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Es gibt noch ein Morgen

Ein Film über Gewalt an Frauen bewegt Italien. Zwanzig Millionen BesucherInnen im ersten Monat nach dem Kinostart, der meistgesehene Film nach der Covidzeit und mehrere Vorführungen, die mit dem Applaus des Publikums endeten.
Die Rede ist von „C‘è ancora domani“, dem feministischen Film von Paola Cortellesi. Er erzählt die Geschichte von Delia, einer Ehefrau und Mutter im Rom der Nachkriegszeit und ihrem gewalttätigen Ehemann. Aber auch von ihrer allmählichen Erkenntnis des erlittenen Unrechts. Darauf reagiert sie nicht indem sie mit einem anderen Mann durchbrennt, wie den ZuschauerInnen im Laufe des Films suggeriert wird, sondern indem sie sich stolz in die Reihe der Frauen einreiht, die 1946 zum ersten Mal von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Keine Frau gewinnt allein, so die Botschaft des Films. Es geht um den Kampf um Gleichberechtigung in Politik und Gesellschaft, um das stille Ertragen männlicher Übergriffe und gleichzeitig um den Willen der Italienerinnen, ihre Situation zu verbessern. Der Film spielt in einer Zeit, in der der Ehemann noch das alleinige Familienoberhaupt war und sogar das Züchtigungsrecht gegenüber seiner Frau besaß. Und als Frauenmorde wegen Ehrverletzung noch mit erheblichen Strafnachlässen geahndet wurden. Auch wenn diese Zeiten vorbei sind rückt der Film, die nach wie vor bestehenden Defizite ins öffentliche Interesse.
Zwar ist die rechtliche Gleichstellung inzwischen erreicht, doch die gesellschaftliche Gleichstellung ist noch in weiter Ferne. Und vor allem zeigt das Patriarchat seine hässlichste Fratze in den zahlreichen Frauenmorden, die Italien nach wie vor erschüttern. Ein weiterer, besonders grausamer, Frauenmord ist gerade wieder auf die politische Agenda gerückt. Die 22-jährige Studentin Giulia Cecchettin wurde wenige Tage vor ihrem Universitätsabschluss, von ihrem Ex-Freund ermordet. Der Mord an Giulia hat die italienische Öffentlichkeit zutiefst erschüttert, weil er einmal mehr die unsichtbaren Mechanismen des Patriarchats in ihrer ganzen Gewalttätigkeit offenbarte: Der vermeintlich gute Junge, der nicht akzeptieren will, dass Giulia ihren Abschluss vor ihm macht, und sie auffordert ihre Studienerfolge zu verlangsamen. Die junge, erfolgreiche Studentin, die ihn verlässt, sich aber zu einem letzten Treffen überreden lässt, das ihr zum Verhängnis wird. Sie ist bei weitem nicht die Einzige.
Nach Angaben des Innenministeriums wurden in Italien zwischen dem 1. Januar und dem 16. November 102 Frauen ermordet, 53 davon von ihren Partnern oder Ex-Partnern. Ähnliche Zahlen wie in den Jahren zuvor. Ein Beweis dafür, dass die vielen Gesetzesverschärfungen und Sensibilisierungskampagnen nur wenig geändert haben. Als Delia im Film den ersten Wahltermin verpasst, seufzt sie erleichtert: „Es gibt noch ein Morgen“.
Das gilt auch für den Kampf um die Gleichstellung der Frauen, der noch lange nicht zu Ende ist.