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Beruf(ung) Politiker

Die Wahlen sind geschlagen und die Überraschung ist ausgeblieben. Die Wahlumfragen haben sich diesmal als richtig erwiesen. Das Mitte-Rechts-Bündnis ist klarer Wahlsieger. Eine kleine Überraschung am Rande lieferte die 5-Sterne-Bewegung, die sich trotz gravierender Verluste nicht in völlige Bedeutungslosigkeit verabschiedet hat.
von Josef Prantl

Ist der Erfolg von Fratelli d’Italia und 5-Sterne den Persönlichkeiten von Giorgia Meloni und Giuseppe Conte zu verdanken? Verkörpern Meloni und Conte die Politiker, wie sie vielen gefällt: leidenschaftlich, kompetent und selbstlos. Vor allem aber nicht mittelmäßig.
62,23 % Wahlbeteiligung in Südtirol, ein bisschen mehr (63,91%) im Staatsgebiet. In Zahlen ausgedrückt: Von rund 46 Millionen Wahlberechtigten für die Abgeordnetenkammer haben gerade einmal 28 Millionen gewählt.
18 Millionen Italiener scheint es nicht zu interessieren, wer im Lande herrscht. Von den 811.000 Wahlberechtigen im Wahlbezirk Trentino-Südtirol sind nur 535.000 zur Urne geschritten.

A. Plangger mit Senator M. Durnwalder, Unterstaatssekretärin R. Accoto und Ehrenamtspräsident A. Lombardi

Letzter Arbeitstag in Rom

„Politische Passivität und politisches Desinteresse können Folge negativer Erlebnisse im Zusammenhang mit politischen Verhältnissen und Vorgängen, aber auch Ausdruck allgemeiner Zufriedenheit sein“, erklärt Wikipedia. Der Vorwurf, Parlamente seien ineffektive „Schwatzbuden“, die dem „Willen des Volkes“ nicht Geltung verschafften, ist so alt wie es die parlamentarische Demokratie gibt. Politikverdrossenheit lässt sich vor allem am Sinken der Mitgliederzahlen politischer Parteien sowie an einer abnehmenden Wahlbeteiligung erkennen. Wenig bis gar nichts können junge Menschen mit der Politik anfangen. Zu schwer verständlich, zu fern von der Lebenswelt junger Menschen, zu unübersichtlich und vor allem die regelmäßigen Negativschlagzeilen über das politische Geschäft können Ursachen für das große Desinteresse bei jungen Menschen für Politik sein. Ob dem das neu eingeführte Schulfach „Politische Bildung“ etwas entgegensetzen kann, ist fraglich.
Das Vertrauen der Bürger in die Politik steht laut Umfragen auf einem historischen Tiefstand. Politische Parteien rangieren laut ISTAT in der Vertrauenfrage von 1 bis 10 mit einem Wert von 3,3 auf dem letzten Platz. Zum Vergleich: Die Feuerwehr kommt auf einen Wert von 8,1. Kaum ein Politiker, der länger an den Hebeln der Macht ist, ist nicht durch Negativschlagzeilen aufgefallen. Warum sollte man ihnen also vertrauen? Kaum jemand scheint der Politik auch mehr zuzutrauen, auf die Krisen unserer Zeit angemessen reagieren zu können. Die Ablehnung gegen „die da oben“ betrifft aber nicht nur die Politik, sondern auch andere Institutionen der Gesellschaft, in letzter Zeit vor allem Journalisten und Journalistinnen. Nicht wenige Menschen sind davon überzeugt, dass sie von klassischen Medien konsequent angelogen und manipuliert werden. Aber auch Wissenschaftler, Lehrer und Ärzte kämpfen mit ihrem Image und finden sich oft als Feindbild wieder.
Albrecht Plangger kennt das politische Geschäft sehr gut. 20 Jahre war er Bürgermeister von Graun am Reschen. Seit 2013 vertrat er Südtirol im Parlament in Rom. Er erhielt bei den SVP-internen Vorwahlen damals am meisten Vorzugsstimmen. Da das Parlament nun aber deutlich verkleinert worden ist, schaute für Albrecht Plangger bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im September keine Kandidatur mehr heraus. Seit Jahren schrieb Albrecht Plangger auch für unsere Zeitschrift, ohne etwas dafür zu verlangen, seinen „Bericht aus Rom“.

„Die meisten Probleme machen wir uns selbst“

Verleihung des Ehrenringes der Gemeinden durch den Landeshauptmann

Der Abgeordnete mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Renzi und einer Kollegin

Herr Plangger, Sie waren fast 10 Jahre lang Parlamentarier und 20 Jahre Bürgermeister. Politiker genießen aber nicht immer den besten Ruf. Wie ist es Ihnen damit ergangen?
Albrecht Plangger: Ich war 20 Jahre Bürgermeister und denke und fühle immer noch in dieser Dimension. Auch in Rom war ich gerne und habe mir hoffentlich – über all die Jahre – auch als „Hinterbänkler“, meine Suppe verdient und viele Projekte im Tal oder im Lande dank dieser hohen politischen Funktion weitergebracht. Den Abgang habe ich mir etwas anders vorgestellt, aber auch das wird vergessen werden, da ich hoffe, nach 9 Jahren Arbeit im Parlament „aufrecht durch den Vinschgau gehen zu können“.

Was hat Sie bewogen in die Politik zu gehen? Sie hatten als ausgebildeter Jurist ja einen guten Job bei der Zollverwaltung?
Ich war immer schon interessiert an der Politik. Nach dem nicht unbedingt freiwilligen Ausscheiden als Bürgermeister von Graun im Zuge der Mandatsbeschränkung habe ich 2013 von meinem Bezirk die Möglichkeit einer Kandidatur für das römische Parlament erhalten und auch mit Erfolg genutzt.

Was waren Ihre wichtigsten Themen als Parlamentarier?
Die wichtigsten Themen waren vor allem alle Agenden rund um die Gemeinden, öffentliche Ausschreibungen, Arbeiten usw., und dann die Energie, die Jagd (ich war lange Zeit der einzige Jäger in hoher politischer Funktion). Aus dem Vinschgau habe ich alle Probleme rund um den Nationalpark und das Grenzpendlertum und die Aufwertung des Stilfserjochs mitbekommen. Die aufwendigste und politisch schwierigste Agenda war die Rettung der Geburtenstation in Schlanders. Die gibt es noch. Darüber kann ich ein Buch schreiben, sollte mir jetzt als Rentner einmal langweilig sein.

In Südtirol ist der Anteil der Nicht-Wähler so hoch wie in keiner anderen norditalienischen Region. Was sind die Ursachen der Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit? 
Die Abwahl 6 bis 7 Monate vor dem Legislaturende von Ministerpräsident Draghi aus reinen wahl- und parteitaktischen Gründen ist ein typisches Beispiel, das zur Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit führt. Mit solchen Aktionen wird die Situation verschlechtert, nicht verbessert.

Es ändert sich eh nichts, heißt es. Warum also wählen gehen?
Genau das ist er springende Punkt. Dazu kommt, dass jeder nur das eigene Umfeld sieht und nicht das große Ganze. Die „reddito di cittadinanza-Empfänger“ sind wählen gegangen, um diese Hilfestellung ja nicht zu verlieren. Viele Nicht-Wähler haben kein konkretes Ziel oder Projekt für sich im Auge, welches durch die Politik verwirklicht werden sollte und dann lassen sie es halt bleiben.

Wie gefährlich sind Angst um die eigene Sicherheit, Wut auf die Politiker und das Gefühl, der Staat kriegt nichts hin, für die Demokratie?
Dass viele Bürgerinnen und Bürger nicht wählen gehen, finde ich schade und demokratiepolitisch bedenklich. Der Frust wird durch „nicht wählen gehen“ aufgebaut und irgendwann „explodiert“ er.

Das neue Wahlgesetz ist für die meisten schwierig zu durchblicken. Trägt es nicht auch dazu bei, dass immer mehr Menschen der Politik den Rücken kehren?
Auf jeden Fall. Einmal durch die Reduzierung der Parlamentarier und die Streichung bzw. Zusammenlegung von Wahlkreisen. Die Leute wünschen sich Ansprechpartner für römische Agenden vor Ort, nicht Leute von auswärts, die man nach den Wahlen nicht mehr sieht. Die Politiker sollen vom Wähler durch Vorzugsstimmen ausgewählt werden.

„Politiker reden nur und schauen auf ihren Vorteil.“ Zurecht? Welche Kennzeichen machen in Ihren Augen einen guten Staatsmann aus?
Auch diese Politiker gibt es leider. Die große Masse aber hat durchwegs höhere Ziele, die man verwirklichen möchte. Das politische Geschäft ist durchwegs schwierig. Kennzeichen für einen guten Staatsmann sind Gemeinschaftssinn, ein Blick für die öffentlichen und sozialen Themen, moralische Integrität, Glaubwürdigkeit und ein politisches Gespür.

Albrecht Plangger (l) als Bassbläser bei der Jagdhornbläsergruppe „Hirschruf“

Seit 25 Jahren ein treuer Fan der „Cinque Terre“

Für die einen ist sie die „italienische Jeanne d’Arc“, für die anderen Part eines infernalen Trios, das eh bald wieder auseinanderbrechen wird. Wie beurteilen Sie den Wahlausgang?
Der Wahlausgang war vorhersehbar. Hinter der Meloni und hinter einem Salvini und Berlusconi gibt es trotz allem sehr viele gute Leute, die durchaus gute Politik machen können. Ich glaube aber, dass es in den nächsten fünf Jahren (wie in den letzten zwei Legislaturen) wieder drei verschiedene Regierungen geben wird. Die Meloni wird sich schwertun, die über 1000 Regierungstage vom ehemaligen Ministerpräsident Renzi zu übertreffen.

Giorgia Meloni wird aller Voraussicht die erste Frau an der Spitze der Regierung. Bräuchte es nicht viel mehr Frauen und vor allem jüngere Menschen in der Politik.
Es ist längst überfällig, dass auch Italien seine erste Ministerpräsidentin erhält. Ich hätte mir aber gewünscht, dass diese vom linken statt vom rechten Lager kommt. Für die Frauen kann das persönliche Beispiel einer Politikerkarriere wie bei der Meloni ein Ansporn sein, größere und höhere politische Ziele anzustreben. Melonis politische Karriere kann aber auch jüngere Leute ansprechen.

George Bernard Shaw soll über den Politiker gesagt haben: „Er weiß nichts; und er denkt, er weiß alles.“ Sie kennen die Politikszene sehr gut. Hat Shaw recht?
Es gibt sicher solche Politiker, wie sie Shaw definiert und beschrieben hat. Es gibt aber auch viele andere, die ehrlich und glaubwürdig ihr Bestes geben, Fehler machen und daraus lernen und mit Demut anerkennen, dass auch andere etwas wissen und ihre Arbeit gut machen.

Wie geht es mit Albrecht Plangger nach fast 30 Jahren in der Politik weiter?
Das Büro ist ausgeräumt… 13 Postkartone zu je 20 Kg sind unterwegs nach Graun. Ich brauche sicher Monate, um alles aufzuarbeiten und geordnet an meine Kollegen weiterzureichen. Es war schwierig Akten zu verwerfen, in welchen monatelanger oder gar jahrelanger Einsatz steckt. Ich bin meinem Bezirk sehr dankbar, dass man mir 2013 die Möglichkeit einer Kandidatur angeboten hat. Ich konnte für das Tal und das ganze Land fast  10 Jahre lang in der schönsten Stadt Italiens arbeiten. Ich stehe noch lange in der Schuld des Bezirkes und möchte als SVP-Bezirksobmann noch Einiges zurückgeben. In dieser Funktion kann ich mich in jede Angelegenheit des Tales einbringen.

Wenn Sie auf Ihre politische Zeit zurückblicken, was fällt Ihnen als Erstes dazu ein? Und was möchten Sie nie mehr so erleben müssen?
Es war durchaus eine gute und höchst interessante Zeit. Mit meinen Kollegeninnen und Kollegen in der Abgeordnetenkammer hatte ich ein sehr gutes, sogar freundschaftliches Verhältnis. Wir haben uns über die Jahre sehr gut ergänzt und bei der politischen Arbeit nichts „anbrennen“ lassen oder verabsäumt. Rom macht uns sehr viel weniger Probleme, als wir die Leute in Südtirol immer glauben lassen. Die meisten Probleme machen wir uns selbst in Südtirol und schieben sie dann nach Rom ab. Dann ist auf einmal Rom die Schuld. Den Abgang von dieser politischen Bühne sollte man allerdings anders erleben können – unabhängig von der gescheiterten Wiederwahl. Es gab keinen Händedruck, keine offizielle Verabschiedung. Nach der letzten Abstimmung sind alle zurück in den Wahlkampf und jetzt „schleichen“ die meisten nachts ins Parlament, holen ihre Sachen und verschwinden. Nach fünf Jahren gemeinsamer Arbeit könnte dies durchaus ein bisschen anders sein.

Kann es sein, dass wir Albrecht Plangger bei den Landtagswahlen im kommenden Herbst wiedersehen?
Nein.

Drei Generationen bei der Gamsjagd

 

Albrecht Plangger hat über Jahre für die BAZ seinen „Bericht aus Rom“ verfasst, unentgeltlich und stets pünktlich.
Die BAZ-Redaktion bedankt sich dafür herzlich und wünscht ihm alles Gute für seine künftigen Vorhaben.