Die Marlinger Straße und die Luis-Zuegg-Straße in Meran sind als attraktive Wohnzone und lebendige Wirtschaftsstandorte bekannt. In ihrem Einzugsgebiet versteckt sich ein grüner Juwel: der Friedhof der Evangelischen Gemeinde.
von Philipp Genetti
Im Gespräch mit Pfarrer Martin Krautwurst erfahren wir mehr über die Geschichte und Entwicklung dieses besonderen Kleinods.
Herr Krautwurst, seit 2014 verwalten sie als Pfarrer der Evangelischen Gemeinde A.B. den Friedhof in der Marlinger Straße. Wie kam es zu diesem besonderen Ort an dieser Stelle?
Martin Krautwurst: Der Friedhof in der Marlinger Straße geht auf einen früheren evangelischen Friedhof zurück, der sich zwischen der Heilig-Geist-Kirche und dem Palace-Hotel nahe der Meraner Innenstadt befand. Er wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts neu angelegt, um Gästen, die in der Kurstadt verstarben, eine angemessene Ruhestätte zu bieten. Die ersten Bestattungen von Verstorbenen ohne katholische Konfessionszugehörigkeit fanden bis dahin in einem nicht geweihten Teil des Spitalfriedhofs statt, doch die Zahl der Kurgäste nahm rasant zu und so wurde der Ruf nach einem eigenen Friedhof immer lauter. Merans Bürgermeister Gottlieb Putz, der die Notlage erkannte und 1861 den Kauf eines Weinackers südlich des katholischen Spitalfriedhofs vorantrieb, hatte maßgeblich Anteil am ersten evangelischen Friedhof in ganz Tirol. Am 10. Dezember 1861 wurde der „protestantische Gottesacker“ mit der Beisetzung eines gewissen Herrn Alexander Arnemann aus Altona (Bezirk von Hamburg) – noch vor der endgültigen Fertigstellung 1863 – feierlich eingeweiht. Die meisten der anwesenden Gäste erlebten bei der Einweihung vermutlich ihre erste öffentliche evangelische Predigt, die damals der Theologe und Seelsorger Alexander von Oettingen hielt.
Wie kann man sich den alten Friedhof bildlich vorstellen?
Auch der evangelische Friedhof im Marconi-Park war sehr schön angelegt. Er war von einer Mauer umgeben und hatte im Westen eine abschließbare Pforte. 1863/64 wurde auf der Mitte der Südmauer eine gotische Kapelle errichtet, bei der sowohl das Portal, als auch die Fenster, aus Trientner Marmor gemeißelt worden waren. Über dem Eingang der Kapelle standen in goldenen Lettern die einladenden Worte Jesu: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Was den ersten Friedhof schon damals von den umliegenden Friedhöfen unterschied, war seine einzigartige landschaftliche Gestaltung mit zahlreichen Bäumen, Hecken, Sträuchern, sowie Ruhebänken, welche die Friedhofsbesucher zum Innehalten einluden. Friedhöfe sind Orte der Erinnerung, des Gedenkens und des Bewusstwerdens über die eigene Sterblichkeit.
Wie wurde der Friedhof zur damaligen Zeit verwaltet?
Die Verwaltung des Friedhofes oblag anfangs noch der Stadtgemeinde Meran. Ende 1864 gingen die Verwaltung, und somit auch die Verantwortung, an das Presbyterium der Evangelischen Gemeinde über. Im Grundbuch blieb aber weiterhin die Stadtgemeinde vermerkt.
Welche Auswirkungen hatte der evangelische Friedhof für die noch im ungeweihten Teil des katholischen Spitalfriedhofs beigesetzten Nicht-Katholiken?
Nach vielen Überlegungen entschied sich das damalige Presbyterium für eine Umbettung, woraufhin 1870 alle noch auf dem katholischen Friedhof verbliebenen Verstorbenen auf den evangelischen Friedhof umgebettet wurden. Auf dem Friedhof waren übrigens nicht nur evangelische, sondern auch katholische, anglikanische, griechisch-orthodoxe und russisch-orthodoxe Christen sowie Konfessionslose bestattet worden. Das macht auch die 1876 erstmals erlassene Friedhofsordnung deutlich: „Auf diesem evangelischen Friedhofe können auch Nichtevangelische bestattet werden.“ Das zeugt von einer grundsätzlichen Offenheit und Dialogbereitschaft, die bis heute noch in unserer evangelischen Gemeinde in Meran gelebt wird.
Wie ging es weiter?
Nachdem der kleine evangelische Friedhof an der Heiliggeistkirche, dem heutigen Marconi-Park, immer mehr an Beliebtheit gewonnen hatte, war seine Kapazität schon nach 30 Jahren erschöpft. Man hielt Ausschau nach einer Erweiterung. Für viele Hoteliers in der unmittelbaren Umgebung war der Friedhof aber auch ein Dorn im Auge, wollten sie ihren Hotelgästen doch das blühende Leben und weniger die Begrenztheit des Lebens vor Augen führen. Es gab wohl mehrere Gründe, weshalb man sich nach einem neuen Ort umschaute. So begab sich Ende des 19. Jahrhunderts unsere Gemeinde auf die Suche nach einem neuen Standort.
Welche Persönlichkeiten hatten sich bis dahin im frühen Friedhof bestatten lassen?
Zu den herausragenden Persönlichkeiten, die im ersten evangelischen Gottesacker noch zu Grabe getragen wurden, zählten unter anderem Rudolph Prinz von und zu Lichtenstein (1888), Ruuto Elias Erkko (1888), Herzog Wilhelm von Württemberg (1896) und Margarete Heyse (1862), die Ehefrau des späteren Nobelpreisträgers für Literatur Paul Heyse (1830-1914). Ihre Gräber kann man auch heute noch auf dem neuen Evangelischen Friedhof finden. Daneben erzählen viele andere Gräber die Lebensgeschichte weiterer Persönlichkeiten, welche diese Stadt und das Land maßgebend beeinflusst und vorangebracht haben.
In der heutigen Marlinger Straße fand man den idealen Standort für den neuen Friedhof?
Ja, ein stiller und harmonischer Ort, der sich wunderbar gestalten ließ und gut erreichbar ist. In den ersten Überlegungen wollte man dort auch die Kapelle des alten Friedhofs integrieren. Aber dann entschloss sich das Presbyterium für eine neue und größere Variante, mit einem eigenen Abschiedsraum, Arbeits- und Büroräumen. Auch eine eigene Wohnung für den Friedhofswärter und eine größere Friedhofskapelle fanden dort ihren Platz. Die Einweihung des neuen evangelischen Friedhofs fand anlässlich des 36-jährigen Bestehens des alten Friedhofs am 10. Dezember 1897 statt. Der alte Friedhof wurde zwar anfangs auch noch genutzt, allerdings beschloss der Untermaiser Gemeindeausschuss im Mai 1908 dessen Auflösung. Nachdem die Rekurs-Bestrebungen seitens der Evangelischen Gemeinde von dem Tiroler Landesausschuss mehrfach abgelehnt worden waren, erfolgte 1911 die rechtskräftige Schließung des alten Friedhofs. Alte Grabsteine wurden nun nach und nach abgetragen und umgesetzt.
Sehr erfreulich erscheint die zwischenzeitliche Entwicklung am neuen Standort: Der neue Friedhof wurde sehr gut angenommen.
Ja, nach der Einweihung des neuen Friedhofes in der Marlingerstraße fand am 31. Dezember 1897 die erste Beisetzung statt. Das Bronze-Kruzifix, das ursprünglich von der Ehefrau des verstorbenen Königs Friedrich Wilhelm IV für die alte Friedhofskapelle gestiftet worden war, wurde 1940 in der Mitte der Epitaphwand angebracht, ergänzt durch die Inschrift „Christus ist unser Friede“. Die Friedhofsanlage wurde neugestaltet und sehr schön bepflanzt. Alte Grabplatten und Grabsteine fanden – harmonisch eingebettet – ein neues Zuhause. Seit seiner Einweihung im Jahr 1897 haben hier zahlreiche Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe gefunden.
Einige ihrer Geschichten werden im Begleitheft zum Friedhof „Auch Steine können reden“ von Hans. H. Reimer (erhältlich in der Evangelischen Pfarrgemeinde) beschrieben. Ein historischer Rundgang lädt seit dem Reformationsjubiläum 2017 dazu ein, die Geschichte des Friedhofes und die Biografien der darin bestatteten Persönlichkeiten selbst zu erkunden.
Was sind Ihre Wünsche für den Fortbestand des evangelischen Friedhofes?
Ich wünsche mir, dass dieser besondere Ort, der nach seiner Sanierung 2014 noch attraktiver und farbenfroher leuchtet, viele Menschen zum Verweilen und Innehalten einlädt. Seine eigene Geschichte und die Lebensgeschichten der Menschen, die dort begraben liegen, erzählen uns von der Verschiedenheit und Lebendigkeit unseres Lebens in dieser Stadt. Er ist ein Ort der Ruhe, des Friedens und des Gedenkens. Im Wechsel der Jahreszeiten erkennt der aufmerksame Betrachter den Kreislauf von Gottes Schöpfung: Was tot und abgestorben galt, erwacht zu neuem Leben. Wo uns die Vorstellungskraft für neues Leben fehlt, schöpfen wir Mut und Kraft aus der Quelle unseres Glaubens. Unser Friedhof ist ein Sinnbild und Ausblick unserer Sehnsucht nach dem himmlischen Paradies.
Info:
Am Evangelischen Pfarrhaus in Meran entsteht derzeit eine besondere Kunstinstallation, die der Barrierefreiheit zum Gemeindesaal und Pfarrbüro der Evangelischen Gemeinde dient. In diesem Bau sind die Grundrisse der alten Friedhofskapelle vom ersten Evangelischen Friedhof im heutigen Marconi-Park wiederzufinden.