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Die Sehnsucht nach der Gefahr

Dr. Eugen Guido Lammer (1863 - 1945)

Die meisten, die in Partschins an der Eugen-Lammer-Straße vorbeifahren, werden sich wahrscheinlich innerlich eingestehen müssen, dass ihnen der Name wenig sagt. Es könnte ein Dichter sein, ein Rennfahrer, ein Erfinder … Ein Grund mehr, diesen Straßennamen zu erhellen.

Am 25. Dezember 1893 ereignete sich am Großglockner ein tragisches Unglück. Die drei Wiener Touristen Ludwig Kohn, Siegmund Patzau und Robert Pick waren ohne Führer zur Besteigung des Berges aufgebrochen. Nach einem zehnstündigen Nachtmarsch von Kals aus erreichten sie die Stüdlhütte. Für eine Winterpartie ungenügend ausgerüstet, setzten sie ihren Weg am 26. zur Adlersruhe fort. Als sie am folgenden Tag nicht zurückgekommen waren, gingen die Kaiserführer auf die Suche. In der Erzherzog-Johann-Hütte fanden sie deren Schneereifen und Rucksäcke, und auf dem Rückweg die Leiche des Dr. Kohn – in liegender Stellung, am Arm noch ein Stück Seil, neben ihm seine Handschuhe. Die beiden anderen hingegen wurden drei Tage später von einer größeren Expedition an den steilen Firnhängen entdeckt. Die nur leichten Verletzungen ließen vermuten, dass sie durch den Absturz das Bewusstsein verloren hatten und erfroren.

Eine Woche darauf erschien in der „Neuen freien Presse“ ein Beitrag mit dem Titel „Der Dämon des Alpinismus“. Das Unglück sei eine Gelegenheit, die Vereine in die Verantwortung zu nehmen. Diese sollten unter ihren Mitgliedern gegen das „frevelhafte Spiel mit dem eigenen und fremden Leben“ vorgehen. Schuld an dieser „geistigen Epidemie“ seien touristische Publikationen über gewagte Hochtouren, die zur Nachahmung reizten. Besonders kritisiert wurde Eugen Lammer, weil er „bekanntlich der Erste war, der die führerlosen Hochtouren als die wahren Kraftproben touristischer Leistungsfähigkeit empfahl“. Seine Schilderungen seien geradezu eine „Verherrlichung der gefährlichen Ausschreitungen des Alpensports“. „Ich war mir klar, dass ich die Gefahr zur vierten Potenz erhob …“, wird er zitiert.

Der Namengeber der Partschinser Straße wurde als Eugen Adalbert Guido Lammer am 18. Juni 1863 im niederösterreichischen Rosenburg geboren. Seine Eltern Josef und Eugenia besaßen eine Papierfabrik. Die ersten Jahre verbrachte Eugen noch an seinem Geburtsort, danach – die Fabrik war in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten – übersiedelte die Familie nach Wien. Dort besuchte er das Gymnasium, studierte, wurde im Alter von nur 21 Jahren promoviert und widmete sich fortan dem Unterrichten. Seine Leidenschaft für das Bergsteigen zeigte sich schon früh. Einmal bekannte er: „Wer aber je schlürfen durfte den freien Geist der Höhen, der kann nimmer versinken in all der Gemeinheit dort unten.“ Für seine Anhänger war er ein Verfechter eines sauberen Stils. Für ihn selbst waren Berge Quellen der Selbsterfahrung. Besonders hervorgetan hatte er sich deshalb durch seine Alleingänge im Eis der Gletscherregionen. Künstliche Hilfsmittel lehnte er ab, lediglich Eispickel, Steigeisen, Bergseil, ein Wetterschutz und ein guter Rucksack seien nötig. Ihm gelangen einige Erstbesteigungen; um die Jahrhundertwende z. B. von mehreren Gipfeln in der Texelgruppe, die er durch seine Veröffentlichungen einem breiteren Publikum bekannt machte. Seine Aufsatzsammlung „Jungborn“, radikal und lebenshungrig im Nietzsche-Geist, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und entwickelte sich zum Kultbuch. Privat war er glücklich mit seiner Frau Paula Kienzl, mit der er zusammen drei Kinder hatte, Erika, Dora und Johann. Als die beiden Töchter nach Südamerika auswanderten, nahm das die Eltern sehr mit. Er starb am 2. Februar 1945 an einer Herzschwäche. Auf dem Friedhof im 14. Wiener Gemeindebezirk fand er seine letzte Ruhestätte.

Die in der „Neuen freien Presse“ abgedruckte Kritik an Lammer ließ dieser übrigens nicht auf sich sitzen und antwortete zwei Tage darauf mit einem geschliffenen Brief: Die Sehnsucht nach der Gefahr und nach deren Überwindung sei weder durch Nachahmung noch durch die touristische Literatur gezüchtet, sondern tief im Menschen verwurzelt.
Christian Zelger