Einst galt Tisens mit seinen sonnenverwöhnten Ortsteilen als ein beliebter Rückzugsort zur Sommerfrische des Adels und Bürgertums. Eine Vielzahl an Naturschauplätzen und historischen Zeugnissen lädt heute zum Entdecken und Erleben ein.
von Jasmin Maringgele
Von der wahrscheinlich größten und ältesten Weinrebe der Welt, über eine der ersten bezeugten Gipfeltouren weiblicher Alpingeschichte, bis hin zum allerersten Design-Hotel in Südtirol ist Tisens einen näheren Blick wert.
Geschichtliches zu Tisens
Schriftlich beurkundet ist das heutige Tisens mit seinen Fraktionen seit 1221 als „Tisin“. Das älteste Schriftzeugnis des Ortsnamens geht vermutlich allerdings bereits bis ins späte 8. Jahrhundert zurück. Ein rätisches Beil mit der Besitzerinschrift „ENIKES“ – gefunden bei St. Christoph – verweist auf den „ältesten Tisner mit Namen“. Die Versoaln-Rebe, deren ursprüngliches Anbaugebiet der Vinschgau war, wächst heute auf einer traditionellen Pergola aus Kastanienholz bei Schloss Katzenzungen in Prissian. Besonders an dieser Weinrebe ist der Umstand, dass es sich dabei um eine der größten und ältesten Weinreben der Welt handelt. 2004 wurde das Alter des Rebstocks mit über 350 Jahren wissenschaftlich datiert. Somit gilt ihr stattliches Alter als gesichert, im Gegensatz zu den „Konkurrenz-Reben“, deren Alter vermutet wird oder sich aus Überlieferungen herleitet. Zahlreiche Ansitze, Burgen, Schlösser und Kirchen weisen auf die geschichtliche Rolle von Tisens hin. Bedeutende und kunstvoll gestaltete Glasfenster aus der Augsburger Schule in der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt in Tisens, die „Dolomiten“ am romanischen Fresko der St.-Jakob- Kirche in Grissian oder die „Kirche zum Bösen Segen“ St. Hippolyt, mit ihrer unheilvollen Geschichte der Blitzeinschläge beim Wetterläuten, sind Zeugnisse kirchengeschichtlicher Besonderheiten.
Heuer jährt sich zum 600. Mal die ehemalige Gefangenschaft des berühmten Minnesängers Oswald von Wolkenstein auf der Fahlburg. Anlässlich dessen, fand am 17. Oktober ein Fest in der Fahlburg statt. In historischer Gewandung und mittels mittelalterlicher Stände sollte das Leben im Mittelalter für Schaulustige greifbar gemacht werden.
Vom Keschtnriggl zum Servier-Roboter
Tisens und seine Fraktionen warten mit zahlreichen Anekdoten lebendiger Zeitgeschichte auf. Von Kuriosem und Wunderlichem bis hin zu Überraschendem und Verwurzeltem.Beispielsweise war die Wehrburg einst im Besitz eines ungarischen Adeligen namens Graf Alberg von Eperjessey, einem k.u.k.-Gesandten in Teheran. Dieser restaurierte die Burg aufwändig und stattete sie mit zahlreichen, zum Teil antiken und heute größtenteils verschollenen, Kunstschätzen und griechischen Inschriften aus. 1957 wurde die Wehrburg von Familie Holzner gekauft und in eines der ersten Schlosshotels in Südtirol umgewandelt. Neben dem Schlosshotel in der Wehrburg wartet noch ein anderes Hotel in Prissian mit einer überraschenden Besonderheit auf: Das Hotel Tirolensis wurde 1977 als 5-Sterne-Hotel gebaut und war zugleich das erste Design-Hotel Südtirols. Ein exotisches Hallenbad, ein Schönheitstrakt und ein neumodischer Servier-Roboter machten es zu einer bis über die Grenze hinaus bekannten Sensation.
Priester und Publizist Kanonikus Michael Gamper gilt als einer der berühmtesten Söhne der Gemeinde. Vor kurzem hat Michl Ebner die Fahlburg erworben und möchte in den nächsten Jahren dort ein Museum planen. Ein anderes historisches Anwesen – Schloss Katzenzungen, von Familie Pobitzer 1978 in einem desolaten Zustand erworben und mit großem Aufwand renoviert – öffnet demnächst die Pforten seiner „Wunderkammer“ für die Öffentlichkeit. Ernst Pobitzer, der heutige Besitzer des Schlosses, gilt als weitgereister und kunstaffiner Sammler mannigfaltiger Gegenstände. So lassen sich ausgewählte Kunstwerke, Waffen aus unterschiedlichen Epochen oder faszinierende versteinerte Hölzer und Mineralien aus verschiedenen Winkeln der Erde bestaunen. Spektakuläre Naturfotografien aus Südtirol und auswärts laden Besucher des Schlosses zum darin Schwelgen ein.
Etwas weiter zurück in die Geschichte führt eine der ersten bezeugten Gipfeltouren von Frauen in der Alpingeschichte. Ein Adelspaar und die Mutter der Adeligen erklommen am 24. August 1552 gemeinsam den Laugen. Eine stählerne Frauenstatue, gestiftet von der AVS-Sektion Lana, erinnert dort an diese Leistung der damals 22-jährigen Katharina Botsch von Zwingenberg, ihrer Mutter Regina von Brandis und dem Ehemann Jakob von Boymont zu Payersberg.
Drei Wochen lang dreht sich im Herbst jährlich alles rund um die Tisner Edelkastanie. Namensgeber der Kastanientage ist der Keschtnriggl: ein kurios anmutender handgeflochtener Korb zum Schälen gebratener Kastanien. Im Ort beherrscht gegenwärtig nur mehr ein Mensch die althergebrachte Technik der Herstellung eines Keschtnriggls. Die Kastanientage geben Besuchern von Nah und Fern einen wertvollen Einblick in die Kultur und Bräuche der Region. Bei verschiedenen Veranstaltungen werden Köstlichkeiten rund um die Kastanie gereicht und die Bedeutung der Nussfrucht erläutert.
Der Bauerngarten vom Großkemathof
Der Großkemathof liegt in idyllischer Alleinlage hoch über dem Etschtal in Prissian. Franziska Braunhofer Knoll pflegt und kultiviert einen abwechslungsreichen Bauerngarten mit einem Fokus auf unterschiedliche Wild-, Tee-, Gewürz- und Heilkräuter, die am und rund um den Hof wachsen. Zudem gedeihen in ihrem Garten zahlreiche alte und teilweise fast vergessene Paradeisersorten, die sie kreativ verarbeitet und zubereitet. Seit der Übernahme des Hofes durch den Sohn Michael vor drei Jahren, werden am Großkemat-Hof zunehmend Weine gekeltert. Das Wagnis die zuvor angebauten Äpfel nach und nach durch Weinreben – Solaris und Weißburgunder – zu ersetzen, verlangt von der Familie Zusammenhalt und Unterstützung. Doch Hoferbe Michael und seine Eltern bereuen den Schritt nicht, wenngleich die Bewirtschaftung eines Hofes heute mit einem weitaus größeren bürokratischen Aufwand als früher verbunden ist.
Ein großer Vorteil von Wildkräutern ist, dass diese ohne viel Zutun „viel wachsen“. Daher sind die Wildkräuterführungen, die auf Anfrage von Franziska veranstaltet werden, vor allem ein Spaziergang rund um den Hof, bei dem es Überraschendes zu entdecken gibt. Auf den ersten Blick erscheint vieles von dem, was links und rechts ungefragt wächst, als störendes Unkraut – gerade auf einem bewirtschafteten Bauernhof. Auf einem Seminar blieb Franziska vor einigen Jahren allerdings vor allem ein Satz im Gedächtnis, der seitdem ihr Handeln prägt: „In der Natur gibt es keine Unkräuter, nur Beikräuter.“ Zu ihren drei Lieblingskräutern zählen die Gundelrebe, der Löwenzahn und die Brennnessel. Vor allem die Brennnessel wird laut Franziska von den meisten unterschätzt. Wenn die Menschen wüssten, wie wertvoll, vielfältig und nährstoffreich dieses vermeintliche Unkraut ist, gäbe es wohl kaum mehr welches zu pflücken. Die mannigfaltigen Kräuter verarbeitet die Seniorbäuerin zu Salben oder integriert sie in der heimischen Küche. Im Frühling ist es für Franziska eine besonders schöne Beschäftigung mit den Kräutern, wenn die Natur langsam wieder zum Leben erwacht. Das Herz von Franziska schlägt zudem für alte Paradeisersorten. Deren Samen trocknet sie zuerst, diese werden im Februar in der warmen Küche ausgesät, später pikiert und als Jungpflanzen um die Eisheiligen herum in den Acker eingepflanzt. So bieten die unterschiedlichen Tomaten eine Geschmacks- und Einsatzsvielfalt, die von Köchen aus der Umgebung ebenso geschätzt werden, wie von Franziskas Familie. Diese darf ihre, zum Teil ausgefallenen, Kreationen verköstigen: Ketchup, süße und pikante Aufstriche, Marmeladen und sogar schon an einem Eis hat sie sich versucht. Klimatisch bevorzugt und auf der Sonnenseite gelegen, gedeihen im Garten alte Gemüsesorten besonders prächtig.
Ihr Wissen und ihr Können rund um Kräuter und Gemüse gibt Franziska bei Führungen gerne weiter. Ab dem Frühling hofft sie wieder mit Einblicken rund um all das Wertvolle aus der Natur um und am Hof starten zu können. Als Zusatz möchte sie zukünftig Führungen mit einem anschließenden gemeinsamen Kochen mit Wildkräutern anbieten. Damit die Leute auch verstehen, wie vielfältig man Kräuter in der Küche einsetzen kann. Der Familie Knoll liegt viel daran, ihren Bauernhof erlebbar zu machen. Neben Mutter Franziska bietet auch Sohn Michael Führungen durch den Weinberg an. Ganz im Sinne der generationenübergreifenden Zusammenarbeit: Jeder tut das, was er gerne macht und gut kann.