Die Coronakrise hat Frauen zu Heldinnen und Opfern gemacht. Dies sagte heute Medica Mondiale-Präsidentin Monika Hauser in einem Gespräch, zu dem der Landesbeirat für Chancengleichheit geladen hatte.
Gewalt gegen Frauen: Das Thema bleibt weltweit ebenso aktuell wie in Südtirol. Dies zeigte ein Mediengespräch mit der Gynäkologin Monika Hauser, die als Vorsitzende der von ihr gegründeten Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale seit vielen Jahren weltweit jegliche Form von Gewalt gegen Frauen bekämpft und vor allem für ihren Einsatz für traumatisierte Frauen in Krisen- und Kriegsgebieten 2008 den Alternativen Nobelpreis erhielt.
Zum Gespräch hatte der Landesbeirat für Chancengleichheit für Frauen mit Präsidentin Ulrike Oberhammer und die IV-Gesetzgebungskommission des Südtiroler Landtags stellte sie heute Ursachen, Formen und Folgen von Gewalt gegen Frauen vor, auch auf dem Hintergrund der Covid-19 Pandemie und formulierte Empfehlungen an die Landespolitik.
Hauser: „Mit Covid ist Gewalt weltweit um ein Drittel angestiegen“
Laut Hauser leisten Frauen weltweit 76,5 Prozent der unbezahlten und 70 Prozent der bezahlten Sorgearbeit. In der Coronakrise seien Frauen als Heldinnen für ihre Leistungen in den systemrelevanten Berufen gelobt worden: „Gleichzeitig hat die Krise die Ungleichbehandlung der Frauen wie unter einer Lupe verdeutlicht: Männer waren in der Krise Wochen und Monate zuhause, haben aber dennoch kein Mehr an Familienarbeit übernommen.“ Im Lockdown sei die häusliche Gewalt weltweit um ein Drittel angestiegen.
Gewalt gegen Frauen fuße auf einem patriarchalen Gesellschaftssystem und stereotypen Rollenbildern, in dem Frauenrechte nicht als Menschenrechte gesehen würden. Auch nach über 30 Jahren des Kampfes gegen Gewalt an Frauen herrsche eine „Kultur des Schweigens“ um das Thema, sagte Hauser: „Wenn wir die Gewaltsituationen nicht offen ansprechen, werden wir keine Änderung erreichen. Die heile Welt in den eigenen vier Wänden ist nur ein Trugbild ist – auch in Südtirol.“
Frauen in Südtirol viermal so stark gefährdet wie im gesamten Staatsgebiet
Hauser zählte auf: Im Jahr 2018 wurden in Südtirol vier Frauenmorde verzeichnet, in gesamt Italien 133. Gemessen an der Einwohnerzahl sei die Gefahr, ermordet zu werden, für eine Südtirolerin also viermal so hoch wie im übrigen Staatsgebiet.
Es brauche mehr Bewusstsein in der Gesellschaft und vor allem die klare Entscheidung der Landespolitik, die im Jahr 2013 von Italien ratifizierte „Konvention von Istanbul“ gegen jede Form von Gewalt an Frauen auch in Südtirol umzusetzen. Es sei zu begrüßen, dass der Landeshauptmann bereits vor einem Jahr im Südtiroler Landtag ein kulturelles Umdenken in allen gesellschaftlichen Bereichen eingefordert habe. In Deutschland würden die Folgekosten der Betreuung von traumatisierten Frauen mit Gewalterlebnissen auf rund 21 Millionen Euro geschätzt. „Würde auch nur ein Teil dieser Folgekosten in die Präventionsarbeit investiert, könnte man Betroffenen, deren Kindern und der Gesellschaft viel Leid ersparen“, sagte Hauser.
600 Südtirolerinnen jährlich wenden sich an Frauenhäuser
Die Präsidentin des Landesbeirats für Chancengleichheit Ulrike Oberhammer zeigte sich besorgt über die gesellschaftliche Wahrnehmung der Gewalt gegen Frauen. Laut einer ISTAT-Umfrage zum Thema seien 23,9 Prozent der Befragten der Meinung sind, Frauen würden durch ihren Kleidungsstil einen sexuellen Übergriff provozieren. 15,1 Prozent geben den misshandelten Frauen eine Mitschuld, wenn diese bei der Tat betrunken waren. In Südtirol suchen jährlich rund 600 Frauen den letzten Ausweg in ein Frauenhaus oder eine geschützte Einrichtung. Oberhammer hält diese Zahl an Gewaltsituationen für „alarmierend“, die Dunkelziffer sei weit höher.
Einsatz zum Schutz vor Gewalt bündeln
Das Thema sei sehr komplex. Daher gelte es, den großen Einsatz der verschiedenen Organisationen in Südtirol gegen Gewalt im häuslichen Umfeld zu bündeln. Der Landesbeirat für Chancengleichheit will daher noch 2020 einen Gleichstellungsaktionsplan erarbeiten, in dem auch die schnelle Umsetzung der Ziele der Istanbul Konvention enthalten sind. Weitehrin will der Beirat an der Beseitigung von Geschlechterstereotypen arbeiten, denn 16,1 Prozent der Befragten glauben laut ISTAT-Studie noch immer, bei Arbeitsplätzemangel solle der Mann gegenüber Frauen den Vorrang haben. 8,8 Prozent meinen, Männer sollen die wichtigen Familienentscheidungen treffen. „Wir sehen, unsere Gesellschaft ist noch immer stark von patriarchalen Strukturen geprägt“, fasste Oberhammer zusammen und griff daher die Anregung von Monika Hauser auf, eine zentrale Koordinierungsstelle einzurichten: Dort sollen alle Fäden und Aktionen zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen zusammenlaufen. (LPA)