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Poesie und Partys im Mittelalter

Oswald von Wolkenstein

Sie gehören zu den bekanntesten Dichtern deutscher Sprache. Der eine lebte im Hoch-, der andere im Spätmittelalter. Ihre Namen kennt jeder: Walther von der Vogelweide und Oswald von Wolkenstein. Nach beiden ist in Lana eine Straße benannt. Zwischen den Personen liegen zwei Jahrhunderte, die beiden Wege hingegen trennt eine einzelne Häuserreihe. Werfen wir einen Blick auf Oswalds facettenreiches Leben.
Was haben Oswald von Wolkenstein und Graf Dracula gemein? Was wie eine Fangfrage klingt, ist durchaus ernst gemeint. Hintergrund ist die Societas Draconistarum, der berühmte Drachenorden. Gegründet im Dezember 1408 vom späteren Kaiser Sigismund und seiner Frau Barbara von Cilli, verschrieben sich die Mitglieder der Verteidigung des Christentums.

Die Schutzpatrone des Ritterordens waren der Drachentöter Georg und die Hl. Margareta. Ihr soll der Teufel in Gestalt eines Drachen erschienen sein und sie verschlungen haben. Durch die Gnade Gottes sei sie jedoch unverletzt aus dem Magen des Untiers entkommen. Das Zeichen des Ordens war daher ein sogenannter Ouroboros – eine seit der Antike bekannte Darstellung eines Drachen, der seinen Schwanz um den Hals geschlungen hat und so mit seinem Körper einen geschlossenen Kreis bildet. Ein Symbol der Ewigkeit.

1431 wurde Oswald zusammen mit seinem Bruder Michael auf dem Reichstag zu Nürnberg von Sigismund in eben diesen Drachenorden aufgenommen. Das bekannteste Porträt Oswalds stammt aus dem folgenden Jahr und zeigt ihn mit Schleife und Ordenszeichen.
Zum inneren Kreis der Vereinigung gehörte auch der Fürst der Walachei Vlad II., der deshalb den Beinamen Dracul erhielt. Sein berüchtigter Sohn Vlad III. Draculea – Sohn des Drachen –, ist für seine nachgesagte Grausamkeit bekannt und das historische Vorbild des literarischen Grafen Dracula.

Sänger, Dichter, Politiker
Oswald von Wolkenstein wurde um das Jahr 1377 im Pustertal geboren, wahrscheinlich auf der Burg Schöneck. Sein Vater war Burghauptmann der Grafen von Görz. Das geschlossene rechte Auge, das auf allen Porträts zu sehen ist, dürfte auf eine angeborene Missbildung zurückzuführen sein. Im Alter von zehn Jahren wurde er, wie damals üblich, in die Obhut eines fahrenden Ritters gegeben. In den folgenden fast eineinhalb Jahrzehnten lernte er zahlreiche Länder in Europa, Asien und Afrika kennen. Erst nach dem Tod seines Vaters kehrte er nach Tirol zurück. Ab 1415 stand er in den Diensten des bereits erwähnten Sigismund, für den er mehrere Gesandtschaftsreisen unternahm. Auf dem Konzil von Konstanz befand er sich im Gefolge Friedrichs IV. von Tirol („mit der leeren Tasche“). Zuhause war er viele Jahre mit Erb- und Besitzstreitigkeiten beschäftigt. Verheiratet war er mit der Adligen Margarethe von Schwangau, mit der er sieben Kinder hatte.

Als Dichter und Komponist gilt er als der bedeutendste deutsche Lyriker des Spätmittelalters. Über 130 ein- und mehrstimmige Lieder sind uns überliefert.
Zwei kostbar ausgestattete Pergamenthandschriften mit Melodieaufzeichnung zeugen von seinem vielfältigen lyrischen Schaffen. Neben Reise-, Trink-, Tanz- und Liebesliedern verfasste er auch politische Lyrik. Oswald starb 1445 in Meran und wurde im Klos­ter Neustift bei Brixen beigesetzt. Sein Werk geriet bald in Vergessenheit und wurde erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Dort, wo er über sein eigenes Leben schreibt, ist er in seinen Schöpfungen am originellsten: Er singt von den Höhen und Tiefen seiner Erfahrungen, von Kämpfen, Feiern und Abenteuern, manchmal verhüllt, manchmal sehr direkt, betont subjektiv, auch mehrsprachig, mit Einblicken in seine privaten Querelen sowie ausgedehnten Reisen, plastisch und stets wirkungsvoll inszeniert. Heute hätte er vermutlich seine Freude an den sozialen Netzwerken und den Möglichkeiten zur Selbstdarstellung. Und er könnte immerhin von sich behaupten, Mitglied in einem Drachenclub zu sein.
Christian Zelger