Achtzig Jahre vor dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine – mitten im Zweiten Weltkrieg – hat der Autor Josef Leitgeb seine Gedanken zu Landschaft und Menschen des osteuropäischen Landes literarisch festgehalten.
„Mit Ihnen trauern alle Freunde echter Dichtung in unserem Lande um Josef Leitgeb, dessen Lebenswerk durch seine hohen geistigen und künstlerischen Qualitäten als Vorbild weiterwirken wird.“ Mit diesen Zeilen kondolierte 1952 der damalige österreichische Unterrichtsminister Ernst Kolb Leitgebs Witwe Grete Ritter. Am 9. April war der mit dem Staatspreis für Literatur ausgezeichnete Tiroler Schriftsteller im Alter von 54 Jahren früh verstorben.
Josef Leitgeb wurde 1897 in Bischofshofen als Sohn des Bahnbeamten Alfred und seiner Frau Marie Haas geboren. Besonders gut war er auf seinen Herkunftsort nicht zu sprechen. Er hätte diesen stets als einen Fehler des Schicksals empfunden, schrieb er später einmal. Nach dem frühen Tod der Mutter übergab der Vater beide Söhne einem Waisenhaus, nahm sie aber nach seiner Wiederverheiratung vier Jahre später wieder bei sich auf. Josef besuchte das Gymnasium in Innsbruck und legte 1915 die Reifeprüfung ab. Im selben Jahr wurde er als Soldat zu den Tiroler Kaiserjägern eingezogen. Am Ende des Krieges stand er, wie ein Großteil der Jugend Europas, fragend und ratlos vor einer neuen Welt mit ihren umgewerteten Werten. Er beschloss, nach Innsbruck zurückzukehren und sich an der dortigen Universität einzuschreiben. Zunächst studierte er Germanistik, wechselte aber bald zu den Rechtswissenschaften. Parallel dazu absolvierte er eine Ausbildung zum Volksschullehrer, einen Beruf, den er an verschiedenen Dorfschulen ausübte. 1925 schloss er sein Jus-Studium ab und heiratete. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges unterrichtete er, danach wurde er als Hauptmann der Wehrmacht in der Ukraine stationiert.
Seine schriftstellerische Tätigkeit begann Josef Leitgeb als Lyriker. Georg Trakl und dessen expressive Bildwelt waren für ihn zeitlebens Ansporn und Maßstab. Auch wenn er sich selbst stets als Tiroler Dichter verstanden hat, kann man ihn nur schwer zu den typischen Heimatschriftstellern zählen. Seine Sprache ist durch und durch gefeilt und besitzt eine virtuose Musikalität. Natur und Umwelt sieht er von einer allgemein-kulturellen Warte aus, weniger einer heimatlichen. Zu seinen bekanntesten Werken gehören der Gedichtband „Musik in der Landschaft“ und die Romane „Kinderlegende“ und „Christian und Brigitte“. „Das unversehrte Jahr“ ist, wie andere Texte auch, autobiographisch geprägt.
1942 erschien „Am Rande des Krieges“, seine Aufzeichnungen aus der Ukraine, in denen er lebensnahe Charakterbilder der Menschen zeichnet und einen Eindruck von der weitläufigen Landschaft vermittelt. Subtile Beobachtungen wechseln mit persönlichen Empfindungen, um immer wieder um Kampf und Krieg zu kreisen. Es sei ein sonderbares Gefühl, einer Generation anzugehören, die bereits im Ersten Weltkrieg gekämpft hat und nun noch einmal an die Front muss, als wären nicht die Aufgaben des Friedens, sondern der Krieg ihr eigentliches Handwerk, resümiert er. „Der Himmel, die Erde, die Straße – das ist der einfache, zeitlose Dreiklang dieser Landschaft.“ Ein Gedanke, der auf die immer wieder auftauchenden Straßen in Leitgebs bewegungsreichen Erinnerungen verweist. Eine kleine Straße in Meran erinnert heute an ihn. Die Straßen im ukrainischen Myrhorod, in etwa gleich groß wie Meran, lassen nichts von den Grausamkeiten des derzeitigen Krieges erahnen. „In wie vielen Nächten habe ich damals an den Frieden zu denken versucht, es war mir nicht möglich, an seine Wirklichkeit zu glauben oder mir einen Weg vorzustellen, der aus den Gräben und Kavernen jemals wieder hinausführen sollte.“
Christian Zelger