Die Gemeinden Kuens und Riffian sind nicht nur auf der Verwaltungsebene mit dem gemeinsamen Rathaus in Riffian, sondern auch kulturell eng miteinander verbunden. Dennoch hat Kuens seine Identität bewahrt und kann, als flächenmäßig zwar kleinste Gemeinde Südtirols, auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken. Ein Gespräch mit Vizebürgermeisterin und Kulturreferentin Rosa Monika Laimer.
von Philipp Genetti
Frau Laimer, 2018 feierte Kuens ein besonderes Jubiläum.
2018 feierte Kuens das 1300-jährige Jubiläum seiner Erstnennung. Diese erfolgte um das Jahr 770 unter dem Namen „Cainina“ und stand im Zusammenhang mit der Niederschrift der Lebensgeschichte des Heiligen Korbinians, dem Bischof von Freising durch seinen späteren Nachfolger, dem gebürtigen Untermaiser Arbeo.
In welchem Zusammenhang stand diese erstmalige Erwähnung?
In der Lebensgeschichte des Heiligen Korbinian berichtet Arbeo von dessen zweiter Reise nach Rom, bei der Korbinian auf seiner Rückreise nach Freising um das Jahr 718 auf der Zenoburg festgehalten wurde. Von dort aus hätte er das damalige „Cainina“ entdeckt. Nach Freising zurückgekehrt richtete Korbinian an Herzog Grimoald von Baiern seinen Wunsch, ihm Cainina, das von ihm genannte „Land zwischen den zwei Bächen“, wie Korbinian es nannte zu kaufen, was um 721/722 geschah. Dazu muss man ergänzen, dass sich Kuens zwischen dem Finele- und dem Faltmaunbach erstreckt. Nach Korbinians Tod ging Cainina in den Besitz eines nahen Verwandten von Korbinian über, bevor es um 747/48 schließlich in den Besitz des Bistums von Freising und später in den Besitz des Kollegiatstifts St. Andrä in Freising überging. Diese Zugehörigkeit endete zwar im Zuge der Säkularisierung um das Jahr 1803, dürfte aber – neben den geografischen Gegebenheiten – mit dazu beigetragen haben, dass Kuens bis heute eine selbstständige Gemeinde mit eigener Verwaltung geblieben ist. Dank des Einsatzes unseres tüchtigen Heimatpflegers Adolf Höllrigl werden die Kontakte zwischen Kuens und Freising nach wie durch regelmäßige gegenseitige Besuche lebendig gehalten.
„Kuens, das reizvolle Cainina“ lautet der Titel des Dorfbuches, das damals unter Federführung des Historikers Günther Kaufmann entstand. Sie haben auch mitgearbeitet.
An der Entstehung des Buches waren neben mir viele weitere historisch interessierte Kuenser beteiligt. Worüber ich mich sehr gefreut habe, war der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe, der mit jeder Herausforderung gewachsen ist und ohne den dieses Buch wohl nie erschienen wäre. Dass wir mit Günther Kaufmann einen beeindruckenden Kenner der frühmittelalterlichen Siedlungsgeschichte als Autor gewinnen konnten, empfinde ich noch immer als einen besonderen Glücksfall. Ein Höhepunkt war für mich, dass es uns im Zuge der Zusammenarbeit mit ihm endlich gelungen ist, Kontakt mit der Britischen Nationalbibliothek in London aufzunehmen, die in Besitz einer Abschrift der Urfassung der „Vita Corbiniani“ von Arbeo aus dem 9. Jahrhundert ist. Wir hatten lange vor Erscheinen dieses Buches versucht an die Textstelle mit dem Bezug auf unser Dorf „Cainina“ heranzukommen. Dieser Wunsch ging einige Tage vor Erscheinen des neuen Dorfbuches tatsächlich in Erfüllung. Die gesamte Aufarbeitung der Dorfgeschichte blieb somit spannend bis zur letzten Minute. Der Moment, in dem wir das erste Exemplar in den Händen hielten, war für alle eine große Freude.
Woran denken Sie gerne zurück, wenn Sie an das Jubiläumsjahr 2018 denken?
Es war mir von Anfang an ein besonderes Anliegen, so viele Dorfbewohner wie möglich in die Feierlichkeiten für die 1300- Jahr-Feierlichkeiten miteinzubinden. Die Ideen sollten in enger Zusammenarbeit mit den Vereinen und der Bevölkerung entwickelt und gemeinsam umgesetzt werden. Dass sich so viele Kuenser – die Vereine, die Bank, die Schule, der Kindergarten, die Gemeinde und viele Einzelpersonen auch aus der Nachbargemeinde – mit ihrem Wissen und ihrem Können eingebracht haben, hat mich ganz besonders gefreut. Das Ergebnis war ein vielfältiges Jubiläumsprogramm mit unterschiedlichsten Aktivitäten und Veranstaltungen. Zwei besondere Höhepunkte waren der Besuch des Erzbischofs von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx, und damit auch Nachfolger des heiligen Korbinian, der im August 2018 in der Pfarrkirche von Kuens eine Messe mit uns gestaltete sowie das Hoffest beim Hütter-Hof, bei dem auch der Oberbürgermeister von Freising, Tobias Eschenbacher, mit dabei war. Das sind Erinnerungen, die bleiben.
Die Gemeinde erlebte in den 1970/80er Jahren einen besonderen Aufschwung. Inwiefern?
In Kuens ist die Landwirtschaft seit jeher eine tragende Säule der Wirtschaft. Wenn früher Acker- und Weinanbau betrieben wurden, spielt heute der Obstanbau eine wichtigere Rolle. Einige höher gelegene Bauernhöfe betreiben nach wie vor auch Viehzucht. In den 1970er Jahren erlebte das Dorf vor allem durch das Aufkommen des Fremdenverkehrs einen großen Aufschwung. Heute befinden sich in der Gemeinde vor allem Ferienwohnungen.
Wie steht es um die Beschäftigung im Dorf?
Neben der Landwirtschaft und dem Fremdenverkehr bietet Kuens vor allem Arbeitsplätze in der örtlichen Grundschule und dem Kindergarten. Beide sind in einem modernen Gemeinschaftsbau untergebracht, der 2009 fertiggestellt wurde. Besonders interessant ist die Bildungseinrichtung durch ihr Angebot einer Nachmittagsbetreuung, durch die wir versuchen, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegenzukommen. Die Mittelschule besuchen die meisten Kuenser Kinder und Jugendlichen hingegen in Obermais.
Wie ist die Nahversorgung in der Gemeinde?
Die nächsten Lebensmittelgeschäfte befinden sich in Riffian. Wer in eine Apotheke muss, fährt nach Meran oder nach Dorf Tirol. Arztambulatorien befinden sich in Dorf Tirol und in Riffian.
Im August wurde der erweiterte Friedhof bei der Pfarrkirche den Heiligen Mauritius und Korbinian geweiht.
Die Erweiterung des Friedhofes war für die Gemeindeverwaltung eine absolute Notwendigkeit, da der bereits bestehende Friedhof nicht mehr ausreichend Platz für Bestattungen bot. Die Erweiterung umfasst 37 Grabfelder, 27 Urnengräber, eine Grünfläche zur Verstreuung der Asche, eine Toilette, zwei Autostellplätze und ein Lager im Untergeschoss. Nachdem die Gemeinde Kuens 2017 eine Studie zur Nordausrichtung des Zubaus in Auftrag gegeben hatten, erhielt das Architektenkollektiv um Manfred Rauch, Christoph Gapp und Theodor Gallmetzer den Zuschlag für die Planung. 2021 wurde das Projekt eingereicht und 2022 erfolgte die Ausschreibung der Arbeiten, die im Mai dieses Jahres schlussendlich vergeben wurden. Besonderen Wert legte die Gemeindeverwaltung auf die Beauftragung von Firmen aus der näheren Umgebung und die Verwendung von einheimischen Materialien. So stammen die Steine und der Marmor aus dem Passeiertal.
Die ältesten archäologischen Funde einer Siedlung auf Kuenser Gemeindegebiet gehen vermutlich auf eine erste Rätersiedlung zurück. Eine Ausstellung in der Raika dokumentiert dies.
Die Erstnennung eines Ortes bedeutet nicht zwangsläufig, dass er um diese Zeit erstmals besiedelt wurde. Bei Grabungsarbeiten, die im Zuge der Errichtung von Wohnbauten in den Jahren 2006 bis 2008 in der Zone „Fraubaum“ oberhalb des Kuenser-Hofes durchgeführt wurden, fand man rätische Keramikbruchstücke, Hangterrassierungen und Hütten- sowie Hausreste, Fibeln und eine Runggel aus Eisen. Diese Funde geben Anlass zur Vermutung, dass die ersten Siedlungen auf Kuenser Gemeindegebiet bis ins 13. Jahrhundert vor Christus zurück reichen. Die Ausstellung in den Räumlichkeiten der Raiffeisenkasse wurde vom Bildungsausschuss Riffian-Kuens initiiert und zeigt außerdem auch einige Exponate aus den rätischen Siedlungen vom Burgstall und Außermoar in Riffian.
Wie wichtig ist Ihnen als Vizebürgermeisterin und Kulturreferentin von Kuens die Sensibilisierung für die historische Entwicklung Ihrer Gemeinde?
Der Blick in die Geschichte kann, so finde ich, zu einem besseren Verständnis der Gegenwart führen und zeigt auf, an welchem Punkt sich eine Gesellschaft, aber auch eine Einzelperson befindet. Ein Blick in die Kuenser Geschichte lässt uns erahnen, mit welcher Mühe unsere Vorfahren ihr Dorf aufgebaut und zusammengehalten haben. Dafür gebührt ihnen unsere Wertschätzung. Damit Kuens sich heute als Gemeinschaft erleben und weiterentwickeln kann, sollten auch wir Verantwortung übernehmen. Unsere Aufgabe ist es uns einzubringen und mitzugestalten, Traditionen aufrechtzuerhalten und moderne Entwicklungen zuzulassen sowie darauf zu achten, dass unser Ort ein liebenswerter bleibt. Als Kulturreferentin bin ich froh, dass in Kuens sehr viele Bewohner das Dorfleben mit ihren Fähigkeiten und mit ihrem Können bereichern. Solange man das von einem Dorf sagen kann, muss man sich – denke ich – keine Gedanken über seine Zukunft machen.