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Religion und Tourismus

Meran ist seit langem ein religiös vielfältiges Pflaster. Neben den katholischen Kirchen trifft man auf ein evangelisches und ein orthodoxes Gotteshaus, wie auch auf eine jüdische Synagoge und neuerdings auf muslimische Gebetsräume. Eine weitere christliche Kirche gab es bis 1970 in der Magnus-Ortwein-Straße.
Schon im 19. Jahrhundert zog es immer mehr Engländer und Amerikaner in die Kurstadt. Um ihnen das Leben noch angenehmer zu gestalten, bildete sich Anfang 1890 der „Englische Verein“, der in Meran eine anglikanische Kirche errichten wollte. Ein Grundstück dafür wurde in der Kronprinz-Rudolf-Straße von André Lenoir, dem Besitzer des „Meranerhofs“, erworben.
Der Erlös eines Basars samt Zinsen bildete den Grundstock der Finanzierung und weitere Sammlungen ließen das Budget im Mai 1890 schon auf 9000 Gulden anwachsen, heute etwa 150.000 Euro. Beauftragt wurde das renommierte Unternehmen Musch & Lun, das unverzüglich mit dem Bau begann, der bereits Mitte November desselben Jahres fertig werden sollte.

Die Kirche war im Stil der Gotik projektiert, sollte 24 m lang und 15 m breit sein und im Inneren einfach, aber geschmackvoll ausgestattet werden. Die Fassaden wurden im Schichtenmauerwerk errichtet, teils aus rotem, teils aus grauem Burgstaller Porphyr, mit Zement verfugt. Das Portal, das Giebeltürmchen und die Presbyteriumfenster werden aus Sandstein gefertigt. Und eine Heizung, die Warmluft durch Öffnungen im Fußboden ausströmen ließ, sorgte dafür, dass die bis zu 200 Personen in der Kirche nicht frieren mussten. In der Zwischenzeit hatte die „Society for the Propagation of the Gospel in foreign Parts“ mit Sitz in London den Meraner Verein offiziell anerkannt und eine erste Spende nach Meran gesandt. Insgesamt 20.000 Gulden wird der Bau kosten.

Die Presse begleitete das Unternehmen von Beginn an mit unterschiedlichem Wohlwollen. Die gewogene Linie der „Meraner Zeitung“ hatte vor allem touristische Gründe. Die Schweiz hätte den Wert der Errichtung englischer Kirchen schon lange erkannt, die Meraner sollten sich an den Spenden beteiligen: „Möge Jeder, dessen Interesse mit demjenigen des Curortes zusammenhängt, sein Scherflein beitragen und das Unternehmen unterstützen, welches Meran als dem Pionier der Südtiroler Curorte einen weiteren Vorsprung sichern […] wird.“ Dagegen wetterte der katholisch-konservative „Burggräfler“ in ganz anderem Ton: „In Meran steht thatsächlich der Leichenstein der tirolischen Glaubenseinheit, hier haben die Nichtkatholiken ihr Hauptquartier, von hier aus machen sie ihre feindlichen Eroberungszüge nach allen Richtungen hin. Hier in ihrem Hauptquartier müssen die Feinde unserer Religion und der Tirolersitte beobachtet, hier müssen ihre Schlachtenpläne ausgekundschaftet, ihre Angriffe zurückgeschlagen und ihre Schachzüge paralisirt werden.“

Im September hatte der Bau fast die Höhe des Dachstuhls erreicht, aber es zeichnete sich ab, dass die Fertigstellung in der laufenden Kursaison nicht mehr möglich sein werde. Die feierliche Eröffnung der Auferstehungskirche fand dann am Karsamstag 1891 statt, die Weihe durch Lord-Bischof Wilkinson und in Anwesenheit des Kurvorstehers Wilhelm von Pernwerth erst sechs Jahre später. Um die Messen während der Kursaison zu garantieren, wurde das Gotteshaus von der „Society“ in London übernommen. Der „Englische Verein“ hatte sein Ziel erreicht und konnte sich auflösen.

Nach dem 1. Weltkrieg fanden deutlich weniger Briten den Weg in das nun italienische Meran. Mit dem Überfall Italiens auf Abessinien 1935 kam der englische Tourismus in der Stadt ganz zum Stillstand. Im 2. Weltkrieg wurde die Kirche als Lager benutzt, auch noch danach, weshalb man ab 1962 über ihre Zukunft diskutierte. Da die Meraner Volkshochschule 1967 das Gebäude gekauft hatte und seit Jahren auf der Suche nach einem geeigneten Bauplatz für sich war, wurde die Kirche 1970 schließlich abgerissen. Mauerreste im Stiegenhaus der Urania erinnern noch heute daran. Christian Zelger