Irgendwann erwischt es jeden. Wir altern alle, ob wir wollen oder nicht. Und schon lange, bevor die meisten tatsächlich ein hohes Alter erreicht haben, sorgen sich viele davor. Die Angst vor dem Älterwerden: Jeder von uns wird sich früher oder später damit auseinandersetzen müssen.
von Josef Prantl
Methusalem soll laut Bibel 969 Jahre alt geworden sein, weshalb man auch von biblischem Alter spricht. In den vergangenen 40 Jahren ist die Zahl der alten Menschen in Südtirol von rund 50.000 auf über 105.000 gestiegen. Mehr als 55.000 Menschen sind heute über 70. Aber der große Sprung ins Alter steht uns erst noch bevor: fast 150.000 Senioren werden 2034 in Südtirol leben, prognostiziert das ASTAT. Die steigende Lebenserwartung und die Alterung der Gesellschaft sind eine Tatsache, die alle entwickelten Länder betrifft.
Die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation haben deshalb einen Plan 2021-2030 zum Thema „gesundes Altern“ verabschiedet. Darin sind vier Aktionsbereiche vorgesehen: die Schaffung eines physischen, sozialen und wirtschaftlichen Umfelds, das für ältere Menschen geeignet ist; die Bekämpfung von Vorurteilen, Stereotypen und Diskriminierung gegen das Altern; die Entwicklung einer integrierten präventiven, kurativen, rehabilitativen und palliativen Pflege; die Gewährleistung der Langzeitpflege.
Wie die Pflege in Zukunft finanzieren?
In vielen Kulturen gilt das Alter als etwas Ehrwürdiges. Der Respekt vor älteren Menschen ist in vielen Gesellschaften tief verwurzelt. Doch wie es um diesen Respekt bestellt ist, wenn es ernst wird, sieht man daran, wie ältere Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, eigenständig zu wohnen und pflegebedürftig sind, behandelt werden.
In Südtirol gibt es 78 Seniorenwohnheime mit insgesamt ungefähr 4.400 Betten. Tagespflege und das Angebot für begleitetes und betreutes Wohnen für Senioren ergänzen die Unterstützung für ältere Menschen und ihre Familien. Wer in Südtirol pflegebedürftig ist, kann seit 2008 um Pflegegeld ansuchen. Dieses ist auf den Pflegegrad ausgerichtet, der in vier Stufen unterschieden wird. Der Betreuungsbedarf wird von Einstufungsteams ermittelt, die sich aus Fachkräften aus der Krankenpflege und der Sozialbetreuung zusammensetzen. 2020 haben über 16.000 Südtirolerinnen und Südtiroler das Pflegegeld bezogen, insgesamt wurden 243 Millionen Euro dafür bereitgestellt. Die Kosten für die Pflege steigen aber unaufhaltsam. Die Finanzierung aus dem Landeshaushalt komme an ihre Grenzen, heißt es bereits. Daher wird an eine Pflegeversicherung nach dem Vorbild der Zusatzrente gedacht.
Pflege zu Hause
Die Pflegearbeit zu Hause hingegen ist ganz klar weiblich: 84,2% der Pflegenden in der Familie sind Frauen. Pflegende Angehörige sind häufig physisch und psychisch belastet, besonders dann, wenn die Pflegearbeit zu Hause nicht auf mehrere Personen aufgeteilt wird oder aufgeteilt werden kann. In vielen Haushalten wird die Pflegearbeit zum Teil oder ganz einer Hauspflegekraft (umgangssprachlich „Badante“) übertragen. Ca. 4.500 Hauspflegekräfte gibt es in Südtirol, 97% davon sind weiblich. In den Städten werden verhältnismäßig oft Hauspflegekräfte eingestellt, während in ländlichen Gebieten die Pflegearbeit noch eher von den Familien selbst übernommen wird.
Problematisch bei Hauspflegekräften können die Höhe der Arbeitsbelastung und der arbeitsrechtliche Status werden, insbesondere wenn die Hauspflegekraft bei ihren Arbeitgebern im Haus lebt. Insgesamt wurde die Berufsgruppe der Hauspflegekräfte in den letzten Jahren zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Südtiroler Pflegesystems.
Die Pflege zu Hause steht auf lange Sicht aber vor Schwierigkeiten, die sich aus dem Wandel der Familienmodelle, der Haushalte und der Angleichung der Frauenerwerbstätigkeitsquote an jene der Männer ergeben. Abnehmen wird in Zukunft sowohl die Verfügbarkeit als auch die Bereitschaft von Angehörigen zur Übernahme der Pflegetätigkeit. Es wird also größere Anreize und eine stärkere Unterstützung und Begleitung brauchen, damit Angehörige weiterhin Pflegearbeit leisten.
Ambulante und stationäre Pflege
Die Nachfrage nach ambulanten, teilstationären und stationären Diensten und somit auch die Nachfrage nach Plätzen in Alten- und Pflegeheimen wird steigen. Die Pflege in Alten- und Pflegeheimen wird von der Pflege zu Hause niemals vollständig ersetzt werden können, schon allein deshalb, weil letztere mit steigender Pflegebedürftigkeit zu anspruchsvoll und (trotz der Unterstützung durch den Hauspflegedienst) zu aufwendig wird.
Die gesellschaftlichen Veränderungen machen die Deckung des zukünftigen Pflegebedarfs zu einer großen Herausforderung: Der Pflege- und Betreuungsbedarf muss auch in Zukunft mit einer angemessenen Mischung aus familiärer Pflege zu Hause und ambulanten, teilstationären oder stationären Diensten gedeckt werden. Eine größere Rolle könnten in Zukunft auch neue Mischformen von ambulanter und stationärer Pflege einnehmen. Ebenso werden die informelle (familiäre) und die formelle (berufstätige) Pflege in Zukunft wahrscheinlich noch enger miteinander verwoben sein als heute.
Franziska Kirchler (36) ist Mutter von zwei Kindern, lebt in Meran und arbeitet als Sozialbetreuerin in einer Langzeitpflegeeinrichtung, wo sie sowohl ältere Menschen als auch Menschen betreut, die aufgrund von Unfällen oder Erkrankungen schon in jungen Jahren auf Pflege angewiesen sind.
Frau Kirchler, Sie arbeiten als Sozialbetreuerin mit hochbetagten und schwer pflegebedürftigen Menschen. Wie alt würden Sie selbst gerne werden?
Franziska Kirchler: Natürlich will ich alt werden. Aber ich glaube, wie die meisten, möchte ich auch gesund alt werden. Denn nicht gesund zu altern, bedeutet, dass man auf Pflege und Hilfe angewiesen ist. Dieser Umstand führt oft zum Verlust der Selbstbestimmung und zu gesellschaftlicher Isolation.
Müssen wir uns also vor dem Alter Sorgen machen?
Grundsätzlich ist das hohe Alter ja ein Segen. Man kann auf ein ereignisreiches Leben zurückblicken, hat Erfahrungen gesammelt und genießt Wertschätzung und Anerkennung. Jedoch gilt das meist nur, wenn man gesund, gesellschaftlich noch aktiv und unabhängig sein kann. Sobald man jedoch körperlich oder kognitiv Hilfe benötigt, gerät man in Abhängigkeit und, wie schon gesagt, zeichnet sich gesellschaftliche Isolation ab. Dies gilt, wie ich aus meiner beruflichen Erfahrung weiß, für pflegebedürftige Menschen jeglichen Alters. Jeder von uns sollte sich bewusst sein, dass man jederzeit, z.B. durch einen Unfall oder durch Krankheit zu einem „Pflegefall“ werden kann.
Welche Haltung braucht eine Gesellschaft, in der alt werden und pflegebedürftig sein nicht mehr Angst machen?
Mit zunehmendem Alter verändert sich die Rolle eines Menschen in der Gesellschaft und für viele bedeutet das, dass man den Anforderungen unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht werden kann. Dies gilt oft auch für nicht-pflegebedürftige Menschen. Das ist, glaube ich, der Grund, wieso zwar jeder alt werden, aber nicht alt sein möchte. Unsere Gesellschaft braucht daher eine Haltung, in der alte Menschen eine gesellschaftliche Rolle spielen dürfen, ohne dem Leistungsdruck zu unterliegen.
Waschen, Anziehen, Toilettengang und Essen, alles im Minutentakt organisiert: Was läuft in der Pflege falsch, denn seit Jahren wird vom „Pflegenotstand in der Altenpflege“ gesprochen, von Personalmangel und „Billig-Pflege“?
So wie es eine Veränderung in der Haltung gegenüber dem Alt sein geben muss, benötigt es auch eine in der Wertschätzung gegenüber den Pflegeberufen. Wir sind zwar durch die Pandemie mehr in den gesellschaftlichen Diskurs gerückt, jedoch gehen mir die Veränderungen noch zu langsam voran. Wir hätten in Südtirol hervorragende Ausbildungsvoraussetzungen, jedoch tragen diese in der Praxis zu wenig Früchte. Es braucht zusätzlich zur gesellschaftlichen Wertschätzung unbedingt eine finanzielle Aufwertung, um den Beruf attraktiver zu machen, aber in erster Linie, um diese fordernde, anspruchsvolle und bedeutende Arbeit gerecht zu entlohnen. Dann werden auch mehr Menschen den Pflegeberuf wählen, da er so wichtig ist und erfüllend sein kann.
Durch mehr Personal wird der Überforderung entgegengewirkt sowie die Qualität der Pflege verbessert und gesichert. Uns allen sollte bewusst sein, dass sich diese Investition lohnt, ansonsten werden viele das erst realisieren, wenn sie sich als Betroffene oder Angehörige in der Situation wiederfinden.
Die Kosten für die Pflege steigen unaufhaltsam. Die Finanzierung aus dem Landeshaushalt kommt an ihre Grenzen, heißt es. Je mehr Geld aber jemand zur Verfügung hat, um sich eine Pflege zu leisten, der scheint am allerbesten dran zu sein, das zumindest denken viele Menschen. Können Sie die Skepsis verstehen?
Ja, natürlich. Es ist jedem klar, dass man sich mit genügend finanziellen Mitteln auch eine hochwertige Eins-zu-Eins-Betreuung leisten kann, bei der Betroffene und Angehörige selbstbestimmt darüber entscheiden können, wie die Betreuung ablaufen soll, welches Personal sie einstellen und wie der Alltag gestaltet wird. Daher sage ich nochmal, dass es essenziell ist, den Beruf aufzuwerten, um genügend qualifiziertes Personal für alle bereit zu stellen.
Das Ziel der Politik solle darin liegen, „die älteren Menschen von einer Last zu einer Ressource für die Gesellschaft zu machen und das volle Potenzial dieser Bevölkerungsgruppe zu aktivieren“, heißt es in einem Gesetzesentwurf zum aktiven Altern. Konkret, was müsste sich ändern?
Wie schon vorhin angesprochen, denke ich, dass dies an den Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft liegt. Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass ein Mensch nur dann gesellschaftlich relevant ist, wenn er gesund, jung, dynamisch, belastbar und dergleichen ist. Aufgrund dieser Anforderungen werden nicht nur Ältere ausgegrenzt, sondern auch Kinder, Menschen mit psychischen Erkrankungen, körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen, aber auch alle gesellschaftlichen Randgruppen. Ich glaube, es muss nicht jeder einen „materiellen“ Beitrag für die Gesellschaft leisten, es soll aber jeder teilhaben dürfen.
Brauchen wir eine Pflegeversicherung nach dem Vorbild der Zusatzrente, damit der Normalbürger am Ende nicht zum Sozialfall wird?
Ich denke, dass wir ein Gesundheitssystem brauchen, in dem Pflegeversicherungen nicht notwendig sein sollten, um eine gute Pflege zu erhalten.
Alt werden will jeder. Aber alt sein und auf Pflege angewiesen? Viele Menschen haben Angst, pflegebedürftig zu werden und noch nie waren so viele Menschen pflegebedürftig. Die größte Sorge vieler über 60-Jährigen ist es, dauerhaft auf Pflege angewiesen zu sein. Vielleicht müssen wir erst lernen, schon mit 50 an 80 zu denken. Denn es ist nicht egal, wie wir alt werden. Geld sei nicht das zentrale Problem, sagt Veronika Saaler.
Die BAZ sprach mit der Lananerin Veronika Saaler, die seit mehr als 20 Jahren als Krankenpflegerin in der Altenpflege tätig ist.
Frau Saaler, Sie sind schon lange in der Kranken- und Altenpflege tätig. Wie alt würden Sie gerne werden?
Veronika Saaler: Jeder möchte möglichst lange und gesund leben. Was ich mir aber noch mehr wünsche, ist es, in Würde alt zu werden und eine gute Pflege zu erhalten, sollte ich sie brauchen. Dem Leben gesunde Jahre anzuhängen, das sollte aber unser aller Ziel sein.
Müssen wir uns vor dem Alter Sorgen machen?
Natürlich ist es so, dass sich die Alterspyramide immer weiter verschiebt, und natürlich gibt es auch ältere Menschen, die am Existenzminimum leben. Die medizinische Versorgung pflegebedürftiger Menschen hat sich aber auch laufend verbessert, wir haben heute viele technischen Hilfsmittel in der Altenpflege. Unsere Pflegestrukturen sind sehr gut aufgestellt. Problematisch hingegen ist die Personalfrage. Es fehlt ein gut qualifiziertes Pflegepersonal.
Waschen, Anziehen, Toilettengang und Essen, alles im Minutentakt, so sieht die Realität in vielen Pflegeeinrichtungen aus. Man spricht vom Pflegenotstand in der Altenpflege. Zurecht?
Die Liebe zu diesem Beruf muss einem schon in die Wiege gelegt sein. Nicht jeder kann das machen. Wenn man wie ich gerne mit Menschen zusammen ist, und „Helfen“ als Berufung empfindet, ist die Pflege die richtige Entscheidung. Ich persönlich sehe meine Aufgabe neben dem fachlich qualifizierten Arbeiten darin, Heimbewohner menschliche Zuwendung zu schenken und Angst zu nehmen. Oft bleibt das aber heutzutage auf der Strecke, wenn Stress den Alltag prägt und die Bedürfnisse der Heimbewohner nicht berücksichtigt werden können. Das ist das Hauptproblem und deswegen lassen immer mehr von uns den Beruf hinter sich.
Was muss sich ändern?
Es braucht eine vernünftige Personalbemessung, einen besseren Personalschlüssel. Die Arbeitsbedingungen müssen sich ändern, das Gehalt ist nicht das zentrale Problem, sondern die Überlastung der Pflegekräfte. Je nach Größe der Struktur ist man im Nachtdienst für mehr als 30 Heimbewohner verantwortlich. Im Nachtdienst werden aber die gleichen Aufgaben wie im Tagdienst verrichtet und die Nächte sind selten ruhig. Ich kenne also die Überforderung. Die Verantwortung ist groß, wir arbeiten nicht mit Maschinen, sondern mit Menschen. Wenn wir Fehler machen, hat das meist schwerwiegende Konsequenzen.
Neben den öffentlichen Strukturen entstehen recht luxuriöse Einrichtungen privater Anbieter: Wird Pflege zum gewinnorientierten Geschäft?
Wie gesagt, in unserem Beruf geht es um viel Verantwortung. Wir werden alle irgendwann in diese letzte, oft schwierige Lebensphase kommen. Uns wird dieser sehr sensible Lebensabschnitt anvertraut. Da geht es um die essenziellsten Dinge überhaupt, um Leben, Krankheit und Sterben. In Südtirol wurde die soziale Fürsorge in den vergangenen Jahrzehnten unter dem Land vorbildlich aufgebaut, teilweise ist sie auch kirchlich geprägt. In beiden Fällen steht dahinter die Vorstellung einer karitativen Tätigkeit. Tendenzen, betriebswirtschaftliche Modelle in der Alten- und Krankenpflege einzuführen, finde ich sehr bedenklich. Es heißt zwar, das führe zu mehr Effizienz, besserer Dienstleistung und besserem Umgang mit öffentlichen Geldern. Meine Erfahrung zeigt aber, dass das immer auf Kosten des Personals und der Heimbewohner geht. Die Heimbewohner leiden am meisten darunter. Das macht das Arbeiten manchmal noch unerträglicher.
Das größere Problem als das materielle ist, wie finden wir genügend Betreuung, wie sorgen wir dafür, dass die alten Menschen auch so betreut sind, dass sie ein schönes Alter haben? Wie kann man den Beruf attraktiv machen?
Bei den Mitarbeitern nicht einsparen, die Fluktuation eindämmen, denn das verursacht unnötige Kosten, etwa wenn ständig neue Mitarbeiter eingearbeitet werden müssen. Vielmehr muss in die Mitarbeiter investiert werden, sie brauchen ebenfalls Unterstützung, um eine Pflege mit Qualität zu leisten. Dazu gehört auch eine gerechte angemessene Bezahlung, aber auch eine Personalführung, die den Mitarbeitern Wertschätzung entgegenbringt und sie nicht überfordert. Wichtig sind auch Flexibilität. Viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, in jeder Schicht zu arbeiten. Wer neue Mitarbeiter gewinnen möchte, muss deshalb flexible Arbeitszeitmodelle schaffen. Hauptsächlich wünschen die Pflegekräfte eine gute Arbeitsatmosphäre, Mitsprache und eine funktionierende Teamarbeit.
Der Pflegebedarf wird weiter steigen, der Bedarf an qualifizierten Pflegekräften ebenso. Die Problemstellungen der Pflege sind seit Jahren bekannt. Die ehemalige Landtagsabgeordnete Martina Ladurner ist seit vergangenem Jahr die Präsidentin des Verbandes der Seniorenwohnheime Südtirols. Die neue VdS-Präsidentin leitet auch den Verein „Die Kinderwelt“ und ist Präsidentin des Seniorenheimes Algund „Mathias Ladurner“.
Wir leben gesünder und länger als alle Generationen vor uns. Doch die Furcht vor dem Altwerden mindert das nicht. Müssen wir uns vor dem Alter Sorgen machen?
Martina Ladurner: Wir müssen uns sicher keine Sorgen machen; sehr wohl aber einen persönlichen Beitrag leisten für ein gutes Leben im Alter. Wir erreichen heute ein höheres Alter als alle Generationen vor uns und sind dabei gesünder, selbständiger und kompetenter. Diese steigende Lebenserwartung sollten wir deshalb als Gewinn betrachten. Gleichzeitig ist es eine Herausforderung für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft. Dazu zählt, alles zu tun, um möglichst gesund und kompetent ein hohes Lebensalter zu erreichen. Es gilt, dem Leben nicht nur mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben.
Menschen mit negativen Vorstellungen vom Alter altern weniger gut als Menschen, die eine positive Sicht auf das Alter haben. Das ist aber nicht so einfach. Wie erleben Sie das bei Ihrer Arbeit?
Das ist bei älteren Menschen gleich wie bei jüngeren: Positives Denken und eine optimistische Lebenshaltung stärken grundsätzlich das Wohlbefinden und geben Kraft. Wir müssen aber auch anerkennen, dass unsere Heimbewohner mit ihrer ganz persönlichen Lebensgeschichte zu uns in die Seniorenheime kommen. Unsere Aufgabe ist es, diese Individualität aufzunehmen und mit einem differenzierten Angebot, die Kompetenzen der Senioren so zu stimulieren, dass sie am sozialen Leben und an der Gemeinschaft teilhaben lässt.
Die Kosten für die Pflege steigen und die Finanzierung aus dem Landeshaushalt kommt an ihre Grenzen. Es gibt solche und solche Pflegeheime, und je mehr Geld jemand zur Verfügung hat, um sich eine Pflege zu leisten, der scheint am besten dran zu sein, das zumindest denken viele Menschen. Können Sie diese Skepsis verstehen?
Es ist eine Skepsis, die unbegründet ist. Wir sind in Südtirol in der glücklichen Lage, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, dass die Pflegekosten von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Das heißt, dass die Pflege für alle gesichert und kostenmäßig abgedeckt ist, da die Pflegekosten für den Heimbewohner direkt vom Land über den sogenannten Einheitsbetrag an das Seniorenheim ausbezahlt werden. Dem Heimbewohner wird hingegen nur der festgelegte Grundtarif in Rechnung gestellt, der für Unterkunft und Verpflegung im Seniorenheim zu bezahlen ist. Die Höhe des Grundtarifs variiert dabei von Heim zu Heim; im Durchschnitt beträgt dieser pro Tag 53,49 Euro im Doppelzimmer.
Viele glauben auch, dass es ihnen im Alter schwerfallen wird, ihre Pflege zu finanzieren. In welcher Höhe können wir Zuzahlungen von älteren Menschen erwarten?
Wie gesagt, niemand zahlt für die Pflege im Seniorenheim! Und auch die Begleichung des Grundtarifs hängt von den individuellen finanziellen Möglichkeiten und Vermögenswerten eines jeden Heimbewohners ab. Reichen Einkommen und Vermögen nicht aus, werden die Kinder zur Bezahlung herangezogen. Reicht auch deren Einkommen nicht aus, übernimmt die Wohnsitzgemeinde der Heimbewohnerin bzw. des Heimbewohners den ungedeckten Teil. Das ist die derzeit gültige Regelung.
Brauchen wir eine Pflegeversicherung nach dem Vorbild der Zusatzrente, damit der Normalverdiener am Ende nicht zum Sozialfall wird?
Wir wissen, dass in Zukunft das Sozialsystem an seine Grenzen kommen wird. Deshalb ist meiner Meinung nach jeder gut beraten, bereits in jungen Jahren zu überlegen, auf welche Ressourcen er im Alter zurückgreifen kann. Dabei ist sicher eine Möglichkeit in einer privaten Pflegeversicherung zu sehen, um auch die eigenen Kinder von Zuzahlungen zu entlasten. Gerade für den Normalverdiener bzw. die Mittelschicht ist dies eine notwendige Überlegung. Der sozial Schwache hingegen wird auch in Zukunft vom sozialen Netz aufgefangen werden müssen.
Wie möchten ältere Menschen leben, wenn sie pflegebedürftig werden?
Für die meisten älteren Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, ist der Wunsch, weiterhin im Kreise der Familie leben zu können, groß. Wenn der Einzug in ein Seniorenheim notwendig wird, dann ist es sehr wichtig, an einem Ort zu leben, an dem sie Gemeinschaft erleben. Die Südtiroler Seniorenwohnheime tun alles, um den Bewohnern ein Leben zu bieten, das ihnen diese Nähe und Gemeinschaft ermöglicht. Aber der Heimbewohner wünscht sich auch Platz für den persönlichen Rückzug. Im Bemühen, diese Nähe und Distanz zu respektieren und zu gewähren, arbeiten die Seniorenheime täglich am Wohlergehen ihrer Heimbewohner.
Das größere Problem als das materielle ist, wie finden wir genügend Betreuung. Der Bedarf an Altenpflegern ist jetzt schon wahnsinnig groß. Wie kann man diesen Beruf attraktiver machen? Wie steht es um die Bemühungen, mehr Menschen für den Pflegeberuf zu gewinnen?
Ausbildung und Mitarbeitersicherung sind zurzeit die wichtigsten Themen für den Verband der Seniorenwohnheime Südtirols. Wenn wir die Pflege bedarfsgerecht aufrechterhalten wollen, brauchen wir in Südtirol in den nächsten 10 Jahren allein für die stationäre Seniorenbetreuung rund 2.300 bis 2.500 zusätzliche Vollzeit-Stellen. Um dies zu erreichen, braucht es zu den Angeboten der Landesfachschulen zusätzliche flexible Ausbildungsangebote. Wir haben mit unseren Partnern ein neues innovatives und duales Ausbildungsmodell ausgearbeitet und sind jetzt in der konkreten Umsetzung. Zudem laufen zurzeit die Vertragsverhandlungen im Bereichsabkommen für den Sozialbereich für die finanzielle Anerkennung der besonderen Erfordernisse in der stationären Pflege, wie es Nachtdienste, getrennte Dienste, Bereitschaftsdienste usw. sind. Damit wollen wir auch die Attraktivität des Pflegeberufs im Seniorenwohnheim wieder stärken und ihn als flexiblen, krisensicheren und familienfreundlichen Beruf sichtbar machen, bei dem auch gut Karriere gemacht werden kann. Ein großer Vorteil der Arbeit in den Seniorenwohnheimen ist auch die Nähe zum Wohnort.
Welche Eigenschaften sollten die Pflegenden mitbringen? Braucht es dazu eine „Akademisierung“ des Berufsbildes?
Der Pflegeberuf ist sehr vielseitig. Es ist ein verantwortungsvoller und wichtiger Beruf mit vielen verschiedenen Arbeitsmodellen. Es ist ein Arbeiten im Team, nahe am Menschen, das auch herausfordernd sein kann. Menschlichkeit, Empathie und Lust am Umgang mit älteren Menschen ist genauso wichtig wie fachliche Qualifikation. Doch nur mit Nachwuchskräften aus den klassischen Berufsausbildungen kann der Bedarf an Mitarbeitern in den Seniorenwohnheimen nicht gedeckt werden. Gerade deshalb setzen wir uns für die duale Form der Ausbildung ein, der die Mitarbeiter im Angestelltenverhältnis qualifiziert und sofort in die Praxis einbindet.
Das Ziel der Politik solle darin liegen, „die älteren Menschen von einer Last zu einer Ressource für die Gesellschaft zu machen und das volle Potenzial dieser Bevölkerungsgruppe zu aktivieren“, heißt es in einem Gesetzesentwurf zum aktiven Altern. Konkret, was müsste sich ändern?
Die älteren Menschen bringen einen reichen Erfahrungsschatz ein, den es sich lohnt, für das Allgemeinwohl zu nutzen. Wie schon eingangs gesagt, wir erreichen heute ein höheres Alter und viele davon gesünder, selbständiger und kompetenter als je zuvor. Es geht darum, den Gedanken des lebenslangen Lernens – und damit auch die Aktivierung einer lebenslangen Neugierde – auch tatsächlich auf die älteren Menschen auszudehnen. Davon profitieren alle und lassen den älteren Menschen aktiv und selbstbestimmt altern.
Thema Flüchtlingskrise: Sind die vielen Asylbewerber nicht auch eine Chance für die Pflegebranche sich personell besser aufzustellen?
Qualifiziertes Personal ist tatsächlich eine Chance. Jene, die bereits in der Ukraine in der Pflege tätig waren bzw. eine einschlägige Ausbildung mitbringen, konnten bereits in einigen Seniorenheimen mit befristetem Arbeitsvertrag eingestellt werden. Sobald wir mit der dualen Ausbildung zum Pflegehelfer, zur Pflegerin starten, können auch Quereinsteiger unabhängig von Alter oder bisheriger Tätigkeit das neue Angebot nutzen. In der Zwischenzeit ist sicher intensiv in das Erlernen der Sprache zu investieren und die Zeit dafür zu nutzen.
Zum Schluss, wie sehen Sie Ihr eigenes Altwerden? Was müssen wir heute tun, um die Altenpflege der Zukunft gut aufzustellen?
Nun, wenn ich an mein eigenes Altwerden denke, wünsche ich mir, dass es auch in Zukunft Menschen gibt, die sich für die Pflege und Betreuung von älteren Menschen begeistern. Es sind immer die Beziehungen, die ein Leben wertvoll machen. Deshalb müssen wir heute in die Menschen investieren, die sich morgen um die pflegebedürftigen Menschen kümmern. Flexibilität und Vielfalt in den Angeboten werden dabei sicher zu den Schlüsselbegriffen zählen.