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Der Monsignore aus Stahl

Sieht man sich eine Karte von Völlan genauer an, fällt auf, dass es eine Straße gibt, die sich durch den Ortskern in mehrere Richtungen weit durch die Felder schlängelt: der Propst-Wieser-Weg.
Dass Joseph Wieser kein einfacher Mensch war und häufig Widerstand provozierte, wird aus mehreren Quellen deutlich. In zwei Angelegenheiten aber scheint ihm ein Biograph in besonderer Weise wenig wohlgesinnt gewesen zu sein. Im Frühjahr 1878 starb ein sächsischer Offizier auf der Durchreise in Bozen. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, hätte es sich bei dem Verstorbenen – im Heiligen Land Tirol – nicht um einen Protestanten gehandelt. Wieser hatte dem Pastor der evangelischen Gemeinde in Meran den Zutritt zum katholischen Friedhof verweigert, nicht aber der Leiche selbst, die im Anschluss an seinen Protest ordnungsgemäß auf dem Friedhof beerdigt worden war. Dass dies erst durch das Einschreiten städtischer Behörden möglich war und er sich im Anschluss bis zum k.k. Verwaltungsgerichtshof darüber beschwert hätte, wie in der missgünstigen Biographie behauptet, stimmt hingegen nicht. Ebenso wurde ihm vorgeworfen, er hätte als einziger höherer Geistlicher die steuerlichen Abgaben für den Religionsfond verweigert, so dass Finanzbeamte gewaltsam eine Kasse mit Wertpapieren öffnen mussten, um die Steuerschulden samt Zinsen zu decken. Auch das stimmt nur teilweise. Er hatte die Abgaben bis dahin bezahlt, war aber, wie viele andere Geistliche, mit der Höhe nicht einverstanden und legte Rekurs ein, der dann nicht bearbeitet wurde, weshalb er die Zahlungen aussetzte. Wer war dieser unruhige Geist?

Ein aktives Leben
Joseph Wieser wurde am 12. November 1828 in Völlan als Sohn des Weinreichbauern Joseph und seiner Frau Maria Unterholzner geboren. Wie seine Brüder Matthias und Johannes schlug er eine akademische Laufbahn ein. Nach dem Abschluss des Gymnasiums in Meran ging er nach Graz und Innsbruck, um schließlich in Brixen und Trient Theologie zu studieren. Im Alter von 25 Jahren erlangte er die Priesterweihe und war zunächst als Kooperator in Leifers, Sarn­thein und Kaltern tätig. Danach zog es ihn nach Trient, wo er als Theologieprofessor im fürstbischöflichen Seminar fünfzehn Jahre lang unterrichtete. 1873 kehrte er zur Seelsorge zurück und wurde Propst des Kollegialstifts und Pfarrer von Bozen. Neben seinen Funktionen als Priester war er auch politisch tätig, wodurch er sich nicht nur Freunde machte. Er war ein unbeugsamer Charakter und eckte damit immer wieder an. Bei einer Versammlung des Katholisch-­konservativen Vereins ließ er ver­lauten, dass der Katholik intolerant gegenüber anderen Religionen sein und ihnen entgegentreten müsse, wo und wie er kann. Ein gefundenes Fressen für die liberale Presse.
In einer Würdigung zum 100. Geburtstag wurde der Monsignore als „Mann aus Stahl“ beschrieben, hinter dessen rauer Schale sich aber ein Mensch mit großmütigem Herzen befand, der sich meist still um seine Schützlinge kümmerte, ihnen Beistand leistete und sie finanziell unterstützte. Auch als Autor war er aktiv. Seine Gedichte und Aphorismen, die noch viele Jahre nach seinem Tod veröffentlicht wurden, signierte er mit dem Pseudonym Winrich an der Volt. 1878 kam er in den Tiroler Landtag und wurde im Jahr darauf von der Prälatenkurie sogar in das Österreichische Abgeordnetenhaus gewählt. Das Mandat musste er allerdings schon nach einer Legislaturperiode aufgeben, da er mit einer zunehmenden Erblindung kämpfte. Trotzdem widmete er sich mehreren sozialen Anliegen, so auch dem Bau des Knabenheims „Josefinum“ in Bozen.

Ein schnelles Ende
Anfang 1899 wurde er dann von einem schweren Leiden befallen, das er – kurz vor dem selbstgewählten Ruhestand – zu überstehen hoffte. Es war ihm nicht vergönnt. Er starb am 8. Februar in Bozen an einer Rippenfellentzündung und wurde unter der Beteiligung der gesamten geistlichen Prominenz Tirols beerdigt.
Christian Zelger