Gedanken zum Pfingstfest von Prof. Paul Imhof, Theologe
Wer sich seit Wochen die Nachrichten über die Situation der Menschen in der Ukraine und die Verwüstungen im Land angeschaut und angehört hat, die durch den Angriffskrieg der russischen Regierung entstanden ist, kann kaum die Balance zwischen Betroffenheit und Besonnenheit halten. Wie viele Soldaten und Zivilisten müssen noch sterben? Überall auf der Welt haben Menschen unter den Kriegsfolgen zu leiden. Alle Waffen sind nur dazu da, um zu töten. Wie soll denn mit den Mitteln des Todes das Leben geschützt und der Friede garantiert werden? Wann kippt das Recht auf Verteidigung in das Unrecht, die kriegerische Eskalation voranzutreiben? Nicht nur Kriegsverbrecher, sondern auch Kriegstreiber sind keine Menschenfreunde. Was bleibt? Klage und Anklage.
Die Sprache ist nicht verräterisch, macht jedoch auf Probleme aufmerksam, die man im Getriebe des Alltags kaum wahrnimmt. Im Kontext von Herrschen und Dienen steht das Jesuswort: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterjochen und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein“.
Wo der Heilige Geist wirkt
Was im Deutschen mit „herrschen“ übersetzt wird, dafür gibt es im Griechischen zwei Wörter, nämlich „archein“und „kratein“. Letzteres wird verwendet, um Herrschaftsformen zum Ausdruck zu bringen. In der deutschen Sprache werden damit Wörter gebildet wie Plutokratie, Technokratie, Bürokratie, Demokratie und Autokratie. Ist der Reichtum, die Technik, die Verwaltung, das Volk oder ein autonomes Selbst das Herrschaftsprinzip? All diese, die Gesellschaft prägenden Herrschaftsstrukturen werden durch die Christokratie in Frage gestellt.
Die Basis für ein Wertesystem mit Zukunft könnte man Pneumokratie nennen. Wo der Heilige Geist die Welt der Aber-, Un- und Quälgeister durchschaubar macht, werden die wesentlichen Werte erkannt. Eine Wertehierarchie entsteht, in der sich Primär- und Sekundärtugenden voneinander unterscheiden lassen. Ordnung, Fleiß und Einsatz nennt man z.B. Sekundärtugenden, Friede, Liebe und Versöhnung hingegen Primärtugenden. Spirituelle Prozesse sind nötig, damit eine menschenfreundliche Politik gelingt.
Die Beziehung zu Gott nennt man Beten
Welche Aufgabe kommt der Theologie zu? Sie gibt Antwort auf die Frage nach dem Wesen Gottes. Wie mächtig und ohnmächtig ist er in der Schöpfung anwesend? Seine irdische Immanenz muss von seiner himmlischen Transzendenz unterschieden werden. Die Beziehung zu Gott nennt man Beten. Wer sich bewusst in das Wirkfeld Gottes stellt, findet genügend Inspiration, die Waffen des Geistes zu nutzen, um Frieden zu schaffen ohne Waffen, die Tod und Verderben bringen. Lügen und Propaganda sind zu entlarven und das Kriegsgeschrei zu unterbrechen. Zum Frieden gibt es keine vernünftige Alternative, auch wenn der Weg dorthin mit Blut und Tränen übersät ist. Jenseits von Recht und Unrecht fängt das Leben auf einer neuen Erde unter einem neuen Himmel an.
Gottesvergessenheit
Im 1. Jahrhundert n.Chr. tobte sich das Monster der römischen Staatsmacht aus. Die meisten Christinnen und Christen in der antiken Sklavenhaltergesellschaft leisteten geistigen, ethischen Widerstand gegen eine Welt, die mit Lügen und Intrigen, Gewalt und Korruption ihre Ordnungsvorstellungen immer wieder durchsetzen wollten. Die Legionen waren der militärische Arm des Imperium Romanum. Befehlsgewalt und Eroberung lauteten die Prinzipien. Wiederholt sich das Muster in Gesellschaften, deren Gottesvergessenheit die Basis für Rassismus und Nationalismus, Kapitalismus und Materialismus, Egoismus und Sexismus ist?
Wider den Chor der Kriegswilligen
Der Friede, das höchste Gut wird Interessen nachgeordnet, die unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit etc. nach mehr mörderischen Waffen schreien. Sanktionen (lat. sanctus, dt. heilig) werden von Institutionen verhängt, deren Scheinheiligkeit von Heiligkeit meilenweit entfernt ist. Nicht wenige Repräsentanten solcher Institutionen haben durch ihre Fehleinschätzungen dazu beigetragen, dass wir uns in der jetzigen Misere befinden. In den öffentlich-rechtlichen Medien kommen viele Spezialisten zu Wort, die Repräsentanten der Kirche und der christlichen Gemeinden hingegen werden nicht eingeladen. Vielleicht geschieht dies deshalb nicht, weil sie nicht in den Chor der Kriegswilligen einstimmen wollen? Oder schlimmer noch, weil die Konsequenzen, die sich aus dem Geist des Evangeliums, der österlichen Friedensbotschaft und dem pfingstlichen Kommunikationsereignis ergeben, nicht mehr vermittelt werden können. Stattdessen wird dem allgemeinen Mainstream nachgegeben. Fehlt nur noch, dass die Waffen wieder gesegnet werden.