Noch bevor der Ortler 1804 erstmals bestiegen wurde, scheint er auf einer berühmten Karte bereits als „Ortles Spiz der Höchste im ganzen Tyrol“ auf. Der Urheber dieser Karte ist genauso berühmt und man hat ihm eine Reihe von Straßen gewidmet, so auch in Lana und Rabland.
Die Zeit der Universalgelehrten ist angesichts des geradezu explodierenden Wissens eindeutig vorbei. Gottfried Wilhelm Leibniz, der weit mehr leistete, als einem Butterkeks seinen Namen zu geben, gilt gemeinhin als letzter dieser Art. Aber bis nach Hannover, wo dieser tätig war, müssen wir uns gar nicht begeben. Es reicht, über den Alpenhauptkamm zu blicken, um auf einen Menschen zu stoßen, der viele Talente in sich vereint hatte. Auf einer Gedenktafel in der Kirche von Oberperfuss liest man (übersetzt aus dem Lateinischen): „Hier ruht Peter Anich […], ein Wunder seiner Zeit, seines Standes und Volkes, zugleich ein Bauer und Drechsler, Kosmograph, Astronom, Geograph, Feldmesser, Kupferstecher, Mechaniker usw. In allem war er vortrefflich.“ Es geht aber auch billiger. In einem Beitrag im „Boten für Tirol“ 1816 würdigen die Grafen Enzenberg und Hormayr „das Genie des Hirten [!] Peter Anich“. Dabei hatte man seine Leistungen schon lange erkannt. Als er 1766 im Alter von 43 Jahren an Gallfieber verstarb, beließ es der Geistliche nicht bei den üblichen vier, fünf Zeilen im Sterbebuch, sondern widmete ihm eine ausführliche Beschreibung. Doch der Reihe nach.
Selbst ist der Lernende
Peter Anich wurde 1723 in Oberperfuss geboren, heute eine 3000-Seelengemeinde in Nordtirol. Er war, neben drei Töchtern, der einzige Sohn des Bauernehepaars Ingenuin und Gertrud. Da er für die Arbeit auf dem elterlichen Hof eingespannt wurde, blieb wenig Zeit für Bildung. Schulpflicht gab es noch keine. Immerhin kümmerte sich der Ortspfarrer um ihn, wodurch Peter Grundkenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen erhielt. Sein Vater stand dem Wissensdurst des Sohnes ambivalent gegenüber. Einerseits förderte er sein handwerkliches Geschick, indem er ihm das Drechslerhandwerk beibrachte, andererseits verbot er ihm, sein astronomisches Wissen bei den Innsbrucker Jesuiten aufzustocken. Dabei faszinierte ihn der Himmel schon seit der Kindheit. Als Hirte hatte er genügend Zeit, seine Blicke in die Höhe zu richten und den Lauf der Sonne, des Mondes und, zu später Stunde, auch der Sterne zu verfolgen. Als er 20 Jahre alt war, starb der Vater und Peter übernahm sowohl Hof als auch Drechslerwerkstatt. Die meisten Kenntnisse und Fertigkeiten musste er sich damals wohl selbst beigebracht haben, wie und wo ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Die Konstruktion einer vertikalen Sonnenuhr an einer Hauswand zum Beispiel wäre ohne trigonometrisches Wissen gar nicht möglich gewesen. Erst mit Ende 20 ging er nach Innsbruck und ließ sich ausbilden. Der Jesuit Ignaz Weinhart erkannte Anichs Talent und förderte ihn. So entstand eine fruchtbare Zusammenarbeit. Weinhart lieferte das Wissen und Anich das handwerkliche Geschick, um die entworfenen Messinstrumente herzustellen.
Das Meisterwerk
Anichs bekanntestes Werk ist der Atlas Tyrolensis, der auf diesem Gebiet, auch international, zu den bedeutendsten Leistungen des 18. Jahrhunderts gehört. Dafür hatte er Berechnungsmethoden weiterentwickelt und Messgeräte selber gebaut. Sein Fleiß und sein Arbeitswille waren vorbildlich, er ließ sich weder von schlechtem Wetter noch von Talsümpfen oder hohen Bergen abhalten. Die Arbeit war ohnehin nicht einfach. Hinter jedem Vermesser vermutete die Landbevölkerung einen neuen Kataster samt neuen Steuern. Genervt und misstrauisch wurden so viele von den Grundstücken gejagt. Aber Anich hatte auch hier eine Idee. Er verleugnete seine Herkunft nicht, kleidete sich bäuerlich und wurde dadurch leichter akzeptiert. So erfuhr er Details, die er in seine Karten einarbeiten und damit für die Nachwelt erhalten konnte. Ein Genie hat eben immer eine Idee.
Christian Zelger