Schaut man von Meran hinauf zum Hausberg, auf die Mutspitze, so hängen auf halber Höhe einige Gehöfte wie Schwalbennester im kirchturmsteilen Gelände. So mancher Urlauber aus dem Flachland fragt sich wohl, wie man dort oben leben könne.
Ein Gespräch mit Kurt Gamper, dem Besitzer des Talbauerhofes, belehrt uns eines Besseren. Wir treffen ihn und seinen Sohn in der gemütlichen Stube. Die beiden können es sich gar nicht anders vorstellen, als hier zu leben, wo sie aufgewachsen sind, und jedes Mal, wenn Kurt hinunter muss ins Getriebe der Stadt, freut er sich auf die Heimkehr.
Das Nesthäkchen vom „Talbauer“
Die ältesten Aufzeichnungen über den „Talbauer“ reichen ins 12. Jh. zurück. Man nimmt an, dass die Pest im Tal die Leute damals auf diese einsamen Höhen trieb. Kurt, der Jüngste von vier Geschwistern, ist als Nachzügler 1968 geboren und hier auf 1208 m aufgewachsen. Seine Eltern haben beide, ebenso wie seine älteren Geschwister noch die Zwergschule auf den „Muthöfen“, wie die Gegend genannt wird, besucht. Sie hatten sogar ein eigenes Schulgebäude mit einer einzigen Klasse für alle acht Jahrgänge und einer winzigen Wohnung für die Lehrerin bzw. den Lehrer. Doch Kurt selbst besuchte bereits in Dorf Tirol die Grundschule. Dafür fuhr er schon als kleines Kind alleine mit der „Kiste“ zu Tal. Ein Kind alleine in so eine Kiste zu setzen, das würde wohl den meisten Müttern von heute unvorstellbar erscheinen; für Kurt war es das Selbstverständlichste der Welt.
Vater Sepp – ein weitblickender Mann
Sein Vater hatte sich seine Frau aus dem Kreis ihrer zehn Geschwister vom nahen, 20 Minuten höher gelegenen Hochmuter geholt. Kurt erzählt von ihm, einem weitblickenden, sehr tüchtigen Mann. Doch beide Eltern sind in den letzten fünf Jahren verstorben. 1961 suchte der Vater um die Lizenz für ein einfaches Gasthaus an, um zu den kargen Erträgen aus der Viehwirtschaft noch etwas dazuzuverdienen. Wanderer aus Meran und Umgebung und erste Gäste kehrten gerne ein, wurden sie doch sehr gut und freundlich bewirtet. 1973 wurde die Seilbahn zum Hochmuter gebaut, und da nützte Vater Sepp die Chance. Im selben Jahr begann er mit dem Bau eines Gasthauses am Mutkopf. Es sollte eine Einkehrmöglichkeit für die Bergwanderer werden, die zur Mut aufstiegen oder ins Spronser Tal hinein wanderten bzw. zurückkehrten. Dieses Gasthaus führt heute der ältere Bruder.
Eine neue Seilbahn, ein neues Haus
Kurt war gerade 10 Jahre alt, als die neue, kleine Seilbahn zum Hof gebaut wurde. Sie ersetzt die alte „Kiste“, war jedoch von Anfang an nur für den Warentransport kollaudiert. Heute noch wird damit täglich die Milch zu Tal befördert und dann vom Milchhof Meran abgeholt. Zwei Jahre später wagte man den Neubau. Im alten Haus pfiff der Wind durch alle Ritzen, im Winter waren die Schlafkammern fast Gefriertruhen. Das gesamte Baumaterial wurde nun mit der kleinen Seilbahn befördert, alle halfen zusammen und Kurt lebt heute voller Dankbarkeit in den schönen und zweckmäßigen, neuen Gebäuden.
Hofübernahme und Hochzeit
Kurt holte sich seine Frau aus Rabenstein im hintersten Passeiertal; sie war Bergluft und steile Wiesen bereits von zuhause gewohnt, und sie heirateten 1995. Dann, 2012 übernahm Kurt als Jüngster der Familie den elterlichen Hof. Heute hilft die ganze Familie, dass alles läuft wie am Schnürchen. Alle Wiesen in unvorstellbarer Steillage werden noch gemäht, 10 Kühe stehen im Stall, Schafe und Ziegen weiden auf den steilen Hängen. In der Wandersaison, wenn das Gasthaus offen hat (von Mitte März bis Mitte Dezember), arbeitet die ganze Familie zusammen. Der Sohn geht mit viel Freude dem Vater zur Hand, von Kindesbeinen an ist er das Arbeiten im steilen Gelände gewohnt. Die Tochter hilft überall, wo man das flinke Mädel braucht, auch seine zwei Schwestern sind in der Küche und im Service wertvolle Stützen.
Einsamkeit ade,
Tourismus juchhe?
Kurt Gamper hat selbst den großen Wandel vom einsamen Bergbauernhof zu einem vielbesuchten Gasthaus am bekannten „Meraner Höhenweg“ miterlebt. Als 2007 eine Straße direkt am Hof vorbei bis zu den Mittermuthöfen und später weiter zum Hochmuter gebaut wurde, war dies eine große Erleichterung für alle. Er verschließt jedoch die Augen nicht vor den negativen Seiten des Massentourismus von heute. Mit wachem, kritischem Blick sieht er in die Zukunft, aber er weiß, was gut ist zu bewahren und worauf zu achten ist. Ganz wichtig und kostbar ist für ihn der Zusammenhalt in der Familie und die Dankbarkeit für das, was ihm seine Eltern vorgelebt haben.
Christl Fink