Vier Tortürme in der mittelalterlichen Meraner Stadtmauer markierten als verschließbare Altstadt-Zugänge die vier Himmelsrichtungen.
Meran erfuhr im 13. Jh. als Residenzstädtchen der Grafen von Tirol, mit der Landesfürstlichen Burg zu Füßen von Schloss Tirol, den entscheidenden Antrieb für seine Entwicklung. Besonders der Vision und Regentschaft von Graf Meinhard II. verdankt Meran seinen eindrucksvollen Altstadtkern mit den charakteristischen Laubengängen, mit über 400 m die längsten im Tiroler Land.
Aneinander gebaute bürgerliche Häuserreihen säumen beidseitig die im Herzen der Stadt verlaufende Lauben-Marktgasse – mit breiten bogenförmigen Laubengängen als überdachte Gehsteige. Ab dem 16. Jh. folgte die Erneuerung der teils prächtigen Bürgerhaus-Fassaden.
Rennweg und Vinschger Tor
Die Namensgebung Rennweg entstammt in Anlehnung an die ritterlichen Turnierspiele des Rennens und Stechens, welche die Adeligen der umliegenden Schlösser und Grafschaften hier auszutragen pflegten. Ziel des Stechens war es, den Turniergegner mittels stumpfer Lanze aus dem Sattel zu heben und vom Pferd zu stoßen.
Der Rennweg verband das Ultener Tor im Südwesten mit dem Vinschger Tor im Nordwesten; ersteres wurde samt Altstadtmauer bei der Stadterweiterung um 1880 abgetragen. Mit dem Kornplatz in der Mitte begrenzt der Rennweg die unteren Lauben und mündet bis heute am Nadelöhr des Vinschger Tors. Im frühen 17. Jh. erbaute der Kapuzinerorden direkt angrenzend daran die Klosterkirche mit Priesterseminar – als Stifter gilt der Tiroler Landesfürst Erzherzog Maximilian. Sie ist nach der Erweiterung im 18. Jh. trotz ihrer Schlichtheit die größte Kapuzinerkirche in ganz Tirol mit der entsprechenden seelsorglichen Bedeutung. Der Vinschger Torturm diente zeitweilig als Hauskapelle, später samt Nebengebäude als Wohnturm – nachdem er einst als städtisches Bürgergefängnis für nicht schwerwiegende Untaten zweckgebunden war.
Um die Wende zum 19. Jh. bestand mehrfach die Gefahr des Abbruchs des Vinschger Tors aus verkehrstechnischen Gründen und war bereits beschlossene Sache im städtischen Bauamt. Nur durch anhaltendes Gegenwirken von Heimatschutz und Bürgerschaft konnte der Verlust dieses Stadttores als Baudenkmal verhindert werden. 1912 wurden stattdessen die Tordurchfahrt vergrößert sowie in der folgenden Zeit beidseitig Mauerdurchbrüche für Fußgängerpassagen geschaffen. Bis heute wirkt die Existenz des Vinschger Tors als historische Engpassage verkehrsberuhigend für die Innenstadt – dies in besonderem Maße angesichts des um ein Vielfaches erhöhten Mobilverkehrs unserer Zeit.
Nach Untermberg zum Ottmanngut
Stadtauswärts durchs Vinschger Tor befinden wir uns außerhalb des Altstadtbezirks und rechter Hand längs der bis zu Tal reichenden Weinhänge des Küchelbergs Untermberg, so lautet die alte topographische Bezeichnung; diese Gegend reicht bis nach Gratsch, eine dörflich-idyllische Meraner Siedlung im Grünen auf halbem Weg nach Algund. Seit jeher gab es fünf namhafte Weinhöfe am Untermberger Weg: der Winkler-, Sittner-, Parthanes- sowie Toblhof und nächstgelegen am Stadtrand das Ottmanngut. Der denkmalgeschützte Spatzenturm aus dem späten 13. Jh. innerhalb des Gebäudeensembles am Ottmanngut hatte ursprünglich die Funktion als Einhebestelle des Kelleramtes der Landesfürsten, die auch das Recht zur Einstellung von Fuhrwerk und Pferden in den zwei Ställen dort besaßen. Über Jahrhunderte hinweg wurde am Ottmanngut rege Land- und Weinwirtschaft betrieben.
Familien-Ära Kirchlechner am Ottmanngut
1850 erwarben Alois und Klara Kirchlechner, wohlhabende Meraner Ratsbürger und Textilkaufleute mit Geschäft in den oberen Lauben, den Weinhof Ottmanngut mit dem historischen Landhaus als Sommerfrisch-Domizil außerhalb der Stadtmauern. Es war damals samt umfangreicher landwirtschaftlicher Nutzflächen der Adelssitz der freiherrlichen Familie von Hausmann – vormals jener der Grafen Thun. Um 1860 erwarben die neuen Besitzer den historischen Spatzenturm und erbauten dazu die Weidmannsburg als Pension. Beide Anwesen wurden um 1870 samt dazugehörigem Grundbesitz den Barmherzigen Kreuzschwestern vom Hl. Kreuz zum Großteil als Himmelsspende überlassen. Der katholische Schwesternorden aus der Schweiz erfüllte seither wertvolle Krankenpflegedienste und diverse wohltätige Sozialdienste im Rahmen dieser so benannten Marienherberge. Die Schwestern begründeten und unterhielten die 1. Krankenpflegerschule samt Mädchenheim im Gebäude des Spatzenturms. Im Zusammenwirken mit Caritas wurde über Jahrzehnte der Dienst einer Sozialmensa vor Ort für Bedürftige sowie Essen auf Rädern erbracht. Die neugotische Kapelle der Marienherberge wurde um 1890 bergseitig an erhöhter Stelle vom Schwesternorden ergänzend erbaut und dient für tägliche Andachten sowie als Taufkapelle für die Ottmannguter Familien. Aus jener Zeit dürfte auch das bis dato erhaltene Schweizer-Fachwerkhaus mit wechselnden Zweckbestimmungen stammen. Gegen Ende des 19. Jh. erlebte Meran als angehender Weltkurort eine nie dagewesende Hochkonjunktur besonders im Baugewerbe. Neben vielen Hotelbauten entstanden private Wohn- und Bürgerhäuser zu vielen Dutzenden. Das Stadtbild wuchs in alle Richtungen, insbesondere im Westen und Unterm Berg – auch mit dem Bedarf öffentlicher Einrichtungen. Viele frühere landwirtschaftliche Kulturgründe des Ottmanngutes wurden so zu Bauparzellen umgewidmet. Die Geschichte des Ottmannguts als altbürgerliches Stammhaus, ursprünglich Psorengütl genannt, reicht über 700 Jahre urkundlich zurück bis 1290 – erst um 1914 erfolgte eine herrschaftliche Umgestaltung. Und sie war auch in der Ära von sechs Generationen der Familie Kirchlechner seit 170 Jahren als Wohn- und Gästehaus mitunter wechselvoll. Trotz stetiger Instandhaltungsarbeiten blieben dem alten Gemäuer die Zeichen jahrzehntelanger Verpachtung und der Militärbesetzung in Kriegsjahren nicht erspart.
Neue Perspektiven im Ottmanngut
Pension und Gastwirtschaft im Ottmanngut wurden von Josef und Martha Kirchlechner ab den 1970er Jahren bis 2010 wieder selbst mit Hingabe geführt – dann folgte die Erkenntnis als Herzensanliegen der Eigentümerfamilie: ein gezieltes Renovierungskonzept sollte im Ottmanngut den notwendigen zeitgemäßen Komfort für anspruchsvolle Gäste verwirklichen – gleichzeitig aber sollte die reizvolle historische Atmosphäre des noblen, wohnlichen Landhausambientes als Besonderheit bewahrt und erhalten bleiben.
Diese respektvolle Perspektive der Nachhaltigkeit im Ottmanngut sollte den Erfolgsweg für die Zukunft ebnen. Zwei Jahre lang wurde bis 2012 von Grund auf renoviert, aufpoliert, konserviert. Alle gewachsenen Historien im herrschaftlichen Gästehaus, die dekorativen Holz-, Terrazzo-, Fliesenböden, Stuckdecken wurden restauriert; die antiken Schätze an Biedermeier- und Jugendstilelementen im Haus wurden neu zur Geltung gebracht; sie sind allerorts präsent, zieren jedes Detail der gesamten Ausstattung, des Josephinischen Mobiliars, der handgefertigten Messingleuchten mit besonderem Charme. Jedes der 11 individuellen Gästezimmer hat eigenen Zugang, eine luftige Terrasse, ein feudales Bad und seinen eigenen reizvollen Blickwinkel auf den mediterranen Garten zum Traumwandeln zwischen südländischen Pflanzen und Aromen. Dort und in der reizvollen antiken Orangerie mit ihren Sprossenfenstern, zwischen Zitruspflanzen, wird mehrgängig das Frühstück biofrisch am Tisch serviert, aus eigener oder regionaler Manufaktur. Im hauseigenen Weinberg dahinter gedeihen Pfirsiche, Marillen, Zwetschgen, Birnen, Beeren, seltene Steinobstsorten – und der Wein für den Eigengebrauch und für Hausgäste aus Trauben der Sorte Merlot, Cabernet, Nebbiolo. Dahinter steht Martin, der junge, kreative Gastgeber und Hausherr, mit seiner väterlichen Familie. Er bietet im erneuerten Ottmanngut ein stimmungsvolles Unikat von Ferienkultur und nachhaltiger Wohlfühloase an Merans schönster Ecke – mit dem Flair guter alter Zeiten als besonderes Freizeiterlebnis für Hausfreunde und Gäste.
von Jörg Bauer