Vergessener Meraner Ringer-Weltmeister

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Vergessener Meraner Ringer-Weltmeister

Nino Equatore alias Hans Platter beherrschte die Ringerbühne der Welt.

Das Grab von Nino Equatore im Meraner Städtischen Friedhof, Feld 11, Reihe 73

„Um den Ruhm zu schätzen, muss man einmal arm gewesen sein“, schreibt Nino Equatore, der Weltmeister, der sich einst als Hütbub sein Brot verdienen musste, als er noch Hans Platter hieß. Und mit bloßen Händen gegen Bären im Käfig Schaukämpfe austrug. Geboren 1898 in Meran und 1965 hier, verarmt und vereinsamt, gestorben. Kennt die Welt einen zweiten Sportler, der mit neunundvierzig zum zweiten Mal Weltmeister wurde? Bärenstark, 1,90 m und 105 kg, aber geschmeidig und zäh. Griechisch-römisch faires Ringen entsprach seinem Wesen mehr als etwa Boxen oder Wrestling. Im Unterschied zum Frei­stilringen sind nur Griffe am Oberkörper des Gegners erlaubt. Equatore war der „König des Doppel-Nelson“ (Nackenhebel), und seine besondere Atemtechnik brachte ihm die legendäre Ausdauer ein. Den genannten zweiten Weltmeistertitel errang er 1947 gegen den Wiener Ady Berber (1,95 m/150 kg, mit 34 Jahren viel jünger als er), dem nachmaligen Monster der Edgar Wallace Filme, nach 2 Stunden und 22 Minuten.

Vor- und nachmalige Welt­meis­ter hat Nino Equatore besiegt:
1927 den Japaner L. Onishiko in Buenos Aires
1929 den Spanier J.L. Ochoa in Madrid
1931 den Deutschen F. Klei in Deutschland
1932 den Letten I. Leskinowitsch in Zürich
1934 den Finnen O. Huhtanen in Bukarest
1935 den Schweizer Grüneisen in Würzburg
1939 den Ungarn J. Czaia in Salzburg
1947 den Österreicher Ady Berber in Wien
1948 den Russen I. Koroschenko in Mailand
1949 den Amerikaner R. Schikat in Rio.

Weitere berühmte Gegner waren: Steinbach, Mrna, Audersch, Schwarz, Ahrens, Padubny, Marne… Im Internet aufgelistet sind seine Kämpfe in Wien und Hannover der Jahre 1932, 1937, 1938, 1942, 1946 und 1947: mindestens 66 Kämpfe, davon 30 Siege, 23 unentschieden, 13 Niederlagen. Im 2. Internationalen Ringerturnier in Meran erkämpfte er 1933 ein Unentschieden gegen den ungarischen Riesen Szabo (150 kg) und einen für aussichtslos gehaltenen Sieg über den Türken Suliman. Equatore stand fast vier Jahrzehnte lang auf vier Kontinenten im Ring. Die Kämpfe beginnen stets wie der Tanz zweier Bären, mit Umkreisen, sprungbereit wie gespannte Stahlfedern, plötzliche At­tacken, verbissenes Ringen, Um­klammerung und Freiringen mit der Gebärde eines Laokoon, Würfe, bis der endgültig Gestürzte sich kläglich in den Fängen des Gegners windet, da bringt die Matte die Erlösung – und die Spezies des Homo erectus sieht sich für ihr Aufstehen peinlich bestraft.

Aus Hans Platter wird Nino Equatore
Wie kommt aber Hans Platter zum schönen Namen Nino Equatore? Der deutsche Name wäre wohl für einen Italien- und Europameister im faschistisch-nationalistischen Italien unmöglich gewesen! Es waren nicht deutsche, sondern stolze italienische Kolonialherren, die in Afrika am Äqua­tor standen! Auch dem Weltumarmer selbst gefiel Equatore besser als etwa ein Giovanni Piatto oder Platino, zu dem er als Hirt und gelernter Bäcker geworden wäre. Von seinem Privatleben ist wenig bekannt, für eine angekündigte Autobiographie fehlte ihm am Ende die Zeit. Geboren ist er als Anton August Hawlicek von der Mutter Katherina Maria Wuchera und dem Vater August Hawlicek, Herrenschneider in Meran. Zum Platter ist er wohl über eine Adoption gekommen, und später über das Kürzel Nino vom Antonino fälschlicherweise zum Giannino, also zum Hans. Er scheint Junggeselle geblieben zu sein, wenn auch von Frauen sehr umschwärmt, angeblich. In den zwei Weltkriegen scheint er nicht mitgekämpft zu haben. Unklar ist ob er an den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin teilgenommen hat. Gewohnt hat er bis 1946 in Meran, dann ist er laut Meldeamt in das Veltliner Sondalo übersiedelt, das Europas größtes Lungenheil-Sanatorium unterhielt – als Patient oder als Therapeut? Erwähnt wird, dass sein letzter Kampf 1950 in Berlin stattfand, im Ring oder/und als Statist bei Filmaufnahmen, er wurde von einem Stier, dem er sich in den Fluchtweg gestellt hatte, überrannt und schwer verletzt.

Weltenbummler
1952 wanderte er nach Venezuela aus, war dort – aber nebenbei auch in Indien – Sportlehrer und Trainer und kehrte erst 1959 nach Meran zurück, nachdem er seine Ersparnisse in den südamerikanischen Revolutionswirren verloren hatte. Auch bei uns hatte er schon früher sein ganzes Hab und Gut eingebüßt, angeblich im Zuge der Option. Aber warum? Hatte er für Deutschland optiert? Wohl nicht! Er ließ sich nicht unterkriegen, gründete in Meran eine Sport-Ausbildungsstätte, aber mit geringem Erfolg, und war auch noch als Hilfsarbeiter tätig. Unermüdlicher Kämpfer, der nie aufgegeben hat, und wo er für sich nichts tun konnte, hat er seine Erfahrungen, mit großem Herzen, weitergegeben. So verfasste er ein Vademecum für Sportler und Andere und brachte es 1959 zweisprachig im Selbstverlag heraus, der Titel: „SUPERFORZA-SUPERKRAFT, die neue Lungengymnastik“, mit eigenen Erfahrungen, anatomischen Erkenntnissen, Ratschlägen zum sportlichen Erfolg – bis hin zum Aufbau gewünschter weiblicher Kurven – durch Gymnastik, bewusstes Atmen und Durchbluten, gesunde Ernährung. Auch Askese, Disziplin, doch keine Radikalkuren. „Es bringt mehr, 5 kg 100mal zu heben als 100 kg 5mal“. Das Büchlein ist wie von einem Arzt geschrieben, tatsächlich bestätigten drei Ärzte und ein Sportlehrer im Vorwort, Equatores Methoden mit Erfolg angewandt zu haben.

Lebensende in Meran in Armut und Einsamkeit
Als nach seinem Verkehrsunfall in Venezuela 1958 mehrere Ärzte eine Rettung nur in der Amputation eines Beines gesehen hatten, gelang ihm dessen Wiederdurchblutung durch eiserne Selbsttherapie. In seiner Hoffnung, von öffentlicher Seite eine monatliche Hilfe von 15.000 Lire zu erwirken, trat er auf der Passerpromenade in den Hungerstreik – ohne Erfolg, wie die Tageszeitung „Dolomiten“ am 4. 12. 2001 anlässlich des Beschlusses der Gemeinde Meran, ihm eine Gedenkstelle zu errichten, schrieb. Dann 2008, also 110 Jahre nach seiner Geburt, fand am Grab eine Gedenkfeier statt, anwesend waren nur etwa zehn Leute – die Tageszeitung ALTO ADIGE titelte „Triste oblio per Nino“. Nino war zuletzt im Untermaiser Versorgungshaus untergekommen, neben dem Maler Alois Kuperion. Ab und zu schlief man im Freien auf der Promenade – die ihn noch im Triumphzug zu und von seinen Kämpfen im Kursaal erlebt hatte. Am Morgen des 24. November 1965, das Thermometer stand auf – 4° Celsius, fand man Nino dort auf einer Bank, bereits erfroren, sagt man, oder anschließend im Krankenhaus verstorben. So hat ihn seine Kindheit eingeholt – verarmt und vereinsamt.

„Dankbar nehmen wir weitere Einzelheiten, Bildmaterial u. ä. zu Nino Equatore entgegen. Tel. 348 2924943.“
Paul Preims