Was wurde nicht alles nach dem Physiker Enrico Fermi benannt: ein Element, ein Mondkrater, ein Paradoxon, eine Flüssigkeit, ein Asteroid, ein Forschungspreis, ein Teleskop, ein Kernkraftwerk, eine Längeneinheit … und eine Straße in Sinich.
Wie viele Klavierstimmer gibt es in Chicago? Eine auf den ersten Blick seltsame Frage. Doch der Mann, der sie vor Jahrzehnten seinen Studenten stellte, hat sich sehr wohl etwas dabei gedacht. Er wollte die jungen Menschen dazu anregen, darüber nachzudenken, wie man eine solche Frage überhaupt beantworten könnte. Dabei geht es nicht darum, zu sagen, ob es 30 oder 32 Klavierstimmer sind, sondern darum, Größenordnungen abzuschätzen. Braucht Chicago 10, 100 oder vielleicht sogar 1000 Klavierstimmer? Damit man die Frage beantworten kann, muss man zunächst feststellen, wie viele Einwohner die Stadt hat, wie viele Haushalte es gibt, wie viele davon ein Klavier besitzen, wie oft man dieses stimmen muss, wie viel Zeit dies in Anspruch nimmt, wie lange ein Klavierstimmer arbeitet und, letzten Endes, wie viele Menschen mit all diesen Überlegungen im Hinterkopf, davon leben können, hauptberuflich Klavierstimmer zu sein. Der Weg zur Lösung des Problems erfordert Allgemeinwissen und vor allem einen gesunden Hausverstand. Aufgaben dieser Art heißen nach ihrem Erfinder Fermi-Fragen.
Sein Leben in Laboren
Enrico Fermi wurde 1901 in Rom geboren. Schon im Alter von 17 Jahren begann er in Pisa Physik zu studieren. Nach seinem Abschluss erhielt er ein Stipendium und konnte mehrere Monate lang in Göttingen beim späteren Nobelpreisträger Max Born forschen. Als er Professor in Florenz wurde, war er erst 23 Jahre alt, ein Jahr später kam er an die berühmte Universität La Sapienza in Rom. 1928 heiratete er Laura Capon, eine Studentin der allgemeinen Naturwissenschaften, und bekam mit ihr die beiden Kinder Nella und Giulio. Fermis wissenschaftliche Arbeiten waren so inspirierend, dass sich in Rom eine Gruppe sehr produktiver Physiker um ihn scharte. Die Zeit war für Wissenschaftler eine immens spannende, denn in den 1930er Jahren wurden zahlreiche bahnbrechende Entdeckungen gemacht und Fermi war immer mittendrin.
1938 war dann ein einschneidendes Jahr für ihn und seine Familie. Einerseits erhielt er mit dem Nobelpreis für Physik die größte Ehrung seines Lebens, andererseits musste er mit seiner jüdischen Frau, den beiden Kindern und einigen Mitarbeitern das Land verlassen und in die USA emigrieren. Grund waren die vom faschistischen Italien erlassenen antisemitischen Gesetze. In den Vereinigten Staaten betrieb er weiter seine Forschungen und zog im Sommer 1944 mit seiner Familie nach Los Alamos in New Mexico. Dort befand sich das geheime Atomforschungslabor der USA, in dem er zusammen mit Robert Oppenheimer und anderen Wissenschaftlern die erste Atombombe entwickelte. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges vertauschte er Theorie und Praxis und widmete sich wieder der Grundlagenforschung. Als man 1954 bei ihm Magenkrebs diagnostiziert hatte, ließ er sich operieren, starb aber wenige Wochen danach im Alter von 53 Jahren. Er gilt als einer der bedeutendsten Kernphysiker des 20. Jahrhunderts.
Sein Leben in Büchern
In seinem Todesjahr erschien eine Biographie mit dem Titel „Mein Mann und das Atom“. Geschrieben hatte sie seine Frau Laura. Als ein Freund der Familie ihr den Vorschlag unterbreitet hatte, sie solle doch das bewegte Leben ihres Mannes in Italien und den USA niederschreiben, meinte sie zunächst in ihrem für sie typischen Humor: „Unmöglich! Ich koche für ihn und bügle seine Hemden. So wichtig kann ich ihn nicht nehmen.“ Schließlich hat sie sich doch anders entschieden und der Welt ein ebenso unterhaltsames wie informatives Buch geschenkt. Vor wenigen Jahren wurde eine neue Biographie mit dem Titel „Der letzte Mann, der alles wusste“ veröffentlicht. Er wusste sogar, wie viele Klavierstimmer es in Chicago braucht: Es sind ungefähr 100.
Christian Zelger