl Schmid die Lizenz für den Jägermeistervertrieb in Italien, arbeitet selbst 11 Jahre beim Aufbau von Jägermeister Italien maßgeblich mit. „Aber das ist wieder eine Geschichte für sich“, sagt Franz, „das würde zu weit führen. Es ist so viel, was ich zu erzählen hätte“. 1986 lernt er Franz König kennen. Der Wiener Kardinal ver­bringt auf Schloss Rametz seinen Urlaub. Und wieder rankt sich eine ganze Geschichte um diese Begegnung. Jedenfalls bittet der Kardinal den Franz um Vermittlung in einer delikaten Angelegenheit. Franz sollte eine von der Öffentlichkeit unbemerkte Aussprache mit Otto von Habsburg, der in Algund einen Vortrag hält, in die Wege leiten. Worum es beim Gespräch ging? „Um die Beerdigung von Kaiserin Zita“, weiß Franz Theiner. Die Bestattung der letzten österreichischen Kaiserin 1989 in Wien war politisch nicht unumstritten. Der damals bereits pensionierte Kardinal vollzog dann die Einsegnung des Grabes in der Kapuzinergruft. Von den Spirituosen stellt Franz in den 1970er Jahren sein Geschäft auf Accessoires aus Keramik um. Mit Karl Schmid und Nesti Terzer gründet er 1967 den Hockeyclub Meran, steigt als Aktionär im Ski-Center Latemar in Obereggen ein, reist um die halbe Welt, zieht in den kalten Wintermonaten zuerst nach Venezuela, dann an die Costa Blanca. Mit „Derrick“ Horst Tappert, den er zum Humblhof nach Algund bringt, Bavaria-Chef Helmut Ringelmann, dem deutschen ehem. Innenmister Friedrich Zimmermann ist er per Du wie mit vielen Persönlichkeiten, denen er im Lau­fe seines Lebens begegnet. Er ist zweimal verheiratet, aus der ersten Ehe gehen zwei Kinder hervor, Petra und Thomas. Mit 85 Jahren ist Franz jetzt ruhiger geworden. Auch wenn er noch ganz im Leben steht. Seine Erinnerungen gibt er gern weiter. Kommunikation ist sein Element, Gentlemen Agreement hat er zeitlebens gelebt. Ein Leben in Fülle mit vie­len Geschichten, die ein Buch füllen. „Aber dazu bräuchte es viel mehr Zeit“, wiederholt er. Franz Theiner lebt heute in Algund.

Josef Prantl