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Investition in die Zukunft

Mitarbeiterinnen der Meraner Stadtbibliothek mit ihrer Leiterin in der Mitte

Die Älteren unter uns erinnern sich noch an die bescheidene Meraner Stadtbibliothek in der Sparkassenstraße. Von 1971 bis 1992 waren im 2. Stock eines zwar ehrwürdigen, aber für eine Bibliothek vollkommen ungeeigneten Hauses mehrere Räume angemietet worden. Schon der dunkle Eingang und der steile Treppenaufgang waren alles andere als eine Einladung. Am 16. April 1993 konnte nach mehrjährigen Umbauarbeiten am wohl historischsten Schulgebäude Merans am Rennweg die neue Stadtbibliothek eröffnet werden.

von Josef Prantl

Als Mittelpunktbibliothek betreut die Meraner Stadtbibliothek den gesamten Bezirk. Ihr besonderes Merkmal ist, dass sie sowohl eine deutsche als auch eine italienische Abteilung mit jeweils eigener Leitung hat. Damit wird sie zum Spiegelbild des Zusammenlebens in der Stadt. Seit über 10 Jahren wird darüber gesprochen, dass die Stadt eine größere Bibliothek brauche.
Einmal war es das Gebäude der ehemaligen Lehranstalt, das andere Mal die Rosegger-Mittelschule oder das Gerichtsgebäude, die für einen neuen Bibliotheksbau ins Auge gefasst wurden. Geworden ist daraus nichts. Dass sich Meran eine moderne Bibliothek verdiene, die als sogenannter „dritter Ort“ für die Menschen da sein könne, ist nicht nur in Bibliothekskreisen ein Anliegen.

Der dritte Ort
Schon längst ist eine Bibliothek nicht mehr nur Verleihservice von Medien. Die Bibliothek des 21. Jahrhunderts ist vor allem ein Ort des Aufenthalts. Sie ist Lernort und Informations­zentrum, bietet Raum fürs Arbeiten, ist Bildungs- und Animationsort, sie arbeitet mit Bildungseinrichtungen zusammen, bietet (oft in Zusammenarbeit) Kurse und Schulungen an und verfügt über moderne technische Ausrüstung. Die Bibliothek von heute ist vor allem ein sozialer Ort, einer der wenigen öffentlichen Orte ohne Konsumzwang. Und damit wird klar, was Meran eigentlich fehlt. Die heutige Stadtbibliothek kann diesem Anspruch nur mehr zum Teil gerecht werden. Dazu ist sie einfach zu klein, zu eng, zu unpraktisch. Eine Investition in die Zukunft, davon ist Sonja Pircher überzeugt, wäre es, wenn die Stadtbibliothek ein Gebäude erhalte, das einer Stadt wie Meran gebührt. Die Koordinatorin der deutschen Abteilung der Stadtbibliothek ist überzeugt, dass Visionen irgendwann auch real werden.

Vision: Bibliothek der Dinge
Warum permanent konsumieren, wenn man auch teilen kann? Moderne Bibliotheken sind diesbezüglich Profis und erweitern ihr Angebot über klassische Medien hinaus: E-­Book-Reader, 3-D-Drucker, Plotter oder Grafik-Tablet, aber auch Nähmaschine oder Regenschirm sind nur einige Beispiele aus dem Angebot der Bibliothek von morgen. Alles ist ausleihbar ohne zusätzliche Kosten. „Bibliothek der Dinge“ heißt auch eine Vision von Sonja Pircher. Das ist ein Ort, wo sich die Leute treffen, die sich für das Teilen von Kenntnissen, Werkzeugen und nützlichen Dingen interessieren. Außer Büchern und Filmen können in der „Bibliothek der Dinge“ auch verschiedene Geräte, Werkzeuge, Musikinstrumente und vieles mehr ausgeliehen werden.
Ein

In der Meraner Stadtbibliothek wurde die Kinderabteilung erweitert und die Trennung zwischen deutschen und italienischen Büchern aufgehoben

-Gespräch mit der Koordinatorin der deutschen Abteilung

Frau Pircher, die Corona-Pandemie trifft die Kultur besonders hart. Müssen sich die Bibliotheken neu erfinden bzw. inwieweit hat die Krise die Aufgaben der Bibliotheken verändert?
Sonja Pircher: Die Bibliotheken hatten das Glück, dass sie, abgesehen vom ersten Lockdown im letzten Frühjahr, immer geöffnet sein konnten, wenn auch mit Einschränkungen. Viele Bibliotheken haben während dieser Zeit neue Dienste aus dem Boden gestampft. Wir in Meran haben in Zusammenarbeit mit dem Hauspflegedienst Medien im Stadtgebiet direkt an die Haushalte geliefert. In dieser Zeit ist noch einmal deutlich geworden, wie wichtig die Bibliothek in ihrer Rolle als kultureller Nahversorger im täglichen Leben ist. Natürlich kann man ein Buch kaufen oder einen Film streamen, aber das ist auch immer eine finanzielle Frage oder eine Frage der Ausstattung und technischen Fähigkeiten, die man hat, während die Bibliotheken Medien kostenlos für alle zur Verfügung stellen.

Es heißt, Bibliotheken seien vor allem auch Orte der Begegnung: Ist das aktuell und in Zukunft aber überhaupt noch möglich?
Dieser Aspekt hat uns im letzten Jahr leider sehr gefehlt. Aufgrund der geltenden Bestimmungen war der Aufenthalt in den Bibliotheken zuerst überhaupt nicht, später nur für Ausleihe und Rückgabe erlaubt. Es war also nicht mehr möglich, in der Bibliothek Zeitung zu lesen, zu lernen, im Internet zu surfen oder eine Veranstaltung zu besuchen. Das hat unseren Benutzern sehr gefehlt, wir bekommen immer noch sehr viele Rückmeldungen dazu. Seit der letzten Verordnung des Landeshauptmannes ist die normale Bibliotheksnutzung wieder erlaubt, wenn die Benutzer einen Grünen Pass vorweisen können. In Meran gilt das allerdings nur für die Zweigstelle in Sinich, weil der Hauptsitz am Rennweg immer noch wegen Umbaus geschlossen ist.

Wie steht es im Moment um die Meraner Stadtbibliothek? Was wird im Sommer möglich sein?

Leiterin der Stadtbibliothek, Sonja Pircher

Der Hauptsitz am Rennweg ist nun seit bald einem Jahr geschlossen. Es waren dringend notwendige Arbeiten für die Anpassung an geltende Sicherheitsbestimmungen auszuführen. Wir haben neue Notausgänge bekommen, gleichzeitig wurde auch die Belüftungsanlage ausgetauscht und das kleine Ladenlokal in Richtung Theaterplatz an die Bibliothek angeschlossen. Wir haben die Gelegenheit auch für die Reorganisation einiger Bereiche genützt: die größte Neuigkeit ist, dass wir die Kinder- und Jugendabteilungen in den beiden Sprachen zusammengelegt haben. Für den Sommer haben wir einige Veranstaltungen am Thermenplatz im Rahmen der Reihe „Autoren in Meran/Appuntamento a Merano“ geplant. Außerdem werden einige Workshops des Archivs „Ópla“ für Kinder stattfinden. Ópla sammelt ja Kinderbücher, die von Künstlern verfasst wurden. Das Projekt der Stadtbibliothek verfolgt das Ziel, Künstlern, Designern und Wissenschaftlern den einzigartigen Bestand für Studienzwecke zur Verfügung zu stellen und diese besonderen Bücher auch lokal bekannt zu machen. Das Archiv bekommt im Laufe des Jahres endlich einen eigenen Sitz im alten Rathaus in der Matteottistraße, die Arbeiten dafür starten am Montag. Wir hoffen, dass wir auch am Rennweg im Sommer wieder geöffnet sein werden.

Schon lange wird darüber gesprochen, dass die Bibliothek aus allen Nähten platze. Gibt es Visionen für die Zukunft?

Nach Corona wieder ein beliebter Treffpunkt

Die Bibliothek braucht definitiv mehr Platz, um den Aufgaben einer modernen Bibliothek gerecht werden zu können. Gerade um der Ort der Begegnung sein zu können, brauchen wir nicht nur Platz für Bücherregale, sondern auch für Arbeitsplätze, abgeschlossene Arbeitsräume, für Veranstaltungen während des laufenden Betriebes, Freiflächen für verschiedenste Aktionen oder für die Einführung neuer Dienste. Die vielen Veränderungen in der Gesellschaft bringen es auch mit sich, dass laufend neue Aufgaben auf uns zukommen – die Umbauarbeiten verschaffen uns nur minimal Luft, sind aber bei weitem keine Garantie, die Bibliothek sicher in die Zukunft zu bringen. Hauptproblem einer möglichen Erweiterung ist, dass es in der Stadt keine geeigneten, leerstehenden Räumlichkeiten in der benötigten Größe gibt, die am besten auch noch im Stadtkern gelegen sind. Im Laufe der Jahre waren verschiedene Lösungsansätze im Gespräch: Ursprünglich sollte die Stadtbibliothek nach dem Auszug des Beda-Weber-Gymnasiums die beiden angrenzenden Stockwerke für eine Erweiterung erhalten, dann war einmal die ehemalige Lewit im Gespräch, das Gerichtsgebäude oder ähnliches. Konkret wurde bis jetzt aber noch nichts beschlossen, auch weil das Land bei vielen der ins Auge gefassten Gebäude ein Wort mitzureden hat.

Wie würde ein kurzer Steckbrief der Meraner Stadtbibliothek aussehen?

Das neue Gerät zur Desinfektion der Bücher

Die Stadtbibliothek ist eine Mittelpunktbibliothek für die deutsche und italienische Sprachgruppe, d. h. wir organisieren bezirksweite Aktionen, wie jetzt gerade die Sommerleseaktion für Grundschüler, Lesereisen von Autoren aus dem In- und Ausland für die Bibliotheken im Bezirk, wir stellen Bücherpakete zur Verfügung usw. Wir sind eine Freihandbibliothek, d. h. die Leser haben selbst Zugang zu den Medien in den Regalen. Als öffentliche Bibliothek haben wir den Auftrag, immer aktuelle und für unsere Benutzergruppen passende Medien vorrätig zu haben. Wir haben keinen Archivauftrag. Wenn ein Medium veraltet ist oder für einen längeren Zeitraum nicht mehr ausgeliehen wird, wird es aus dem Bestand genommen. Unser Bestand beläuft sich zurzeit auf rund 107.000 Medien (vor ein paar Jahren waren es noch fast 140.000 Medien; wir haben Platz gemacht, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen). Aktive Benutzer der Stadtbibliothek sind rund 8000, wir zählen an die 180.000 Besucher in einem „normalen“ Jahr. Durchschnittlich 600 Menschen besuchen uns an einem Tag. Die Stadtbibliothek beschäftigt 14 Mitarbeiter. Dazu kommen noch 4 Mitarbeiter im Projekt zur Wiedereingliederung in die Arbeitswelt sowie 4 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen. Wir führen eine Zweigstelle in Sinich als kombinierte Bibliothek zusammen mit der deutschen und italienischen Grundschule. Sie wurde im September 2020 neu eröffnet. In einem „normalen“ Arbeitsjahr organisieren die beiden Abteilungen weit über 100 Veranstaltungen (Lesungen, bibliothekspädagogische Aktionen, Vorlesestunden, Fortbildungen für Bibliothekare, Workshops, Literaturrunden…)

Die Digitalisierung hat durch Corona einen gewaltigen Ruck nach vorne erfahren. Auch im Bibliothekswesen?

Bücherpakte warten auf ihre Leser

Auf jeden Fall. Wir haben online Büchervorstellungen angeboten, haben unsere Facebook-Seite auf Vordermann gebracht, und vor allem die Ausleih- und Benutzerzahlen der beiden digitalen Bibliotheksangebote „Biblio24“ und „Biblioweb“ haben großen Zuwachs erfahren.

Sie sind auch im Ausschuss des Bibliotheksverbandes Südtirol (BVS) tätig, der vor genau 40 Jahren gegründet worden ist. Was hat sich aus Ihrer Erfahrung rückblickend in der Bibliothekslandschaft bei uns verändert?
Der Trend geht hin zu einer zunehmenden Professionalisierung, während früher Bibliotheken hauptsächlich ehrenamtlich geführt wurden. Ein moderner Bibliothekar muss ganz viele Aufgabengebiete abdecken können: also nicht nur Bücher katalogisieren und einbinden, sondern auch Veranstaltungen organisieren, Öffentlichkeitsarbeit machen, man muss fit im Umgang mit digitalen Medien sein, Sponsoren für besondere Aktionen suchen, nicht zu vergessen die Bürokratie, die nicht weniger wird. Das stellt immer neue Ansprüche an unsere Mitarbeiter. Professionalisierung heißt aber nicht automatisch, dass alle Bibliotheken von hauptamtlichen Bibliothekaren geführt werden: Ohne ehrenamtliche Mitarbeiter wäre auch heute die Bibliotheksarbeit in Südtirol nicht möglich. Diese können, ebenso wie die hauptamtlichen Mitarbeiter, laufend Fortbildungen des Amtes für Bibliotheken und Lesen und des Bibliotheksverbandes besuchen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Nicht zuletzt sorgt auch das Audit als Qualitätssiche­rungssystem dafür, dass der Standard der Südtiroler Bibliotheken, ob haupt- oder ehrenamtlich geführt, ziemlich hoch ist; da können wir stolz darauf sein.

Welche Aufgaben kommen in Zukunft auf die Bibliotheken zu?

Der neue Eingangsbereich mit Thermoscanner und elektrischen Türen

Niederschwelligen Zugang zu Information und Wissen zu bieten. Dabei liegt uns vor allem in Zeiten von Fake News geprüftes Wissen am Herzen. Menschen im digitalen Wandel zu begleiten und zu unterstützen, dasselbe gilt für das lebenslange Lernen. Treffpunkt zu sein für alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen und diese miteinander in Verbindung bringen. Wir sind einer der wenigen Aufenthaltsorte in der Stadt, an dem man nichts konsumieren muss. Bibliotheken unterstützen die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Überhaupt ist das Grundprinzip einer Bibliothek schon nachhaltig. Ein Buch oder eine DVD stehen vielen Benutzern zur Verfügung, das spart Ressourcen, aber auch Geld.

Was wünschen Sie sich für die Meraner Stadtbibliothek?
Ich wünsche mir, dass uns unsere Benutzer weiterhin treu bleiben, dass immer mehr Meraner den Weg in die Bibliothek finden. Ich wünsche mir Mitarbeiter, die mit Enthusiasmus bei der Sache sind und sich auf Neues einlassen. Dass uns die Stadtverwaltung und auch die neue Stadtregierung weiterhin gut unterstützen und dass es mittelfristig gelingt, der Stadtbibliothek die Räumlichkeiten zukommen zu lassen, die sich nicht nur die Bibliothek selbst, sondern vor allem die 40.000 Meraner Bürger verdienen.
Eine Investition in die Erweiterung der Stadtbibliothek ist auch eine Investition in die Zukunft der Stadt.

 

 

Blick in die Geschichte von Südtirols Bibliothekslandschaft

Die BAZ sprach mit Franz Berger, dem langjährigen Leiter des Amtes für Bibliotheken und Lesen, der maßgeblich den Aufbau des Bibliothekswesens vorantrieb.

Herr Berger, Sie sind einer der Pioniere für Südtirols Bibliothekswesen. Welche Situation fanden Sie vor, als Sie Mitte der 1970er Jahre mit der Betreuung der Bibliotheken begannen?

Pioniere für Südtirols Bibliothekswesen Franz Berger

Franz Berger: 1974 wurde im deutschen Kulturassessorat des Landes eine Dienststelle für Bibliotheken errichtet. Sie war beim Referat für Weiterbildung angesiedelt und wurde nach österreichischem Vorbild Büchereistelle oder Landesbüchereistelle genannt. Der Chef des Referats für Weiterbildung, Dr. Hans Kopfsguter, gewann mich und meinen Mitarbeiter Luis Egger für die Arbeit in dieser Stelle. Wir machten als Erstes eine Bestandsaufnahme und fanden im Land ein dichtes Netz von Pfarrbüchereien bzw. so genannten katholischen Volksbüchereien vor. Diese Büchereien waren großteils nach dem 2. Weltkrieg vom Österreichischen Borromäuswerk und den Diözesen aufgebaut worden. Die Unterbringung und der Buchbestand sind mit dem heutigen Standard einer öffentlichen Bibliothek nicht zu vergleichen. Das Angebot bestand vorwiegend aus Kinder- und Jugendbüchern sowie aus Unterhaltungsromanen für Erwachsene. Daneben gab es in einigen zentralen Orten, u. a. in Lana, Meran und St. Leonhard in Passeier, so genannte Musterbüchereien des Südtiroler Kulturinstituts, die in einem eigenen Raum untergebracht und besser ausgestattet waren. In Meran führte die Dante-Alighieri-Gesellschaft eine Vorgängereinrichtung der Stadtbibliothek.

Welches waren die Schwerpunkte Ihrer Arbeit in den ersten Jahren?
In den 70er und anfangs der 80er Jahre konzentrierte sich die Arbeit der Landesbüchereistelle auf folgende Tätigkeiten: Beratung, Schulungen, Hilfe bei Reorganisationen und lesefördernde Aktivitäten. Wir boten regelmäßig Aus- und Weiterbildungsseminare für die Büchereileiter an, organisierten Buchinformationstage und Studienfahrten, halfen vor Ort bei Reorganisationen und be­rieten die großteils ehrenamtlichen, aber häufig sehr engagierten Bibliotheksbetreuer in allen praktischen Fragen. Ab dem Jahr 1978 setzten wir mit der Beratung der Schulbibliotheken einen neuen Schwerpunkt, wobei wir uns diesbezüglich vor allem an guten Vorbildern in der Schweiz orientierten.

Wie gelang es, die Gemeinden für die Bibliotheken zu sensibilisieren?

… und Luis Egger

Südtirol und das Trentino sind bei der Einbindung der Ge­mein­den in die Versorgung mit Biblio­the­ken ganz unter­schied­li­che Wege gegangen. Ich nahm im Herbst 1975 an einer Tagung in Trient teil und stellte fest, dass es dort bereits viele hauptamtlich geführte kommunale Bibliotheken gab, die von einem zentralen Dienstleistungsbetrieb der Provinz gesteuert und unterstützt wurden. Da sich dort im Gegensatz zu Süd­tirol kein organisiertes kirchliches Büchereiwesen entwickelt hatte, hat man im Trentino ab Be­ginn der 70er Jahre in Absprache zwischen Provinz und größeren Gemeinden aus kulturpolitischen Gründen ein sehenswertes kommunales Bibliotheksnetz aus dem Boden gestampft. Was allerdings fehlte, war eine Tradition und das hierzulande damals wie heute so wichtige Volontariat. In Südtirol versuchten wir, auf der Tradition der Volksbüchereien auf­zubauen, die Pionierleistung der Pfarreien zu respektieren, das Ehrenamt zu stärken, das Entstehen hauptamtlich geführter Bibliotheken zu fördern und die Gemeinden zunehmend in die Verantwortung für die öffentlichen Bibliotheken einzubinden.
Das Ziel, die Gemeinden für die Bibliotheken zu sensibilisieren, erreichten wir vor allem auf folgende Weise: durch Förderungsanreize für den Bau und die Einrichtung von öffentlichen Bibliotheken; durch Studienfahrten in bi­bliothekarische Vorreiter-Länder, zu denen wir gezielt auch Bür­germeister und Kulturreferenten einluden, und durch die persönliche Beratung vor Ort.

Sie waren auch der erste Geschäftsführer des Bibliotheksverbandes Südtirol, der vor genau 40 Jahren gegründet wurde. Warum kam es dazu?

Drei Generationen„Amt für Bibliotheken“ v. l. der ehemalige Leiter des Amtes für Bibliotheken Franz Berger, die derzeitige Amtsdirektorin Marion Gamper und Abteilungsdirektor Volker Klotz

Zur Gründung des Bibliotheksverbandes kam es vor allem aufgrund von zwei Erfahrungen. Zum einen war es die Erfahrung, dass wir als Landesbüchereistelle die Bibliotheksverantwortlichen vor Ort zwar durch Beratung, Schulung und Leseinitiativen unterstützen konnten, aber dass wir als Landesstelle auch Grenzen hatten.
Wir konnten nicht für Bibliotheken die Buchbearbeitung und Katalogisierung übernehmen, wir konnten nicht Dienste gegen Bezahlung durchführen. Bei meinen Kontakten mit ähnlichen Einrichtungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz sah ich, dass es dort häufig Verbände oder Bibliotkeksdienste gab, welche die Arbeit der öffentlichen Beratungsstellen ergänzten. Dazu kam die Erfahrung, dass der Bibliotheksbereich in Südtirol kein Sprachrohr hatte, keine Stimme, keine Lobby.
Dies war vor allem bei den Vorarbeiten für das Landesgesetz zur Regelung der Weiterbildung und des öffentlichen Bibliothekswesens, die sich allzu lange hinzogen, schmerzlich spürbar. So wurde mir immer mehr klar, dass es einen Südtiroler Bibliotheksverband braucht, der sich politisch für die Förderung der Bibliotheken einsetzt, die Interessen der Bibliothekare vertritt und Dienstleistungen für Bibliotheken durchführt, die eine Landesstelle nicht anbieten kann. So habe ich Ende 1980 ein Promotorenkomitee um mich geschart und die Gründung des Bibliotheksverbandes Südtirol in die Wege geleitet, die dann am 31. Jänner 1981 erfolgte.

Was waren für Sie rückblickend die größten Erfolge und was hätten Sie sich mehr gewünscht?
Die größten Erfolge waren die Menschen, die wir Pioniere – ich meine Luis Egger und mich – für die Bibliotheksarbeit motivieren, qualifizieren und begeistern konnten. Ich denke da an meine Mitarbeiter und Nachfolger in der Büchereistelle bzw. dem Amt für Bibliotheken und Lesen. Ich nenne da außerdem die Vorstände, Ausschussmitglieder und Teams, die nun über 4 Jahrzehnte den Bibliotheksverband prägten. Und ich nenne vor allem die vielen Bibliothekare, die haupt- oder ehrenamtlich die Bibliotheken führen. Für die hauptberuflichen Bibliothekare hätte ich mir eine akademische Ausbildung in Südtirol, und zwar an der Brixner Fakultät der Freien Universität Bozen, gewünscht. Dafür habe ich in meinen letzten Berufsjahren in der Universitätsbibliothek gekämpft. Dieser Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen. Heute erachte ich dies nicht mehr als so tragisch. Ich habe gerade kürzlich auf der virtuellen Jahresversammlung des Bibliotheksverbandes bzw. bei den dabei durchgeführten Ausschusswahlen festgestellt, dass es unter dem Bibliothekspersonal so manche Quereinsteigerinnen mit unterschiedlicher Aus­bildung und Berufserfahrung gibt, die durch ihre Kreativität und Vielseitigkeit den Bibliotheksbetrieb beleben. Das finde ich gut.

Wie denken Sie über das Bibliothekswesen in unserem Lande heute, etwa was das neue Bibliothekszentrum in Bozen betrifft?

Über gut ausgestattete Bibliotheken verfügen heute auch die meisten Schulen

Die Öffentlichen Bibliotheken und die Schulbibliotheken stehen heute gut da. Sie haben sich von einem zarten Pflänzchen zu einem starken Baum entwickelt. Vielerorts ist die Bibliothek der Ort in einer Gemeinde, einem Dorf, wo die meisten Kulturangebote stattfinden. Wenn ich von neuen Bibliothekseröffnungen lese, kommt mir manchmal vor, dass unsere kühnsten Träume überbetroffen wurden. Die Eröffnung des neuen Bibliothekszentrums in Bozen, in dem die Tessmannbibliothek, die italienische Landesbibliothek und die Stadtbibliothek gemeinsam untergebracht und geführt werden sollen, möchte ich noch erleben. Ich konnte nämlich Anfang der 90er Jahre als Direktor des Landesamtes für Bibliotheken für diese Idee grundlegende Weichen stellen.
Die Realisierung dieser gemeinsamen Stadt- und Landesbibliothek wäre ein wichtiges Symbol für ein entspanntes und fruchtbares Zusammenleben der Sprachgruppen in Südtirol.

Letzte Frage: Hat das Buch überhaupt noch Zukunft?
Diese Frage klingt für mich so, wie wenn man fragen würde „Hat der Apfel noch Zukunft?“ Der Apfel war vor Jahrzehnten neben der Birne, der Kirsche, der Marille und der Traube praktisch das einzige bekannte Obst, wobei der Apfel schon früher fast das ganze Jahr verfügbar war, die anderen genannten Obstsorten nicht. Heute hat der Apfel viele Konkurrenten, wie man in jedem Supermarkt sieht. Aber er ist wohl immer noch die führende Obstsorte. Wegen seiner Haltbarkeit, seinem Geschmack und seiner Fähigkeit, in vielfaltiger Form aufzutreten.
Ähnlich ist es mit dem Buch. Es kann sich wunderbar allerlei Wandlungen und neuen Bedürfnissen anpassen, ist so vielfältig und eben haltbar wie ein Apfel. Einfach ein Überlebenskünstler, der noch eine große Zukunft haben wird.