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Boldamoll

Mein Vater sagte zum Donnerstag „Pfinstig“ und der Dienstag war der „Ërchtig“. „Griëßti“ und „pfiëti“ waren seine gängigen Grußformeln. „Fergällsgott“ sagte er, wenn er sich bedankte. So hat man einmal geredet. Unser Dialekt ist so vielfältig wie unsere Täler und Landschaften.
von Josef Prantl

„A Pims mit Kaas, Paradeiser und Melantzane“ – der Einfluss aus dem Italienischen ist unverkennbar. Sonst sind wir mehr mit dem Südbairischem verwandt. Unsere Dialekt-Pronomen und Präpositionen versteht der im Hochdeutschen geübte Gast nur schwer. Inni und aussi, aui, ummi-dumm usw… , so manche Wortart weicht vom Hochdeutschen ab. Der Boden ist „haal“, „magari schiffts morgen“… Schimpfwörter sind beliebt, Südtiroler flucht gern auf Italienisch: „Porzelana!“

Im Bild v. l.: Volkskundler Harald Haller, Prof. Max Siller und Dialektforscher Franz Lanthaler bei der Buchvorstellung

Sprache ist etwas Lebendiges, sagt der Dialektforscher Franz Lanthaler. Auch der Dialekt. Und da sich die Welt und die Leute verändern, verändert sich auch der Dialekt. Viele alte Wörter verstehen wir heute nicht mehr, viele neue Wörter kommen dazu. Die Bozner reden das „gschearte“ Hochdeutsch“, heißt es. „Hoi“ lautet unsere Grußformel, so wie das „Ciao“ der Italiener, und wenn wir etwas nicht verstehen, fragen wir nach mit „Ha?“. „Magari“ antworten wir, wenn wir es nicht so genau nehmen und zum „Formes“ gibt es meist Kaffee. Einen „Holbmittog“ und eine „Marend“ brauchen die „Epflklauber“. „Ai“ und „oi“ geht’s im Leben immer wieder. „Zem“ und „entn“ sind Hinweiswörter, in der Fachsprache Demonstrativpronomen. Einer, der sich ein Leben lang mit dem Dialekt beschäftigt, ist der gebürtige Rabensteiner Franz Lanthaler. „Dialekt ist, wie die Leute reden. Nicht wie im Bozen-Krimi, sondern, wenn sie unter sich sind und bei der Arbeit“, sagt er. 2004 hat er mit dem Volkskundler Harald Haller ein Passeirer Dialektwörterbuch herausgebracht, das als Meilenstein gilt. Kürzlich erschien eine erweiterte Ausgabe dieses Wörterbuches, das erstmals auch online zur Verfügung steht. Unter „www.werterpuech.it“ kann jeder nachschlagen, der nicht mehr weiß, was eine „Paasl“, ein „Prantile“ oder eine „Pfrille“ ist.

Unser Dialekt
Die Südtiroler Mundart gehört zum Südbairischen und umfasst Dutzende regionale Einzeldialekte, die sich von Tal zu Tal unterscheiden: Im Pustertal spricht man beispielsweise eine andere Variante des Dialekts als im Sarntal oder im Vinschgau. Daher teilen Sprachwissenschaftler die Südtiroler Dialekte in eine westliche, eine zentrale und eine östliche Gruppe ein. Jede dieser Gruppen hat spezifische Merkmale, etwa in der Aussprache oder im Wortschatz. Im Osten, etwa im Pustertal, gibt es eine charakteristische Vokalveränderung, wie die Umwandlung von „uo“ in „ui“ (z. B. „muito“ für Mutter). Im Westen, etwa im Vinschgau, ist die Verwendung von „sui“ für „sie“ und die Besonderheit des Wortes „onni“ für „hinüber“ typisch. Generell gilt beispielsweise, dass „st“ auch im Wortinnern immer als „scht“ gesprochen werden. Und die sogenannte mittelhochdeutsche Monoph­thongierung hat bei uns nicht stattgefunden. „Mei Huat (Hut) hat drei Löcher…“ Als der älteste Südtiroler Dialekt gilt das Töldrarische, das im Ahrntal gesprochen wird, allerdings immer mehr in Vergessenheit gerät und für manche auch wie eine Fremdsprache erscheinen mag. Das „Krautwalsch“ im Unterland gilt mittlerweile auch als Dialektform, Code-­Mixing nennen Experten die Mischung aus Südtirolerisch, Italienisch und Trentiner Dia­lekt. Da Italienisch eine große Rolle spielt, enthält unser Dialekt natürlich auch viele geliehene Wörter aus dieser Sprache (z. B. „Targa“ für Kfz-Kennzeichen). Zu erwähnen ist, dass viele alte Dialektwörter stark vom Romanischen geprägt sind.

Schwerer Stand für Hochdeutsch
Die Hochsprache (gemeint ist die sogenannte deutsche Standardsprache) hat es bei uns nicht leicht. Und dass der Dialekt aussterben würde, wie früher befürchtet wurde, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil, er blüht auf. Besonders bei jungen Menschen hat Dialekt einen modernen, weltläufigen Charme. Die Sorge um den „Verfall“ der deutschen Sprache trieb aber auch viele schon um. Sprachwandel galt und gilt bei Sprachpuristen als etwas Negatives. Dabei ist die sogenannte Hochsprache eigentlich eine politische Entscheidung. Aber Widerstand gegen diesen Wandel ist vergeblich, denn Sprache ist immer ein Prozess und unterliegt konstanten Veränderungen, wie die Sprachgeschichte zeigt, weiß Franz Lanthaler. Sprache ist bei uns auch politisch von großer Bedeutung, weil sie eng mit Kultur und Identität verknüpft wird. Die Dialektrede des Südtiroler-Freiheit-Abgeordneten Hannes Rabensteiner im Südtiroler Landtag ist aber mehr ein Affront gegen alle, die den Dialekt nicht so kennen, als berechtigter Ausdruck der Identität. „Nicht überall ist Dialekt angebracht“, sagt Franz Lanthaler. Es sollte uns ein Anliegen sein, dass wir auch die Standardsprache beherrschen, nicht ohne Grund spricht die Wissenschaft von der „inneren Mehrsprachigkeit“.

Namen und Begriffe erzählen Geschichte
Die Geschichte unserer Orts- und Landschaftsnamen ist eng mit den historischen Entwicklungen und der sprachlichen Vermischung von romanischen und germanischen Einflüssen verbunden. Als die Bayern im 7. Jahrhundert ins Land kamen und die kleineren Alpentäler besiedelten, vermischten sie sich mit den romanisch sprechenden Alpenbewohnern, was nicht nur zu einer genetischen, sondern auch zu einer sprachlichen Durchmischung führte. Der Begriff „Welsch“, der ursprünglich aus dem Keltischen stammt, bedeutete „nicht germanisch“ und wurde in verschiedenen Regionen Europas verwendet, um auf anderssprachige Nachbarn hinzuweisen.

Deutsch-Italienischer-Austausch
Die sprachliche Beeinflussung durch das Italienische ist schon durch die Nähe unvermeidbar. Viele italienische Begriffe wurden in unseren Dialekt übertragen. Wir sprechen von der „Identitätskarte“ (statt „Personalausweis“, nach dem italienischen „carta d’identità“) oder von der „Marende“ (ital. merenda) – das Wort kann allerdings auch aus dem Rätoromanischen kommen. Der sprachliche Austausch findet aber nicht nur in eine Richtung statt, sondern auch umgekehrt, wodurch sowohl das Südtiroler Deutsch als auch das Ita­lienische eigene, von den Standardformen des jeweiligen Landes abweichende Variationen entwickelt. So heißt es bei Italienischsprachigen Südtirolern „fare una Marende“, obwohl das in standarditalienischen Regionen unüblich ist. Das zeigt, dass der Sprachkontakt in beiden Richtungen funktioniert und zu regionalen Besonderheiten in beiden Sprachen führt.

Rechtliche Stellung des Deutschen in Südtirol
Sie wird durch das Zweite Autonomiestatut geregelt. Die deutsche Sprache ist seit dessen Verabschiedung in der gesamten Region Trentino-Südtirol der italienischen Sprache gleichgestellt. Der Artikel 99 des Statuts (Dekret des Präsidenten der Republik vom 31. August 1972, Nr. 670) lautet: „Die deutsche Sprache ist in der Region der italienischen Sprache, die die amtliche Staatssprache ist, gleichgestellt. In den Akten mit Gesetzeskraft und immer dann, wenn dieses Statut eine zweisprachige Fassung vorsieht, ist der italienische Wortlaut maßgebend.“
Franz Lanthaler und Harald Haller haben sich das Ziel gesetzt, Dialektwörter vor dem Vergessen zu retten. In ihrem „Passeirer Wör­ter­buch“ haben sie über 9500 Begriffe gesammelt, von denen einige nur noch wenigen bekannt sind. „Der Dialekt ist unsere geistige Heimat“, sagen sie. Das Wörterbuch ist kürzlich im „verlag.passeier.it“ in einer erweiterten Auflage erschienen.

Die Fenster in die Vergangenheit

Interview mit dem Sprachwissenschaftler und Dialektforscher Franz Lanthaler
Franz Lanthaler (*1940) studierte Germanistik und Anglistik an der Universität Innsbruck. Er arbeitete als Professor für Deutsch und Latein an der Oberschule, engagierte sich in der Lehrerfortbildung und hielt nach seiner Pensionierung Vorlesungen an der Freien Universität in Brixen. Lanthaler veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und Bücher zur Sprache in Südtirol, zum muttersprachlichen Unterricht und zum Südtiroler Dialekt. Zusammen mit Hannes Scheutz schrieb er das Buch „Insre Sproch. Deutsche Dialekte in Südtirol“ (2016) und mit Harald Haller das „Passeirer Wörterbuch“ (2004).

Herr Lanthaler, Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit unserem Dialekt. Was hat Ihr Interesse daran geweckt?
Mein Interesse am Dialekt wurde bereits durch meine sprachwissenschaftliche Arbeit während meines Studiums vor vielen Jahrzehnten geweckt. In meiner Dissertation habe ich mich mit der Morphologie des Passeirer Dialekts beschäftigt. Seitdem hat mich der Dialekt nicht mehr losgelassen. Dialekte sind ein faszinierendes Forschungsfeld, weil sie nicht nur sprachliche, sondern auch kulturelle und historische Aspekte einer Region widerspiegeln. Besonders der Passeirer Dialekt, mit seinen vielen Eigenheiten und seiner Entwicklungsgeschichte, hat mich von Anfang an fasziniert.

Sie haben tausende Dialektwörter gesammelt und im Passeirer Wörterbuch festgehalten. Gab es dabei eine Entdeckung, die Sie besonders überrascht hat?
Es gab viele interessante Entdeckungen. Besonders überrascht hat mich, wie vielseitig unser Dia­lekt ist, wie präzise etwas ausgedrückt werden kann. Im Dialekt gibt es z. B. kein Präteritum, allerdings trifft das nicht auf das Hilfsverb „sein“ zu. Denn alle sagen heute auch „es woor a schianer Tog“. Dialekt ist ein wesentlicher Teil unserer Identität. Er verbindet uns mit unserer Heimat, unserer Geschichte und unseren Vorfahren. Mit dem Wörterbuch wollten wir nicht nur Wörter sammeln, sondern auch das Bewusstsein für die Bedeutung der Mundart stärken. Beim Sammeln der Dialektwörter gab es einige Begriffe, die mich und Harald Haller überrascht haben – sei es durch ihre Herkunft, ihre ursprüngliche Bedeutung oder einfach, weil sie fast in Vergessenheit geraten sind. Ein Beispiel ist das Wort „pfent“, das so viel wie ‚eng sitzend‘ bedeutet. Es war tatsächlich das erste Wort, das Harald ins Wörterbuch aufgenommen hat. Besonders spannend war auch die Erkenntnis, wie viele Wörter rätoromanische oder vorbairische Wurzeln haben. Das zeigt, dass der Dialekt eine lange Geschichte hat und über Jahrhunderte hinweg von verschiedenen Kulturen und Sprachen beeinflusst wurde.

Wie läuft die Arbeit an einem Dialekt-Wörterbuch konkret ab?
Die Arbeit an einem Dialekt-Wörterbuch ist eine Mischung aus sprachwissenschaftlicher Forschung, Sammelleidenschaft und Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. Zunächst haben wir unsere eigene Sprachkenntnis ausgenutzt, dann haben wir Begriffe aus verschiedenen Quellen zusammengetragen – aus alten Texten, vor allem jedoch aus Gesprächen mit Einheimischen. Dann mussten wir die Wörter genau prüfen: Was bedeuten sie? Wie werden sie ausgesprochen, wie werden sie verwendet? Gibt es regionale Unterschiede? Ein wichtiger Teil der Arbeit war es, die Begriffe nicht nur zu sammeln, sondern sie auch verständlich zu erklären – mit Beispielsätzen und grammatikalischen Hinweisen. Besonders spannend war der Austausch mit den Leuten im Tal: Oft haben ältere Menschen Begriffe beigesteuert, die fast vergessen waren. Schließlich kam die Herausforderung der Schreibung: Wie schreibt man Dialektwörter so, dass sie auch für Außenstehende lesbar bleiben? Wir sind schließlich mit zwei Sonderzeichen ausgekommen, dem å für das helle o und dem ë für das gegen ö gehende e sowie für die Zwielaute ëi und ië und uë.

Wie sind unsere Dialekte entstanden?
Unsere Dialekte haben eine lange und spannende Geschichte. Sie gehören zur bairischen Dialektgruppe, die sich seit der Völkerwanderungszeit (5. – 6. Jahrhundert) hier differenziert hat. Als die Bajuwaren in unsere Region kamen, brachten sie ihre Sprache mit, die sich dann über Jahrhunderte mit den bereits vorhandenen Sprach­schichten vermischt hat. Besonders geprägt wurden die Südtiroler Dialekte durch Kontakte mit anderen Sprachen: Das Rätoromanische ist in vielen Wörtern erhalten geblieben. Später kamen durch die lange Zugehörigkeit zu Österreich sprachliche Elemente aus anderen Regionen und Schichten dazu. Und nicht zu vergessen: Der Kontakt mit dem Italienischen hat ebenfalls Spuren hinterlassen – viele Lehnwörter aus dem Bereich der Verwaltung, Küche oder des Verkehrs stammen aus dem Italienischen. Jeder Dialekt hat also seine eigene Geschichte, die sich aus den politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Region ergibt. Und weil sich Sprache immer verändert, entwickeln sich auch unsere Dialekte stetig weiter. Unsere Dialekte sind somit das Ergebnis jahrhundertelanger sprachlicher Entwicklungen.

Manche behaupten, unsere Dialektwörter hätten ausschließlich deutsche Wurzeln.
Das ist ein Irrtum. Zwar ist der Großteilt des Dialektwortschatzes germanischen Ursprungs, aber viele Dialektwörter stammen aus anderen Sprachfamilien, insbesondere aus dem Lateinischen. Beispielsweise gibt es zahlreiche Begriffe für alpine Landschaftsformen oder landwirtschaftliche Tä­tigkeiten, die auf romanische oder keltische Ursprünge zurückgehen.

Orts-, Gelände- und Hofnamen verraten viel über unsere Herkunft und die Lebensweise unserer Vorfahren.
Orts-, Gelände- und Hofnamen sind oft viel älter als die heutige Umgangssprache und geben uns wertvolle Einblicke in die Vergangenheit. Viele dieser Namen stammen aus Zeiten, in denen unsere Vorfahren das Land urbar machten und Siedlungen gründeten. Sie spiegeln die Topografie, die Nutzung der Landschaft und manchmal sogar historische Ereignisse wider. Manche Namen haben bairische Wurzeln und stammen aus der Zeit der bajuwarischen Besiedlung im frühen Mittelalter. Andere gehen auf das Rätoromanische zurück, das vor der Germanisierung hier gesprochen wurde. Ein Beispiel dafür ist Gampen. Es kommt von campu ‘ebener Platz vor der Almhütte’; das führte dann zum häufigen Hof- und Familiennamen Gamper. Auch Eppan ist romanischen Ursprungs, aus Appianu, zu einem Appius. Viele Hofnamen leiten sich von Familiennamen, Berufen oder besonderen Merkmalen des Hofes ab. Ein Hof mit dem Namen Schmied oder Moar (von Meier, dem Verwalter eines Gutes) zeigt die frühere Funktion des Anwesens. Gelände- und Flurnamen wie Moos, Egge oder Pichl deuten auf die Beschaffenheit des Bodens hin. Viele Namen haben sich über Jahrhunderte hinweg kaum verändert, während die gesprochene Sprache sich stetig weiterentwickelt hat. Deshalb sind sie wie ein Fenster in unsere Vergangenheit und erzählen von der Lebensweise und den Einflüssen unserer Vorfahren.

„Südtiroler können kein Hochdeutsch“, lautet die Klage. Wie viel Dialekt ist vertretbar?
Diese Aussage ist natürlich eine pauschale Zuspitzung, die so nicht stimmt. Aber es ist richtig, dass der Dialekt in Südtirol eine sehr starke Stellung hat – im Alltag, in der Familie, im Freundeskreis und oft auch am Arbeitsplatz. Dialekt ist ein Stück Identität und vermittelt Nähe, ist unsere geistige Heimat. Allerdings gibt es klare Situationen, in denen die Standardsprache notwendig ist: In der Schule, in der Wissenschaft, in offiziellen Dokumenten, in der Verwaltung, in Medienauftritten oder in internationalen Gesprächen. Wer nur Dialekt spricht und sich nicht ausdrücken kann, wenn Hochdeutsch erforderlich ist, hat eindeutig einen Nachteil – sei es im Beruf oder im Studium. Die Herausforderung liegt darin, beides gut zu beherrschen: Dialekt als Muttersprache mit seiner emotionalen und kulturellen Bedeutung und Hochdeutsch als Kommunikationsmittel, das überregional und international verstanden wird. Die beste Lösung ist eine gesunde Zweisprachigkeit innerhalb der eigenen Sprache. Das Argument, dass Dialekt das Hochdeutsch ‚verdirbt‘, ist übrigens nicht haltbar. In anderen deutschsprachigen Ländern, etwa in der Schweiz oder in Bayern, gibt es ähnliche Dialektstärken, und trotzdem lernen die Menschen Hochdeutsch. Man hat bei uns zu lange versucht den Kindern den Dialekt auszutreiben, anstatt die Sprachfähigkeiten, die sie darin bereits entwickelt haben, für den Erwerb des Standards zu nutzen. Und es kommt darauf an, wann und wo man welche Sprache verwendet – und genau diese Sprachkompetenz sollte gefördert werden.

Umgekehrt haben viele italienischsprachige Südtiroler Schwie­­rigkeiten mit sowohl der deutschen Standardsprache als auch dem Dialekt. Gibt es eine Lösung?
Ja, das ist eine Herausforderung, die viele italienischsprachige Südtiroler betrifft. Sie lernen Hochdeutsch in der Schule, aber im Alltag hören sie oft nur Dialekt – eine ganz eigene Sprachform, die sich stark vom Standard unterscheidet. Dadurch entsteht eine Art ‚Sprachlücke‘: Hochdeutsch bleibt theoretisch, während der Dialekt schwer verständlich ist. Eine mögliche Lösung wäre ein bewussterer Sprachgebrauch in der Gesellschaft. Wenn wir mit italienischsprachigen Mitbürgern sprechen, sollten wir uns bemühen, Hochdeutsch zu verwenden, anstatt sofort in den Dialekt zu wechseln. Auch in der Schule könnte man ansetzen: Mehr praxisnahe Sprachangebote, die sich nicht nur auf Grammatik und Literatur konzentrieren, sondern gezielt die Sprachverwendung im Alltag trainieren – inklusive eines Grundverständnisses für Dialekt. Projekte, die beide Sprachgruppen zusammenbringen, wären ebenfalls sinnvoll, etwa Tandemprogramme oder gemeinsame kulturelle Veranstaltungen. Letztlich braucht es aber auch Eigeninitiative: Wer eine Sprache wirklich lernen will, muss sich aktiv damit beschäftigen.

Menschen mit Migrationshintergrund haben noch größere Schwierigkeiten die deutsche Sprache zu lernen. Was könnte helfen?
Für Menschen mit Migrationshintergrund kann die sprachliche Situation in Südtirol eine große Herausforderung sein. Sie lernen in der Schule Hochdeutsch und Italienisch, hören aber im Alltag oft nur Dialekt – was den Sprach­erwerb erschwert. Das kann dazu führen, dass sie sich in keiner der beiden Standardsprachen zurechtfinden. Ein wichtiger Schritt wäre daher, den Übergang zwischen Hochdeutsch und Dialekt bewusster zu gestalten. Auch Sprachkurse sollten nicht nur auf Hochdeutsch oder Italienisch ausgerichtet sein, sondern ein Grundverständnis für die Dialekte vermitteln. Zudem wäre es hilfreich, wenn Migranten mehr Gelegenheiten bekämen, die Sprache in authentischen Alltagssituationen zu üben – etwa durch Tandemprojekte, Vereine oder Arbeitsplätze, an denen sie mit Muttersprachlern in Kontakt kommen. Letztlich zeigt die Erfahrung, dass sich die meisten, die in Südtirol aufwachsen, mit der Zeit sowohl den Dialekt als auch die Hochsprache an­eignen – besonders dann, wenn sie aktiv in die Gesellschaft integriert sind und regelmäßig mit verschiedenen Sprachformen in Berührung kommen.

2004 erschien das erste Passeirer Wörterbuch. 20 Jahre später haben Sie gemeinsam mit Harald Haller kürzlich eine erweiterte Auflage veröffentlicht. Was ist neu?
In der neuen Auflage, die auch online zur Verfügung steht, konnten wir viele weitere Begriffe und Redewendungen aufnehmen, die wir in den letzten Jahren gesammelt haben. Zudem haben wir versucht, bestimmte Sprachwandelprozesse nachzuzeichnen und einige Bedeutungsverschiebungen zu dokumentieren. Das Wörterbuch ist nicht nur ein Nachschlagewerk, sondern auch ein Beitrag zur Bewahrung und Erforschung unseres Dialekts. Es zeigt, dass unsere Mundart lebendig ist und sich stetig weiterentwickelt. Außerdem gibt es das Wörterbuch auch als Online-Version mit Suchfunktion, sodass Interessierte schnell und unkompliziert Wörter nachschlagen können.

Die Dialektrede von Hannes Rabensteiner im Landtag hat für kontroverse Reaktionen gesorgt. Wie stehen Sie dazu?
Die Reaktionen auf die Dialektrede von Hannes Rabensteiner zeigen, wie emotional das Thema Dialekt in Südtirol diskutiert wird. Einerseits wird Dialekt als authentischer Ausdruck der eigenen Iden­tität gesehen, andererseits gibt es Situationen, in denen die Standardsprache erwartet wird. In einem formellen Rahmen, wie einer Landtagsdebatte, ist Hochdeutsch sinnvoll, weil es für alle verständlich ist – auch für jene, die mit dem spezifischen Dialekt nicht vertraut sind. Man geht ja nicht in den Landtag, um seine Identität zu bekunden, sondern um gemeinsam mit anderen Anliegen weiterzubringen.

Das ist richtig, denn es geht nicht nur um Sprache, sondern freilich auch um Identität, Zugehörigkeit und Verständlichkeit. Der Dialekt ist ein lebendiger Ausdruck unserer Kultur, Geschichte und Identität. Durch den Dialekt verbinden wir uns mit unseren Vorfahren und bewahren gleichzeitig ein Stück Heimat in unserer Sprache. Er ist ein wertvoller Schatz, den es zu pflegen und zu bewahren gilt.