Wer in Naturns vom Kreisverkehr der Hauptstraße vorbei an den Carabinieri und dem Weißen Kreuz in Richtung Etsch fährt, der befindet sich auf der Gustav-Flora-Straße – benannt nach einem vielseitigen Mann.
Am 23. August 1892 wurde Kronprinzessin Stephanie sehnsüchtig in Naturns erwartet. Die Tochter des belgischen Königs Leopold II. hatte es nicht leicht in ihrem Leben. Die Mutter zeigte wenig Zuneigung und ihr Vater war mit seinen Affären und Geschäften ausgelastet. Im Alter von 16 Jahren heiratete sie den österreichisch-ungarischen Thronfolger Rudolf. Die Ehe mit dem Sohn von Kaiser Franz Joseph und Elisabeth war arrangiert, aber zumindest in den ersten Jahren glücklich. Doch am Wiener Hof war sie unbeliebt und ihr Mann, mit dessen liberaler Einstellung sie immer weniger anfangen konnte, flüchtete sich in Liebschaften. Durch seinen Selbstmord 1889 in Mayerling wurde sie bereits 25-jährig Witwe. Wie ihre Schwiegermutter Sisi vermied sie es daraufhin, sich in Wien aufzuhalten und begann rastlos umherzureisen. Eine dieser Reisen brachte sie ins Burggrafenamt. Naturns hatte sich herausgeputzt, Flaggen- und Blumenschmuck gehörten dazu, ebenso eine Triumphpforte mit der Aufschrift „Willkommen“. Schon um 9 Uhr vormittags wurde der hohe Gast erwartet. Als man erfahren hatte, sie werde erst nach 12 Uhr eintreffen, verschwanden die Schaulustigen in die umliegenden Gasthäuser. Auch die Musiker in Tracht und mit weißen Federn auf den Hüten mussten einige Stunden überbrücken und zogen sich zum Adlerwirt zurück, um „ihren Ansatz mit Gerstensaft zu erleichtern“, wie es die „Meraner Zeitung“ formulierte. Eingeladen wurden sie vom großzügigen Postmeister Gustav Flora.
Gustav Maria Heinrich Flora wurde am 8. Dezember 1856 in Mals geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Wilhelm und dessen Ehefrau Kreszenz Kuen. Gustav kam nach Naturns, wo er als k.k. Postmeister arbeitete. Die Träger dieses Amtes, für das eine eigene Prüfung vorgesehen war, wurden mit einer typischen Uniform ausgestattet. Es lag in ihrer Verantwortung, alle Postgeschäfte abzuwickeln. Als, wie eingangs beschrieben, die Kronprinzessin einzutreffen schien, glühten die Drähte des Telegraphendienstes förmlich. Eine Zeitung berichtete, dass der „ohnehin übermäßig in Anspruch genommene Postbeamte […] schweißtriefend zwischen hochaufgehäuften Telegrammen am Taster“ saß. Bereits im Jahr zuvor hatte Gustav die zwölf Jahre jüngere Amalia Brummer geheiratet, eine Gastwirtstochter aus der Gemeinde Eben am Achensee in Nordtirol. In der Ehe wurden zwei Kinder geboren, allerdings in großem zeitlichen Abstand. Im Jahr nach der Hochzeit kam Tochter Crescentia Amalia Maria, genannt Zenza, zur Welt. Sie wird sich später mit einem Vinzenz Zipperle verehelichen. Erst zwanzig Jahre später, im Mai 1912, folgte Sohn Maximilian Gustav, der im Zuge der Option nach Deutschland auswanderte und erst 1951 wieder die italienische Staatsbürgerschaft erhielt. Gustav Flora war ein vielbeschäftigter Mann. Neben seiner Arbeit war er in der Gemeindepolitik aktiv, ebenso bei der Feuerwehr und der Sennereigenossenschaft. Er war Mitglied des Vorstandes der Raiffeisenkasse und über ein Jahrzehnt lang sogar dessen Obmann. Als Obstzüchter erhielt er die Silberne Staatsmedaille, für seine Verdienste um die Gemeinde das Goldene Verdienstkreuz und die Ehrenbürgerschaft. In den 1880er Jahren hatte er das Postwirtshaus gekauft, das er zu einem Hotel umbaute und durch ein eigenes Elektrizitätswerk mit elektrischem Licht versorgte. Er förderte den Fremdenverkehr und setzte sich für die Entsumpfung der an der Etsch liegenden Güter ein. Als er am 8. Jänner 1928 vom Gottesdienst nach Hause kam, klagte er seiner Frau über Unwohlsein. Ein aus dem gegenüberliegenden Haus kommender Arzt konnte ihm nicht mehr helfen und der Pfarrer schaffte es gerade noch herbeizueilen, um ihm die letzte Ölung zu spenden. Wenige Minuten darauf starb er. Drei Tage später – es wäre sein 37. Hochzeitstag gewesen – wird er von 16 Priestern, darunter drei Dekane, zu Grabe getragen.
Christian Zelger