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Ein Resümee

Merans ehemaliger Bürgermeister Paul Rösch und Stadträtin Madeleine Rohrer

Mit 1116 Stimmen war Madeleine Rohrer die meistgewählte Person für den Meraner Gemeinderat und nach der Brixner SVP-Politikerin Paula Bacher auch die meistgewählte Südtirolerin. Ein Sitz im Meraner Stadtrat wäre eigentlich die logische Folge. Dem war aber nicht so. Im Gegenteil, Madeleine Rohrer wurde zum Zankapfel, zum „Puzzleteil, das nicht passt“, wie SVP-Senatorin Julia Unterberger lakonisch das Gezeter um die Bildung einer Meraner Stadtregierung kommentierte.

Wer ist diese Frau, die von den Meranern für ihre Arbeit derart belohnt wurde? Als Referentin war Rohrer 5 Jahre lang für viele Aufgabenbereiche zuständig, darunter Stadtplanung, Klimaschutz und Umwelt. Medial präsent war sie aber am meisten als Verkehrsstadträtin. 1983 in Meran geboren besuchte Madeleine Rohrer am Rennweg das Humanistische Gymnasium, absolvierte ein Auslandjahr in Straßburg, studierte dann Kommunikations- und Politikwissenschaft in Salzburg, machte ein Praktikum im Büro des EU-Abgeordneten Sepp Kusstatscher und war schließlich 5 Jahre in Liechtenstein bei der Internationalen Alpenschutzkommission CIPRA und als Geschäftsführerin des Vereins „Alpenstadt des Jahres“ tätig. 2015 holte sie Paul Rösch als externe Referentin in sein Kabinett.

Das Ende
Am 5. November gab Paul Rösch auf, nach wochenlangen Verhandlungen eine Stadtregierung doch noch zusammen zu bekommen. Er sei auf „eine Mauer der Kompromisslosigkeit und des Diktats“ gestoßen, erklärte er.  Und natürlich sei er sehr enttäuscht, weil er bis zum Schluss geglaubt habe, dass ein Kompromiss möglich wäre. Zuletzt hatte Madeleine Rohrer sogar angeboten, nach zweieinhalb Jahren der SVP ihr Mandat zu überlassen. „Ich weiß, dass es nicht an mir als Mensch liegt, dass diese Koalitionsverhandlungen gescheitert sind“, sagt Madeleine Rohrer rückblickend in einem FF-Interview. Was ist falsch gelaufen, dass nach den Wahlen im September für Meran keine Stadtregierung zustande gekommen ist?

Ein BaZ-Gespräch mit Madeleine Rohrer

Frau Rohrer, wie fühlt man sich als „Zankapfel“ bzw. als „falsches Puzzleteil“?
Madeleine Rohrer: Die Wochen der Regierungsverhandlungen waren zermürbend. Die ermunternden Nachrichten von Freunden, Weggefährten und vielen anderen haben gutgetan und mich aufgefangen. Ebenso die große Solidarität. So hat mir jemand geschrieben: „Aufstehen, Krönchen richten und weitergehen“. Das habe ich dann auch getan. Aber es stimmt schon: Da im Stadtrat bei diesem Wahlergebnis Platz für nur drei Deutschsprachige war und die SVP den Anspruch erhoben hat, die deutschsprachigen Meraner zu vertreten, sollte ich trotz der meisten Vorzugsstimmen erst nach einer komplizierten und waghalsigen Änderung des Gemeindestatuts zu einem späteren Zeitpunkt in den Stadtrat kommen. Die italienischen Partner haben zu dieser Änderung des Statuts sofort Nein gesagt. Das nächste Angebot war, ich hätte als normale Gemeinderätin ohne Personal und Gehalt den Baustellenverkehr managen können. Das ist für mich eine Frage der Demokratie: Warum haben die Wähler bis zu vier Namen auf ihren Wahlzettel geschrieben, wenn diese Vorzugsstimmen dann nicht zählen?

Meran hat eine kommissarische Verwalterin bis zu den Neuwahlen im Frühjahr 2021. Haben Sie und Paul Rösch versagt?
Paul Rösch hat mit seiner Liste eine Aufbruchsstimmung ins Rathaus gebracht. Paul und ich stehen für ein enkeltaugliches, europäisches Meran. Die Meraner haben Paul Rösch zum zweiten Mal hintereinander zum Bürgermeister gewählt und sich damit auch für diese Art der Politik ausgesprochen. Die SVP aber hat alles darangesetzt, dass Rösch nicht nochmals Bürgermeister wird. Dabei verliert sie von Wahl zu Wahl an Konsens: Vor zehn Jahren haben noch 35,7 Prozent der Meraner SVP gewählt, im September waren es nur mehr 21,6 Prozent. In der Stichwahl hat die Volkspartei mehr oder weniger hinter vorgehaltener Hand für den italienischen Kandidaten geworben. In meiner Wahlsektion in Obermais, eine fast ausschließlich deutschsprachige, hat Dal Medico in der Stichwahl vier Mal so viele Stimmen bekommen wie noch im ersten Wahlgang, obwohl weniger Leute gewählt haben. Das italienische Mitte-rechts-Bündnis zeigte sich dann in den Verhandlungen erkenntlich und wiederholte gebetsmühlenartig, ohne SVP wollen sie nicht regieren.

Von Neuwahlen glauben vor allem die italienischen Bürgerlisten zu profitieren. Geht die Rechnung auf?
Hätte Dal Medico die Stichwahl gewonnen, hätte Meran heute eine Regierung aus dem Mitte-rechts-Block, der SVP und der Lega. Bei den italienischen Listen ist tatsächlich die Hoffnung groß, beim nächsten Mal die fehlenden Stimmen zu holen. Das würde bedeuten: Die SVP würde diskussionslos die deutsch­sprachigen Stadträte und den Vizebürgermeister stellen. Und mit der Lega arbeitet man bereits in der Landesregierung gut zusammen. In knapp drei Jahren stehen die Landtagswahlen an und ich kann mir gut vorstellen, dass sich ein Mitte-rechts-Block als italienische Volkspartei aufstellen will, um mit der SVP zusammenzuarbeiten. Es ist der Versuch von beiden Seiten, die alte Weltordnung wiederherzustellen: auf der einen Seite die deutschsprachigen Südtiroler, allein vertreten durch die SVP. Auf der anderen Seite eine starke italienische Sammelpartei. In diesem Szenario gibt es keinen Platz für Bewegungen wie der unseren in Meran, in der man über die Sprachgruppen hinweg gemeinsam für die gute Sache arbeitet.

Sie wurden als Stolperstein für die Bildung der Stadtregierung hingestellt. Wie erklären Sie sich, dass die meistgewählte Frau in eine solche Rolle gedrängt wird?
Weder SVP noch der italienische Block haben eine Frau in den Gemeinderat gebracht. Es ist demokratiepolitisch schon bedenklich, wenn die meistgewählte Frau außen vorbleibt und zwei Männer-Parteien eine nicht demokratisch legitimierte Frau stattdessen ernennen müssen, um die Frauenquote zu sichern. Das Bündnis um Rösch hat 10 Sitze im Gemeinderat, die beiden anderen Blöcke nur jeweils 8. Die Liste Rösch/Grüne hat am meisten Stimmen bei diesen Wahlen bekommen und eine Kandidatin dieser Liste hat mehr Stimmen als alle anderen Kandidaten erhalten. Es widerspricht jedem demokratiepolitischen Verständnis, dass die Verlierer einer Wahl die Regeln bestimmen wollen. So wie es auch nicht im Au­to­nomiestatut steht, dass die SVP allein die deutschsprachigen Südtiroler vertritt.

Es heißt, dass Cristina Kury im Hintergrund die Fäden gezogen hat und Sie mit Paul Rösch eigentlich nur ein „Projekt“ von Kury seien. Letztlich habe sie das Sagen.
Cristina Kury hat wie wenig andere die Gabe, Menschen auch außerhalb der Parteien für ein politisches Engagement zu begeistern. SVP und der italienische Mitte-rechts-Block haben es ihr nachgemacht und mit Stampfl und Dal Medico jeweils zwei parteilose Quereinsteiger nominiert. Kury hat auch als scheidende Frak­tionssprecherin an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen. Paul Rösch und ich haben einen eigenen Kopf. Wir werden getragen von einer inzwischen großen Gruppe an engagierten, lustvollen und fachlich versierten Frauen und Männern. Dazu gehört selbstverständlich auch Cristina Kury. Wir diskutieren, beraten und entscheiden dann gemeinsam. Diese „politische Familie“ ist eines der wichtigsten Werkzeuge.

Mit Stefan Frötscher (SVP) und Nerio Zaccaria (Alleanza per Merano) haben Sie fünf Jahre in der Stadtregierung zusammengearbeitet. Enttäuscht von den Beiden, die dazu nun nicht mehr bereit waren?
Paul Rösch hat, als eine von vielen Vorschlägen, eine Übergangsregierung angeregt, gebildet mit den Meistgewählten. Da wären Frötscher und Zaccaria dabei gewesen. Eine Stadtregierung auf Zeit, bis das Virus unter Kontrolle und die Folgen abgefedert sind. Mit unserer Erfahrung aus den vergangenen fünf Jahren hätten wir uns sofort an die Arbeit machen und Probleme lösen können. Eine Kom­missarin kann nicht die Arbeit von sieben Stadträten ersetzen; es gibt keinen Gemeinderat, der kontrollierend begleitet. Und sie kann keine außerordentlichen Projekte in Angriff nehmen. Mit beiden Kollegen habe ich mehr als fünf Jahre gut gearbeitet und bis auf ganz wenige Ausnahmen haben wir alle Beschlüsse gemeinsam getragen. Ich hätte mir jetzt von ihnen mehr Verantwortungsbewusstsein und Mut erwartet.

War es wirklich nicht möglich, eine Stadtregierung zusammenzubekommen, wenn Sie auf einen Posten verzichtet hätten?
Wir hätten noch auf eine Reihe von anderen Forderungen eingehen müssen. Zum Beispiel jene beiden Parteien in die Opposition schicken, die uns von Anfang an unterstützt haben. Das wäre auch ein Verrat an deren Wählern gewesen. Der Bürgermeister wäre zudem zur Marionette von SVP und Mitte-rechts geworden, wenn er im Stadtrat nur zwei Stadträte auf seiner Seite hätte, während die anderen vier gehabt hätten. Meran hat einen Bürgermeister gewählt, der auf Klimaschutz und Beteiligung, auf das Bauen von Brücken zwischen den Sprachgruppen und auf ein weltoffenes Meran setzt. Wie hätte er das umsetzen können, für das er gewählt wurde, ohne Mehrheit im Stadtrat? Und wir hätten auch auf das wichtige Ressort der Stadtplanung verzichten müssen.

Was schmerzt am meisten, dass es nicht zu einer zweiten Legislatur mit Paul Rösch gekommen ist?

Italienweites Experiment: Meran ließ einen Bus ohne Fahrer auf seine Straßen

Die nächsten Jahre sind entscheidend für die Planung und Entwicklung der Stadt. Das neue Gesetz für Raum und Landschaft stellt die Gemeinde Meran vor gänzlich neue Herausforderungen. Wir müssen ein Gemeindeentwicklungsprogramm erarbeiten und dabei die Grenzen der Stadt bestimmen. Außerhalb dieser Grenzen gelten strenge Regeln, weshalb einige versucht sein werden, die Grenzen möglichst weit auszudehnen. Auch müssen wir gemeinsam entscheiden, welche Gebäude wir zusätzlich vor dem Abriss bewahren wollen und welche Landschaften vor der Verbauung geschützt werden müssen. Es geht dabei nicht nur um viel Geld, sondern auch darum, was in der unmittelbaren Nachbarschaft von jedem von uns passiert. Es geht um die Frage, wie viele Einwohner Meran haben soll, wie diese sich fortbewegen, wo noch wie viele Ho­tels gebaut werden. Das Gesetz für Raum und Landschaft besagt, dass dieses Gemeindeentwicklungsprogramm gemeinsam mit der Bevölkerung zu erarbeiten ist. Kriterien und Standards für die Beteiligung gibt es allerdings keine. Es zählt allein der Wille der politischen Führung, wie intensiv die Menschen eingebunden werden sollen. Meran hat es in den letzten Jahren vorgemacht, wie Beteiligung gelingen kann. Paul Rösch und sein Team wären eine Garantie gewesen, dass diese große urbanistische Frage über die Zukunft von Meran in einem möglichst breiten Prozess beantwortet wird.

Welche Projekte, die Sie begonnen haben, liegen Ihnen am Herzen?
Sehr viele. Wenn ich eines herausgreifen muss, ist es eine kindergerechte Stadt! Das beginnt schon beim Schulweg. Der muss anregend, lus­tig und sicher sein, also breite Gehsteige, zusammenhängende Radwege und autofreie Zonen vor den Schulen. Wir haben vor einigen Jahren begonnen, die Kinder mit Schülerlotsen zu Fuß in die Schule zu begleiten. Heute hat der Pedibus zehn Linien und damit mehr Rou­ten als die Stadtbusse. Ich wünsche mir, die Gemeinde kommt den Wünschen der Eltern nach weiteren Linien nach, auch mit Fahrrädern. Hier entstehen Freundschaften zwischen Senioren und Kindern; Schüler beider Sprachgruppen gehen zusammen ein Stück und die Eltern werden entlastet. Und gesund ist das Zufußgehen auch! Mit Kindern haben wir die Manzonistraße an einigen Samstagen zur bunten Spielstraße verwandelt und die Promenade verlängert. Wir wollten aufzeigen: der öffentliche Raum gehört allen. Im Vigilplatz haben wir mit den Kindern das Viertel erkundet, sie haben Modelle gebastelt von ihren Wünschen, was es im Viertel noch braucht, unter anderem eine Bühne. Also haben wir einen Rapper engagiert, der mit den Kids Lieder über ihre Ängste geschrieben hat. Natürlich gab es ein Konzert – auf der selbst gebauten Bühne mit ganz viel Applaus. Wir müssen Kindern wieder die Möglichkeit geben, sicher auf Straßen und Plätzen zu spielen und mitzureden, wie diese Orte sein sollen.

Aus den Reihen der SVP kommt immer wieder die Kritik, Ihre Arbeit sei gar nicht erfolgreich gewesen, weder was die Mobilität noch die Umweltthematik betrifft. Bestätigt wird allenthalben eine gute Selbstvermarktung.
Die SVP unterstellt wohl nicht den Wählern, dass sie nicht durchblicken? Natürlich ist gute Kommunikation in der Politik wichtig. Denn nur wer informiert ist, kann mitreden. Tatsache ist: Gerade bei Mobilität und Umwelt haben wir sehr viel umgesetzt. Gern hätten wir noch ein paar Kilometer mehr Gehsteige barrierefrei gemacht, mit Bäumen gesäumte Radwege gebaut und alle Ampeln mit Sensoren intelligent gemacht. Aber dafür hätten die anderen Stadträte einen Teil ihrer Budgets bereitstellen müssen. Lassen Sie mich nur einige der vielen Projekte aufzählen. Gemeinsam mit der SASA haben wir erreicht, dass heute mehr Menschen die Stadtbusse nehmen als noch vor ein paar Jahren – weil die Busse abends länger fahren, weil mehr Haltestellen barrierefrei sind, weil wir nach 20 Jahren Stillstand Vorzugsspuren eingerichtet haben. Weiters: Die neue Kreuzung zwischen Petrarca- und Leopardistraße scheint gut zu funktionieren. Pendlern haben wir 80 E-Bikes zur Verfügung gestellt, für eine bessere Luft in der Stadt. Und das Projekt für eine Standseilbahn zwischen Meran, Dorf Tirol und Schenna kommt voran, womit Meran vom Autoverkehr entlastet wird und der Tourismus im Meraner Land mehr Qualität erhält. Und ja: Gerade im Bereich Mobilität und Klimaschutz gibt es noch viel zu tun.

Als die Grünen noch in der Opposition waren, ging es Merans Umwelt besser, lautet die Kritik aus anderen Kreisen. Was entgegnen Sie diesem Vorwurf?
Es ist absolut richtig, dass es der Umwelt in einigen Bereichen ziemlich schlechter geht also noch vor einem Jahrzehnt. Der Klimawandel ist so ein Beispiel, und wir verlieren gerade weiter wertvolle Zeit.
Denn unter kommissarischer Verwaltung werden keine neuen Projekte entwickelt, zum Beispiel für die energetische Sanierung unserer Schulen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die nächsten fünf bis zehn Jahre für den Klimaschutz entscheidend sind. Das bedeutet, dass Meran bis 2025 mindestens rund ein Viertel der heutigen CO2-Emissionen einsparen muss. Klimapolitik ist übrigens auch Wirtschaftspolitik: Sie sichert heimischen Unternehmen Aufträge, steigert ihre Kompetenz im Klimaschutz, garantiert ihnen Referenzen und damit einen erleichterten Zugang zu öffentlichen Aufträgen auch in Zukunft. Die Grünen können nicht nur Opposition. Wir haben in diesen gut fünf Jahren gezeigt, dass wir auch regieren können. Auch mit drei doch recht unterschiedlichen Partnern.

In 6 Monaten soll es zu Neuwahlen kommen. Es wird gemunkelt, Sie treten als Bürgermeisterin-Kandidatin für die Liste Rösch/ Grüne an?
Paul Rösch hat sich verdientermaßen bis Weihnachten aus der Tagespolitik zurückgezogen. Wir hoffen, dass er danach mit frischer Kraft und kampfeslustig wiederkommt.

von Josef Prantl