Die Marktgemeinde Lana hat in ihrer Geschichte schon einige große Persönlichkeiten hervorgebracht. Denken wir an den Erfinder Johann Kravogl (1823 – 1889), den Seilbahnpionier Luis Zuegg (1876 – 1955) oder an den Olympiasieger Armin Zöggeler (*1974). Einer der Mutigsten und Konsequentesten war der Missionar Josef Ohrwalder (1856 – 1913), dessen Todestag sich am 7. August 2022 zum 109. Mal jährt.
von Philipp Genetti
Ohrwalder stammt aus Niederlana und gilt bis heute als einer der außergewöhnlichsten Persönlichkeiten der Marktgemeinde. Schon früh ging Josef Ohrwalder als Missionar in den Sudan, wo er zum Augenzeugen der Feldzüge des islamistischen Führers Muhammad Ahmad (1844 – 1885) wurde, der sich Mahdi nannte, was so viel heißt wie „der von Gott gesandte Erlöser“. Mahdi sorgte in der ersten Zeit, als Ohrwalder als Missionar im Sudan war, für großes Aufsehen, weil er erfolgreich gegen die Kolonialmächte kämpfte. Sein blutiger Aufstand gegen die Kolonialmächte war allerdings auch geprägt durch brutale Grausamkeit und einen fanatischen Willen, das Land zu islamisieren. Ähnliche Islamisierungskampagnen gibt es heute in Nigeria, Eritrea, Somalia oder dem Jemen.
10 Jahre Gefangenschaft
Josef Ohrwalder war 26 Jahre alt, als er, zusammen mit den Mitgliedern der Missionsstation, in Gefangenschaft geriet. Diese Gefangenschaft in den Gefangenenlagern von Omdurman sollte ganze zehn Jahre dauern. Sie machte Josef Ohrwalder zu einem Zeitzeugen und Chronisten eines blutigen Kapitels der Kolonialgeschichte. In der Taufurkunde steht zu lesen: „Josef Caspar Ohrwalder, Sohn des Josef Ohrwalder, Wirth und Gruber Rosina, mit Wohnort in Niederlana, Nr. 33, Hasenwirt.“ Nachträglich handschriftlich hinzugefügt findet sich in der Urkunde noch folgender Zusatz: „Priesterweihe in Cairo, […] Missionar in Nuba. 1881 gerät er in Gefangenschaft. 10 Jahre in der Gefangenschaft Mahdis“. Die abenteuerliche Lebensgeschichte des Josef Ohrwalder begann in ärmlichen Verhältnissen. Ab seinem dreizehnten Lebensjahr besuchte er das Franziskaner-Gymnasium in Bozen, wo er als sehr bescheidener, aber zuverlässiger und fleißiger Schüler galt. Noch während der Schulausbildung traf er auf einen Comboni-Missionar, der in Europa auf der Suche nach Nachwuchs für die Afrikamission war.
Dieses Treffen war für Josef Ohrwalder ein wegweisendes Erlebnis, das sein Leben für immer verändern sollte. Schon im Alter von 19 Jahren verließ er Tirol und übersiedelte nach Verona, um sich der Gemeinschaft „Daniele Comboni“ (Bischof, Missionar und Ordensgründer) anzuschließen. In dieser Gemeinschaft wurden Missionarsanwärter aus 12 verschiedenen Nationen gemeinsam mit den Schwestern „Pie Madre della Nigrizia“ auf die Missionstätigkeit in Zentralafrika vorbereitet. In einem Brief vom Ordensgründer Daniele Comboni wurde der junge Ohrwalder als ein „Missionar erster Güte, „mit festem Glauben und Opferbereitschaft“ beschrieben, „gut und loyal gegenüber der Mission bis zu seinem Tode; er wäre bereit sofort dafür zu sterben“.
Missionar im Südsudan
Josef Ohrwalder ging gleich nach seiner Priesterweihe im Jahr 1881 in die Nuba-Berge nach Delen im Südsudan, wo er zuerst einmal die Sprache der Einheimischen erlernen musste und sich gleichzeitig dem Sammeln von Insekten widmete. Aber wie viele seiner europäischen Kollegen litt auch er bald unter den Klimabedingungen Zentralafrikas, die ihn immer wieder ans Bett fesselten. Wirksame Medikamente gegen die Krankheiten gab es zu dieser Zeit noch nicht, also blieb nichts anderes übrig, als die Krankheiten durch die eigene Immunabwehr zu überstehen und so auch immer mehr immun gegen diese Krankheiten zu werden. Als Josef Ohrwalder in den Südsudan kam, geriet er direkt in den Aufstand des Mahdi. Die Rebellion der Mahdisten dauerte von 1881 bis 1899. Es war der erste erfolgreiche afrikanische Aufstand gegen den Kolonialismus. Die Europäer, die sich im Land aufhielten, sahen sich plötzlich größter Lebensgefahr ausgesetzt, da bereits die Zugehörigkeit zum Christentum Grund genug war, zum Tode verurteilt zu werden. Josef Ohrwalder war 26 Jahre alt, als er in Gefangenschaft geriet. Der Alltag im Gefangenenlager war von Krankheiten und Hunger, unmenschlichen Schikanen und Misshandlungen geprägt. Die Missionare wurden förmlich dazu gedrängt, sich zum Islam zu bekehren. Es gab ein einziges mohammedanisches Gesetz, das ihnen das Leben rettete. Dieses Gesetz besagte, dass unbewaffnete Priester, die keinen Widerstand leisten, verschont werden müssen. Trotzdem war diese Zeit für Josef Ohrwalder und seinen Mitgefangenen eine einzige Tortur.
Die abenteuerliche Flucht aus der Gefangenschaft
1891 wurde aus Europa ein Schleuser in das Gefangenenlager geschickt, der Josef Ohrwalder zusammen mit einigen Ordensschwestern zu einer abenteuerlichen Flucht nach Ägypten verhalf. Insgesamt flüchteten sieben Personen mit vier Kamelen durch die Wüste. Für die zurückbleibenden europäischen Mitgefangenen, unter denen auch Josefs Ohrwalders langjähriger Freund Slatin Pascha war, bedeutete diese Flucht erschwerte Haftbedingungen, weitere Schikanen und weitere bittere Jahre der Gefangenschaft.
Josef Ohrwalder wird zum Bestsellerautor
Nach seiner Flucht blieb Josef Ohrwalder, trotz schlechter Gesundheit, für einige Zeit in Kairo, wo er an seinen Memoiren zu schreiben begann. Der Titel des Buches lautete: „Aufstand und Reich des Mahdi im Sudan und meine zehnjährige Gefangenschaft dortselbst“. Das Buch wurde zu einem Bestseller, der laut Winston Churchill in England großen Eindruck auf viele machte. Die Beschreibungen beschränkten sich vor allem auf die historischen Ereignisse, das Land und den Mahdismus, von dem Ohrwalder viel zu erzählen hatte. Die erste englische Ausgabe des Buches erschien in England mit einer Auflage von 3000 Stück und wurde zwischen 1892 und 1914 weitere 14-Mal neu herausgegeben. Auch die deutsche Ausgabe hatte in weniger als sechs Monaten zwei Neuauflagen. Der Erlös des Buches kam Ohrwalders Familie in Lana zugute. Es folgte ein kurzer Aufenthalt in Europa, den er aber bereits im Januar 1893 wieder beendete, um nach Ägypten zurückzukehren, wo er sich dafür einsetzte, um den noch in Gefangenschaft des Kalifen verbliebenen Europäern behilflich zu sein. Er spielte auch eine wichtige Rolle bei der Befreiungsaktion seines langjährigen Freundes Rudolf Slatin Pascha. Noch ein weiteres Mal kehrte Josef Ohrwalder in seine Heimat zurück. Seine Eltern waren in der Zwischenzeit bereits verstorben, die Geschwister verheiratet und über Tirol verstreut. Durch seinen Bekanntheitsgrad und den Erfolg seines Buches war er diesmal in Tirol willkommen. Dennoch schrieb er nach seiner Rückkehr in den Sudan: „Als ich wieder die dunklen und schwarzen Gesichter sah, die schlanken Palmen, wieder die arabische Sprache hören konnte, konnte ich spüren, wie es mein Herz erwärmte und ich mich wiederum zu Hause fühlte“.
Tod im Jahr 1913
Am 7. August 1913 starb Josef Ohrwalder in Omdurman, indem er, wie es heißt, „während er sich zu seiner Katze hinabbeugte, um ihr zu fressen zu geben, tot umfiel.“ Auf seiner Beerdigung waren neben Freunden und Bekannten, Vertreter aus unterschiedlichen Nationen und Religionen, Engländer, Österreicher, Deutsche, Italiener, Griechen und Sudanesen; koptische und katholische Priester, Rabbiner und sogar Imame. Josef Ohrwalder wurde in einem Grab jenes Friedhofs beigesetzt, den er selbst errichtet hatte. Seine außerordentliche Lebensgeschichte war geprägt von Gefangenschaft, Ruhm und einer missionarischen Überzeugung, die bis zu seinem Tod andauerte. Mit seinem Tod ging gleichsam eine ganze Epoche zu Ende.