Vom Bergweiler wie Aschbach bis zum urbanen Vorstadtviertel wie der Laurinstraße bietet Algund eine breite Palette an Attraktionen: eine vielfältige Wirtschaft, ein Kino- und Einkaufserlebnis im ALGO, die renommierte FORST-Brauerei mit über 300 Beschäftigten, traditionelle Konditoreien und Metzgereien, gehobene Gastronomie, ein ausgewogenes Verhältnis von Gästebetten zu Einwohnern, ein lebendiges Vereinsleben, eine Seilbahn, ein Sessel- und Gondellift, eine weitum bekannte Sennerei, die modernste Kirche im Alpenraum, sieben Fraktionen und knapp 5000 Einwohner.
von Josef Prantl
Seit 1945 hat die Gemeinde nur drei Bürgermeister erlebt: Hans Gamper, Anton Schrötter und aktuell Ulrich Gamper. Ein persönliches Gespräch mit ihm.
Herr Bürgermeister, Ihr Vater prägte über 50 Jahre lang Algunds Gemeindepolitik. Wie fühlt es sich an, in seine Fußstapfen zu treten?
Ulrich Gamper: Mein Vater engagierte sich im Andreas-Hofer-Bund und war Mitbegründer der Südtiroler Volkspartei im Jahr 1945. Zunächst von den Amerikanern 1945 eingesetzt, wurde er 1952 zum Bürgermeister gewählt und bekleidete dieses Amt bis 1995. Sein Einfluss war prägend für mich, und ich habe mich lange Zeit an seinem Vorbild gemessen. Doch es gab Zweifel, ob ich jemals seine Leistungen erreichen könnte. Oft wird man mit seinem Vater verglichen. Doch es hat auch Vorteile, einen solchen Vater zu haben; man genießt einen gewissen Vertrauensvorschuss der Menschen.
Haben Sie als Bürgermeister auch etwas von Ihrem Vater übernommen?
Ein direkter Vergleich gestaltet sich schwierig, da sich die Zeiten geändert haben. Damals wurde Politik in Bars, auf dem Heimweg, manchmal sogar im Gasthaus meiner Mutter gemacht. Die Verwaltungsarbeit, wie wir sie heute kennen, war meinem Vater fremd. Man traf ihn selten im Gemeindebüro an. Das wäre heute undenkbar.
Welche Veränderungen haben Sie besonders bemerkt?
Heutzutage haben Gemeindeverwaltungen einen immer mehr begrenzten Handlungsspielraum. Selbständige Entscheidungen zu treffen, wird immer schwieriger. Die Autonomie der Gemeinden wird von verschiedenen Seiten eingeschränkt.
Als Beispiel: Bei den Wiederaufbaugeldern PNRR sind die Verwendungszwecke bereits festgelegt. Es ist nicht möglich sie für Belange einzusetzen, die aus Sicht der Gemeinde jetzt wichtiger wären, wie in unserem Fall zum Beispiel das Geothermie-Projekt in der Schule, für das jedoch zurzeit keine Fördermittel vorgesehen ist. Heutzutage gibt es viele Zwänge und Gesetzesvorgaben, von denen man als Bürgermeister und Gemeinderat eingeschränkt wird seine Gemeinde weiterzuentwickeln. Leider entwickelt sich alles in Richtung Gleichmacherei und dadurch auch teilweise eine Nivellierung nach unten.
Als Pionier der Biolandwirtschaft, Gründer und Präsident von Biokistl, im Vorstand der SELFIN und von Bioland Südtirol sowie als Referent für Umwelt in der Bezirksgemeinschaft und seit 14 Jahren Bürgermeister von Algund – was hat Sie dazu bewogen, in die Politik einzusteigen?
Ich war schon immer überzeugt, dass man sich einbringen muss, wenn man etwas verändern möchte. Es ist eine Grundsatzentscheidung im Leben: Entweder man lässt andere für sich entscheiden oder man beginnt mitzuentscheiden. Jeder muss für sich selbst entscheiden, was er möchte: Mitreden und mitgestalten oder einfach akzeptieren, was entschieden wurde. Ich sehe es als problematisch an, wenn sich immer mehr Menschen vom Entscheidungsprozess zurückziehen. Dies kann dazu führen, dass nur noch einseitige Interessen vertreten werden, nämlich von denen, die sich zur Wahl stellen. Demokratie und eine Gemeinde leben davon, möglichst viele Menschen einzubeziehen wie es zum Beispiel in der Schweiz gut praktiziert wird und niemanden zurückzulassen. Als Gemeindepolitiker ist es meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass es allen besser geht. In dieser Hinsicht war mein Vater auch für mich ein Vorbild.
Die Politik im Land hat in letzter Zeit jedoch kein gutes Bild abgegeben.
In Algund gibt es meiner Erfahrung nach wenig Lobbydenken und auch Mann und Frau ist gut vertreten. Im Rat und im Ausschuss herrscht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den unterschiedlichen sozialen Schichten. Die Zusammenarbeit basiert auf Augenhöhe, dies zeigt sich auch in den vielen einstimmigen Entscheidungen im Gemeinderat, was mich sehr freut. Es war mir immer wichtig, ausgleichend zu wirken. Jeder sollte Gehör finden und die Unterstützung erhalten, die er benötigt. Es ist eine große Herausforderung, möglichst viele Menschen einzubeziehen, aber nur gemeinsam können wir Probleme lösen. Die Auseinandersetzung ist ein wesentlicher Bestandteil, um Zusammenhalt herzustellen. Dabei ist es wichtig, die Diskussion über grundlegende Fragen zu führen und sachliche Argumente in den Mittelpunkt zu stellen.
Ausgleich und Zusammenhalt bräuchte die Südtiroler Volkspartei dringender denn je. Wäre die Übernahme der Obmannschaft keine Herausforderung für Sie? Und was denken Sie über die neue Landesregierung?
Ich bin Ortsobmann und war auch im Parteiausschuss tätig. Ich bin sicher, dass im Laufe der Zeit jemand gefunden wird, der die Führung auf Landesebene übernimmt, jedoch sehe ich mich nicht in dieser Rolle. Für mich ist die SVP nicht mit anderen Parteien vergleichbar, da sie den größten Teil der deutschsprachigen Südtiroler vertreten sollte, was jetzt leider nicht mehr so klar ist. Was die neue Landesregierung betrifft, so betrachte ich die Situation pragmatisch. Durch den direkten Draht nach Rom gibt es klare Vorteile für das Land, die es aber jetzt auch umzusetzen gilt. Außerdem kann man sich nicht immer aussuchen, mit wem man zusammenarbeiten möchte, wenn die Wahlergebnisse entsprechend ausfallen.
Kann eigentlich jeder Politiker werden oder braucht man dazu bestimmte Voraussetzungen?
Es lässt sich sagen, dass grundsätzlich jeder Politiker werden kann, wenn wir die Vielfalt unserer Politikerbiografien betrachten. Dennoch sollten gewisse Fähigkeiten vorhanden sein, wie Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit zuzuhören, Selbstvertrauen und Entschlussfreude. Politiker sollten verlässlich, fair, geduldig, gesellig, verhandlungsfreudig, anständig und vorbildhaft sein. Vor allem aber sollten sie eine Leidenschaft für die Menschen und ihre Anliegen haben. Es ist wichtig, den Überblick zu behalten, da man sich mit einer Vielzahl von Themen auseinandersetzen muss. Man muss Prioritäten setzen und gut im Team arbeiten können, insbesondere auch mit den Mitarbeitern im Rathaus. Eine spezifische Qualifikation ist nicht unbedingt erforderlich, da fachliche Kompetenzen zum Teil auch erarbeitet werden können. Bei der Zuteilung der Aufgaben berücksichtigen wir wo immer möglich sowohl das persönliche Interesse als auch die Kenntnisse in der jeweiligen Materie.
Wie sieht ein typischer Tag eines Bürgermeisters aus? Als Vater von fünf Kindern dürfte es nicht einfach sein, Familie und Amt unter einen Hut zu bringen?
Die Aufgaben des Bürgermeisters sind äußerst vielfältig, was den Job sowohl herausfordernd als auch spannend macht. Jeden Tag hat man es mit verschiedenen Themen, Menschen und Anliegen zu tun. Meistens erledige ich tagsüber die Verwaltungsarbeit hier im Rathaus. Abends und am Wochenende stehen oft Veranstaltungen und Sitzungen auf dem Programm. Hinzu kommen viele Gesprächstermine und repräsentative Aufgaben. Daher ist mein Tag sehr abwechslungsreich. Glücklicherweise habe ich einen guten Kompromiss mit meiner Familie gefunden. Wir treffen uns in der Regel zum gemeinsamen Mittagessen, um zumindest einmal am Tag zusammen zu sein.
Und was empfinden Sie als herausfordernd?
Die starren Vorschriften und Überregulierungen sind oft sehr mühsam. Im öffentlichen Bereich haben wir viel damit zu tun, und in manchen Fällen sind sie schwer mit der Realität der Menschen vereinbar. Manche Verwaltungsvorgänge können sehr langwierig sein, und der Ermessensspielraum der Verwaltung ist oft stark eingeschränkt. Leider können wir nicht immer helfen. Zusätzlich sind die finanziellen Mittel oft begrenzt, daher müssen wir genau abwägen, was möglich ist.
Und wie ist es mit der Bezahlung?
Die Amtsentschädigung ist gesetzlich geregelt und richtet sich nach der Einwohnerzahl und der Einstufung der Gemeinde. Mit rund 5000 Einwohnern ist eine Bruttoentschädigung von 5.300 Euro 12-mal im Jahr vorgesehen, die Steuern sowie die Abgabe für Vorsorge und Gesundheit müssen dann selbst geleistet werden.
Sie haben den elterlichen Brunnermoarhof vor rund 30 Jahren als einer der Ersten auf „bio“ umgestellt. Wie stehen Sie zu den Bauern, die jetzt auf die Straße gehen?
Die Entfaltung individueller Fähigkeiten, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung sind mir sehr wichtig. Daher möchte ich vorschnell nicht urteilen, ohne die Beweggründe genauer zu verstehen. Ich glaube, dass diese Bauern vor allem gegen die zunehmende Bevormundung und Regulierung ihrer Arbeit protestieren und den Druck, der dadurch aufgebaut wird. In unserer Gesellschaft halten immer mehr Menschen diesem Druck der Einschränkung und der Regelungen nicht mehr stand. Es wäre wünschenswert, wenn wir alle toleranter wären, aber oft reicht die Toleranz nur bis zu jenen, die ähnlich denken und handeln wie wir. Wir brauchen eine Politik, die vereint und nicht spaltet. Es ist an der Zeit hier neue Wege zu finden. Die Herausforderung besteht darin, gemeinsam zu leben und unsere Unterschiede zu respektieren. Das Wohlergehen jedes Einzelnen in unserer Gesellschaft erreichen wir entweder gemeinsam oder gar nicht.
Das ALGO sorgt immer wieder für Aufsehen. Sie waren für den Bau – betrachten Sie das rückblickend als Fehler?
Die Alternative wäre gewesen, dort Wohnungen zu bauen, die in einer eigeengten Lage zwischen Landesstraße und Bahntrasse keine große Wohnqualität gewähren würden. Die Gemeindeinfrastrukturen hätten jedoch rund 500 neue Bürger nicht bewältigen können. In der Folge hätte man den Kindergarten und die Schule erweitern müssen. Heute ist das ALGO mit seinen Kinos und den Freizeit- und Einkaufsmöglichkeiten ein beliebter Treffpunkt nicht nur für den Bezirk, sondern auch darüber hinaus. Trotz aller positiven Aspekte gibt es auch negative Seiten wie Verkehr, Lärmbelästigung und auch die Jugend stellt uns vor Herausforderungen. Diese Probleme müssen wir jedoch auch bezirksübergreifend lösen können. Die Lage direkt am Bahnhof ist aber für die Erreichbarkeit ideal. Für den Gemeindehaushalt stellt das ALGO einen Gewinn dar.
Algund genießt eine hohe Lebensqualität, und viele Menschen möchten hier wohnen.
Durch die Einheitsbesteuerung sind Wohnungen in Algund günstiger und werden weniger besteuert. Die „cedolare secca“ bringt sowohl Vermietern als auch Mietern Vorteile. Dass gerade Algund auch in den Genuss des begünstigten Steuersatzes gekommen ist, hängt wohl eher mit der Nähe zu Meran zusammen als mit einer angespannten Wohnungssituation.
Sie sind seit 14 Jahren Bürgermeister. Auf welche Entwicklungen in Algund sind Sie besonders stolz?
Wir hatten großen Nachholbedarf in Bezug auf Freizeitmöglichkeiten und Angebote für junge Menschen. Die Freizeit- und Naherholungszone beim Lido finde ich besonders gelungen. Es erfreut mich, dass die Werkstattschule in Aschbach verwirklicht werden konnte und dass das Vereinsleben gestärkt wurde. Auch der Bau der Turnhalle war ein wichtiger Schritt. Wir waren eine der ersten Gemeinde, die einen sogenannten „Südtirolpass“ für Gäste eingeführt haben, der heute viel zur Verkehrsentlastung beiträgt. Vor Jahren haben wir Einsparmaßnahmen bei der öffentlichen Beleuchtung getroffen, die auch von der Bevölkerung mitgetragen wird. Leider konnten wir den Bau der Umfahrung von Forst noch nicht erreichen, es würde uns viele Möglichkeiten eröffnen, die Lebensqualität an diesem Straßenabschnitt zu erhöhen. Wir wurden 2022 vom VKE als kinderfreundlichste Gemeinde ausgezeichnet und erhielten vom VSS den Sport- und Bewegungsraum-Preis. Wir haben frühzeitig öffentliche Gebäude mit Photovoltaikanlagen ausgestattet und die Ölheizungen ersetzt. Der Ausbau der Geh- und Fahrradwege war uns wichtig, ebenso wie die Einführung des Citybusses, der bis spät in die Nacht verkehrt, die Einrichtung der Schulstraße, die die Kinder motiviert zu Fuß zur Schule zu gehen. Das Wichtigste ist aber immer der Zusammenhalt in unserer Gemeinschaft und die Stärke unserer Vereine, für die auch extra eine Anlaufstelle im Vereinshaus zur Unterstützung bei der Zettelwirtschaft geschaffen wurde. Auch das Projekt für drei Obdachlose aus Meran, die wir in Algund aufgenommen haben und die seit mehreren Jahren bei uns ein Dach über dem Kopf haben, hat meiner Meinung nach Vorbildfunktion.
Und wie steht es um die Gemeindefinanzen?
Wir verfolgen keinen rigiden Sparkurs, aber wir achten auch darauf, keine übermäßigen laufenden Ausgaben zu generieren. Derzeit belaufen sich unsere Schulden auf etwa 7 Millionen Euro, wovon ein großer Teil Ankäufe von Gründen und Immobilien betrifft, die in den nächsten Jahren viele Möglichkeiten für die Gemeinde eröffnen. Der Schuldenstand lag 2010 noch bei ca.16,5 Millionen Euro.
Algund hatte am 31.12.2023 hatte Algund 4962 Einwohner, am 31.12.2021 waren es 5030. Sollten Sie sich zum vierten Mal als Bürgermeister im kommenden Wahljahr aufstellen dürfen, wären Sie dazu bereit?
Die Arbeit bereitet mir nach wie vor Freude. Ich plane aber nicht voraus, da auch die rechtlichen Rahmenbedingungen noch nicht klar sind und das Leben oft andere Pläne mit sich bringt.