Es gibt Menschen, die hätten gleich mehrere Leben füllen können – Josef Verdorfer, genannt „Becky“, war so einer. Sein Lebenslauf liest sich wie das Drehbuch zu einer epischen Südtiroler Serie: ein kleiner Junge vom Bäcksteinerhof in Obermais, ein junger Mann mit Froh- und Geschäftssinn, und ein gereifter Lebemann mit einer beneidenswerten Anekdotensammlung. Sohn Georg hat nun mit einer Biografie seinem Vater ein Denkmal gesetzt. Kürzlich wurde das Buch im kleinen Kreis vorgesellt.
Schon die Jugendzeit des am 27. März 1910 geborenen Josef lässt erahnen, dass hier kein gewöhnlicher Weg eingeschlagen wird. Während andere 14-Jährige kaum einen Schritt von Hof und Feld unternahmen, machte sich der junge Sepp auf ins sonnige Italien, um in einem Feinkostladen am Gardasee das Verkaufen zu lernen. Nebenbei eignete er sich die Sprache so gut an, dass er vermutlich auch Übersetzer hätte werden können.
Doch die Kulinarik war nur der Auftakt. Anfang der 1930er Jahre landete Sepp bei der Metzgerei – von der Feinkost zur Fleischkost, sozusagen. Den Hof überließ er seinem Bruder, und er selbst wurde ein Mann mit Fernweh und einem Faible für alles, was Räder hat. Das zeigte sich 1927, als er sich mit einem geliehenen Rennrad bei einem Radrennen in Meran anmeldete – und prompt gewann. Der Preis dafür ein Lorbeerkranz und der Ärger seines Vaters, denn in der Zeitung stand stolz: „Il giovane fascista Giuseppe Verdorfer ha vinto la gara.“ Der Kranz landete stilecht auf dem Misthaufen, aber Sepp hatte schon das nächste Abenteuer im Sinn.
In den 1930er Jahren erwarb er ein gebrauchtes Motorrad – in Mailand, versteht sich. Die Heimreise nach Meran wurde zur Spritztour der besonderen Art, denn Tankstellen waren rar, und eine Autobahn existierte nur in seinen kühnsten Träumen. Auch im Krieg blieb Becky – den Namen gab ihm später sein Freund und HGV-Präsident Arthur Eisenkeil – kreativ. Bewaffnet nicht mit einer Kanone, sondern mit einer Kamera, wurde er zum inoffiziellen Fotoreporter. Seine Bilder aus Serbien und Griechenland sind heute historische Schätze – und Beweis, dass man mit einer Linse auch durch die finstersten Zeiten blicken kann. Nach 1945 kehrte er unversehrt nach Meran zurück und stürzte sich in die Nachkriegswirtschaft mit einer Energie, die fast übermenschlich wirkt. Mal eben ein Schiff voller Getreide in Genua ersteigern, kein Problem. Alte Panzer zu Baggern umbauen machen wir. In einem weißen BMW-Cabrio des berüchtigten Generals Kesselring durch Meran cruisen, na klar.
1947 folgte der nächste große Coup: Er erwarb den Gasthof „Sportplatz“ in Untermais mit anliegender Wiese, wo er später das „Motel Isabella“ samt Esso-Tankstelle baute. 1949 läuteten für den Sepp die Hochzeitsglocken. Er heiratete Erna Gamper vom Taserhof am Schennaberg, unter den Ehrengästen war auch Senator Friedl Volgger, ein entfernter Verwandter der Familie und Freund des Bräutigams. Georg und Schwester Waltraud kamen bald zur Welt.
Die folgenden Jahrzehnte erwies sich Becky als beliebter Gastwirt und talentierter Geschäftsmann mit genialen Ideen. Seine „Meraner Weinkost“ wurde zum Treffpunkt der feinen und schrägen Gesellschaft in der Stadt. Politiker, Künstler, Geschäftsleute – alle wollten ein Glas mit Becky trinken.
Am 15. August 1985 endete dieses ereignisreiche Leben. Becky hinterließ Meran Geschichten, wie sie nur ein Original schreiben kann. Eines ist sicher: Der „Becksteiner Sepp“ ist und bleibt unvergessen – eine Legende mit viel Charme, einer Prise Verrücktheit und der Fähigkeit, immer einen Schritt voraus zu sein.