Reinhard Bauer
13. November 2024
Im Nebel
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Ein ungesühnter Mord

Auf dem Weg von Niederlana nach Tisens – dem Kreuzweg entlang – trifft man an der 10. Station auf eine Gedenktafel. Sie erinnert an eine traurige Begebenheit, die vor über hundert Jahren die Menschen im Lande in Atem hielt. Werfen wir einen Blick auf das Ereignis und wie die Medien damit umgegangen sind.

Es war der 22. Jänner 1920. Klara Häusler war, wie so oft, am Vormittag zu Fuß von Tisens nach Lana gegangen, um Lebensmitteleinkäufe für ihren Mann und sich zu tätigen. Am Nachmittag gegen halb 4 Uhr machte sie sich auf den Rückweg. Auch das wie immer. Aber an jenem Tage kam alles anders. Nach etwa einer Stunde traf sie in der Nähe der 10. Kreuzwegstation auf ihren Mörder. Er erschlug sie mit einem Stein und nahm ihr die 20 Lire ab, die sie bei sich trug. Die Lebensmittel hingegen ließ er zurück. Da sie am Abend noch immer nicht zuhause angekommen war, machte sich ihr Mann Sorgen und begab sich auf die Suche nach ihr – ohne Erfolg. Auch am nächsten Tag blieb Klara verschwunden. Erst als man am 24. Jänner eine „förmliche Streifung“ veranlasste, eine systematische Suche, führte dies zur traurigen Gewissheit, dass Klara nicht mehr am Leben war. Die „Bozner Nachrichten“ stürzten sich als erste Zeitung auf den Fall, sprachen von einem „Lustmord“, von einer „bestialischen Mordtat“, die „wohl im Tirolerlande noch nie vorgekommen ist“ und die „an den berüchtigten englischen Frauenmörder ,Jack den Bauch­auf­schlitzer’ “ erinnere. Der Zustand der Leiche wird zudem we­nig pietätvoll beschrieben – und ein Redakteur fragt sich, warum andere Zei­tungen nicht darüber berichten würden.

Der Weg nach Tisens.

Wer war das Opfer?
Klara Häusler wurde am 18. Februar 1875 in Prissian geboren und am folgenden Tag in der Pfarrkirche von Tisens getauft. Ihre Eltern waren der Prissianer Schmied Johann Sebastian Häusler und seine Frau Anna Fröhlich. Diese waren vier Jahre zuvor in Lana, dem Herkunftsort der Braut, vor den Traualtar getreten. Über Klaras Jugend wissen wir fast nichts. Als ihre Mutter an einer Herzlähmung starb, war sie erst zwölf Jahre alt. Sie war das vierte von sieben Kindern. Zwei ihrer jüngeren Schwestern waren schon verstorben, die jüngste, Anna Maria, war acht Jahre alt. Klara wird zusammen mit ihrer älteren Schwester Magdalena den Haushalt geführt haben, so ist anzunehmen. Sie selbst heiratete spät. Als sie am 12. August 1912 in Untermais den 56-­­jährigen Holzhändler Franz Egger ehelichte, war sie bereits 37 Jahre alt. Bis dahin hatte sie als Magd in Pfelders gearbeitet. Von nun an war das Egghaus in Tisens ihr Zuhause. Die Eheleute verstanden sich gut, doch Kinderglück war ihnen nicht vergönnt. Der Erstgeborene Franz verstarb nach nur zwei Monaten, ein weiteres Kind, ebenfalls nach dem Vater benannt, wurde mit einem halben Jahr ein Opfer der Masern. Wenige Wochen vor ihrem 45. Geburtstag traf Klara auf ihren Mörder.

Wie ging es danach weiter?
Die Suche nach dem Täter beschäftigte die Carabinieri – und die Presse. Die „Bozner Nachrichten“ waren sich sicher, dass „ein ortsfremder Täter in Betracht kommt“. So wurde bereits am folgenden Tag ein Verdächtiger präsentiert. Giuseppe Gado würde er heißen, sei etwa 50 Jahre alt und vorbestraft, stammte aus Povo bei Trient und lebte nach seiner Rückkehr aus der russischen Kriegsgefangenschaft in Salurn. Er hätte am Tag des Mordes in der Gegend Hemden verkauft und gebettelt und war wegen seines seltsamen Verhaltens aufgefallen. Und es wird gleichzeitig auf ein Problem hingewiesen, das Südtirol noch Jahrzehnte beschäftigen wird: „Es ist höchste Zeit, daß den Carabinieriposten der Landessprache kundige Sicherheitsorgane beigegeben werden, die selbständig Erhebungen pflegen könnten.“ Der „Burggräfler“ berichtete über die Beerdigung und nutzte das Ereignis für eine moralische Frage: „Wann wird die Welt etwa einmal wieder besser und gescheiter werden? Es wäre bald Zeit.“ Auch scheute man sich nicht, Gerüchte über den Ver­dächtigen zu verbreiten: „Die Leute behaupten auch, daß der Bursche ein Mitglied einer Räuberbande sei, die in der Meraner Gegend ihr Unwesen treibe.“ In der Zwischenzeit war die gerichtliche Obduktion durch Dr. Matthias Schwienbacher und den Gemeindearzt Dr. Hans Pegger abgeschlossen. Die These vom Lustmord konnte nicht bestätigt werden. Die Hautabschürfungen seien durch das Schleifen der Leiche zur Fundstelle entstanden. Auch die Vorwürfe gegen den Beschuldigten Gado, so die Behörden, erhärteten sich nicht, vielmehr sei nun ein Mann aus Nals ins Visier der Ermittler geraten, der jedoch die Tat vehement leugnen würde.

Wurde der Täter ermittelt?
Die „Meraner Zeitung“ warf den Bozner Kollegen vor, in jeder Ausgabe neue grauen­erregende Details zum Fall zu veröffentlichen und sich gleichzeitig zu wundern, warum andere nicht über den „scheußlichen Mord“ berichteten. Der Vorwurf galt aber weniger dem Herausgeber als vielmehr dem zuständigen Berichterstatter. Dem Opfer halfen diese journalistischen Grabenkämpfe wenig. Gefunden hatte man den Täter nie. Noch zwei Mal wurde der Mord in der Presse erwähnt. 1936 als eine Frau fast an derselben Stelle von einem Wegelagerer bedrängt worden war, diesem aber laut um Hilfe rufend entkommen konnte. Und Ende 1940 als Klara Häuslers Witwer Franz Egger im 85. Lebensjahr seiner Frau nachfolgte. Er hatte seine letzten Jahre beim Außerwidmer verbracht, wo er als Teil der Familie aufgenommen und gepflegt worden war. Da er bei der bäuerlichen Arbeit altersbedingt nicht mehr mithelfen konnte, betete er für alle Rosenkränze.
Christian Zelger