Die Tatsache, dass die meisten Sterneköche Männer sind, stimmt ebenso nachdenklich wie die Tatsache, dass die Mehrheit der bekannten Künstler und Musiker Männer sind. Dabei assoziieren wir mit Kunst stereotypisch Merkmale, die mehr Frauen zugeschrieben werden. Eine Ausstellung im Palais Mamming Museum zeigt erstmals Frauen, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten in Meran künstlerisch tätig waren.
von Josef Prantl
„Müssen Frauen nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu kommen?“ Mehr als 30 Jahre ist es her, dass eine legendär gewordene Kunstaktion der „Guerilla Girls“ durch die öffentlich gestellte Frage darauf hingewiesen hat, dass es wahrscheinlicher ist, als Aktstudie im US-Museum vorzukommen denn als Künstlerin.
Die Kunstgeschichte ist männlich
Die Kunstgeschichte, wie wir sie kennen, besteht vor allem aus Erfolgsgeschichten von Männern. Frauen spielen ein Schattendasein. Reclams Künstlerlexikon führt rund 5000 Männer und gerade einmal 170 Frauen an. Über Jahrhunderte hinweg wurde Frauen die Aufnahme an Kunstakademien verweigert. In Meran wurde relativ früh, bereits 1905, der Meraner Künstlerbund – was für eine offene, moderne Stadt damals spricht – gegründet, und auffallend viele Frauen nahmen an den Ausstellungen teil, die der Verein organisierte, weiß Eva Gratl. „Heutzutage sind Frauen fraglos einflussreich wie nie zuvor“, bejaht die Kunsthistorikerin.
Immer öfter besetzen sie Führungspositionen in großen Museen und betreiben erfolgreiche Galerien. Namhafte Künstlerinnen wie Marina Abramović, Tracey Emin, Yayoi Kusama und Cindy Sherman haben gefeierte Einzelausstellungen auf der ganzen Welt und ihre Arbeiten erzielen hohe Preise.
Immer mehr Frauen schaffen es auf die Power 100-Liste der Zeitschrift „Artreview“, die jährlich die 100 einflussreichsten Personen der internationalen Kunstszene erfasst. Aber diese Erfolgsgeschichten sind die Ausnahme, nicht die Regel.
Selbstbewusste, emanzipierte Frauen
Künstlerinnen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken – das ist auch das Ziel der Sonderausstellung „Woman in Art“, die noch bis Ende September im Meraner Stadtmuseum Palais Mamming zu sehen ist. „Die Geschichte vieler Künstlerinnen der vergangenen Jahrhunderte ist eine des Vergessens“, sagt Eva Gratl. „Deshalb widmet sich die Ausstellung ausschließlich Künstlerinnen, welche in unterschiedlicher Weise der Passerstadt verbunden waren“, erklärt die Bozner Kunsthistorikerin, die zusammen mit der Meraner Historikerin Rosanna Pruccoli die Sonderausstellung vorbereitet hat. Es handelt sich um Künstlerinnen, die im 19. und 20. Jahrhundert in Meran lebten oder die Stadt für kurz oder länger besuchten. Einige wählten die Kurstadt aufgrund gesundheitlicher Gründe als zeitweiligen Aufenthalt, während andere auf der Durchreise waren. Wieder andere sind hier geboren, mussten die Stadt aufgrund historischer Ereignisse bzw. aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit verlassen. Insgesamt werden Werke von 17 Künstlerinnen ausgestellt. „Die Kunst dieser Frauen stellt ein Stück Emanzipationsgeschichte dar“, sagt Rosanna Pruccoli, „sie waren für ihre Zeit starke selbstbewusste Frauen, keine von ihnen betrieb Kunst nur nebenbei.“
Kunststadt Meran
Meran war um die Jahrhundertwende nicht nur als Kurstadt gefragt, sondern zog auch viele Künstler an. Gabriele Münter hielt sich 1908 drei wochenlang mit Wassily Kandinksy in Lana auf. Ihr Ölbild „Baumblüte in Lana“ erinnert daran. Während Kandinsky in die Kunstgeschichte einging, stand seine Lebensgefährtin lange Zeit im Schatten ihres zeitweiligen Partners.
Die Hamburgerin Ellen Tornquist (1871 – 1943) kam 1905 in die Kurstadt. Hier gründete sie eine Malschule und war im Künstlerbund tätig. Ihr großformatiges Bild „Vorfrühling in Greifenberg am Ammersee“ hätte man einer Frau damals kaum zugetraut und es kann sich mit einem Leo Putz durchaus messen“, so Eva Gratl. Ein Hingucker ist ihr Stillleben mit Zirkusspielzeug. In der „Villa Freischütz“ in Obermais wurde ihr mittlerweile ein kleines Museum eingerichtet, 2021 widmete man ihr auch eine Sonderausstellung. 1944 kam die Künstlerin bei einem Luftangriff in Graz ums Leben. Auf Durchreise mit Zwischenstopp in Meran war Emilie Mediz Pelikan (1861 – 1908). Dabei entstanden zwei Bilder von Meran (1889). „Eine Sensation“, bezeichnet Eva Gratl das großformatige Ölbild „Erinnerung am Mittelberg“, eine Leihgabe der Sammlung Messner Mountain Museum, das in der Ausstellung gezeigt wird.
Die Vergessenen
Ada von der Planitz (1880 – 1936): Sie ist waschechte Meranerin und eine Wiederentdeckung, freuen sich Pruccoli und Gratl. Mit dem Namen Planitz ist in Meran der Planitz-Park verbunden, wo einst der Vater, Arthur von der Planitz, ein „Märchenschlösschen“ mit Garten erbauen ließ, welches Ada und ihr Bruder, ebenso Maler, bewohnten. Heute steht dort ein Mehrfamilienhaus, das wenig vom Charme des alten Gebäudes besitzt. Als Malerin und Schriftstellerin engagierte sich Ada im Meraner Künstlerbund, deren Gründungsmitglied sie war und der 1908 bereits 77 Mitglieder hatte. Maria Radio von Radiis (1877 – 1941) ist die Tochter der jüdischen Kaufmannsfamilie Freudenfels, welche aus Tschechien nach Meran gezogen war und maßgeblich zum Aufstieg der Kurstadt beitrug. Maria heiratete Karl Radio von Radiis, der unter dem Faschismus Abgeordneter im italienischen Parlament war. Marias Vater, Sigmund Freudenfels, hatte schloss Baslan in Tscherms erbauen lassen – ein Umbau des Unterschöpferhofes –, wo die Familie lebte. Ihre Bilder signierte die Künstlerin selten. Nach dem Tod ihres Mannes 1929 lebte sie zurückgezogen und voll Angst deportiert zu werden.
Jüdische Schicksale
Ilka Révai (1873 – 1945) stammt aus Székesfehérvár in Ungarn. Sie war eine bekannte jüdische Kunstfotografin, welche ab 1911 in Meran einige Jahre ein Atelier führte. Ihr Leben endete tragisch. Nach der Rückkehr von Paris nach Budapest verschwand sie 1944 spurlos, wahrscheinlich kam sie im Ghetto von Budapest um.
Aliza Mandels (1927 – 2007) Leben ist geprägt von Flucht und Vertreibung. Ihr Schicksal steht stellvertretend für das vieler Juden auch in Meran. In Eger geboren, verbringt sie dort bis zum Einmarsch Hitlers in die Tschechoslowakei ihre Kindheit. Die Familie begibt sich nach Meran, wo der Vater als Juwelier und Uhrmacher arbeitet und sie das Institut der Englischen Fräulein besucht. Aufgrund der Rassengesetze wird sie aus der Schule ausgewiesen, die Familie muss 1938 Meran verlassen, zieht nach Verona und versteckt sich anschließend in Cortona. Nach der Befreiung durch die Alliierten flüchtet sie mit ihrer Schwester nach Rom und besteigt schließlich ein Schiff nach Palästina. Es folgen Stationen in den USA, 1990 kehrte sie nach Meran zurück und bleibt dort bis zu ihrem Lebensende. Als Weltenbürgerin, wie es auch Dorothy Shakespear Pound eine war, bezeichnet sie Eva Gratl. Umfang- und facettenreich ist ihr künstlerisches Schaffen, im Mamming ist ihr vierteiliges beeindruckendes Werk „Tierra Roja“ aus dem Jahr 1978 zu sehen.
Weltbürgerinnen
Die Britin Dorothy Shakespear war die Frau von Ezra Pound, der weltberühmte amerikanische Lyriker, der seinen Lebensabend auf der Brunnenburg bei seiner Tochter Mary de Rachewiltz verbrachte. Dorothy lebte eine Zeitlang mit Pound auch dort, zog sich dann aber nach England zurück. Viele Bilder von ihr sind heute im Besitz der Brunnenburg.
Die älteste Künstlerin der Ausstellung ist Johanna von Isser Großrubatscher (1802 -1880). Sie ist als Burgenzeichnerin bekannt. Ihre rund 400 Zeichnungen von Burgen und Schlössern wurden die Grundlage für die Tiroler Burgenforschung und Denkmalpflege.
17 starke Frauen
Starken Frauen, Künstlerinnen, die den Männern in Nichts nachstehen, alle mit Verbindung zu Meran, ist die Ausstellung gewidmet: Johanna Maximiliana von Isser Großrubatscher, Emilie Mediz-Pelikan, Lila Gruner, Ellen Tornquist, Ilka Révai, Frieda Riss, Maria Radio von Radiis, Ada von der Planitz, Dorothy Shakespeare, Anni Egösi, Liselotte Plangger Popp, Aliza Mandel, Regina Klaber Thuseck, Elfi Widmoser, Franca Gritti, Rina Riva, – sie alle treten aus dem Schatten heraus.
Die Vizepräsidentin des Südtiroler Künstlerbundes Eva Gratl studierte Geschichte und Kunstgeschichte. Als Kulturpublizistin, Autorin und Kuratorin von Ausstellungen ist sie dem breiten Publikum bekannt. Gemeinsam mit der Meraner Publizistin und Historikerin Rosanna Pruccoli hat sie die Sonderausstellung „Women in Art – Künstlerinnen in Meran im 19. und 20. Jahrhundert“ kuratiert. Für die besondere Ausstellungsarchitektur ist die Meraner Künstlerin Elisabeth Hölzl verantwortlich.
Die BAZ sprach mit Eva Gratl über die Ausstellung und die Rolle der Frau in der Welt der Kunst.
Wie kamen Sie auf die Idee, eine Ausstellung über Künstlerinnen in Meran in den vergangenen zwei Jahrhunderten auf die Beine zu stellen? Kunst war lange Zeit eigentlich reine Männersache?
Eva Gratl: Die Anregung geht auf das Amt für Chancengleichheit, Bildung und Kultur der Gemeinde Meran zurück, welches bereits in den letzten Jahren ein umfassendes Programm für den 8. März, den Tag der Frau, initiiert hat. Es waren die engagierten Frauen des Amtes, welche die Initialzündung gaben. In Zusammenarbeit mit dem Palais Mamming Museum beschloss man, eine Ausstellung den zum Teil vergessenen Künstlerinnen, welche mit Meran und der Umgebung verbunden sind, zu widmen. Das ist ein spannendes Thema, denn Kunst und Biografien gehen hier eine besondere Symbiose ein. Es waren zu diesem Anlass auch drei Frauen, Rosanna Pruccoli, Elisabeth Hölzl und ich, welche beauftragt wurden, die Ausstellung zu kuratieren.
Welche der 17 Künstlerinnen, die in der Ausstellung gezeigt werden, hat Sie besonders berührt?
Das ist nicht leicht zu beantworten. Manche Schicksale berühren, weil die Frauen ganz in der Versenkung verschwanden, in der Ausstellung sind es die „Geschichten des Vergessens“ und die „Jüdischen Schicksale“. Es gibt so viele ungemein spannende Positionen, Biografien, die nahegehen, vor allem aber sehr selbstbewusste Frauen, welche Kunst nicht nebenbei betrieben. Sie organisierten Malschulen, nahmen an Ausstellungen teil, hatten gleichberechtigte Beziehungen, tauschten sich aus. Beeindruckend sind sicher die Werke von Maria Radio von Radiis, geborene Freudenfels, welche Schloss Baslan in Tscherms bewohnte und schon damals von Josef Garber, dem bekannten Priester und Denkmalspfleger, den Auftrag erhielt für die Kirche in Tscherms die Kreuzwegstationen (1933) und das große Kreuzigungsbild (1920) in der Friedhofskapelle zu malen. Ihre autonomen Werke, wie die Frau mit Sonnenschirm, unterstreichen das außerordentliche Talent. Beeindruckend ist sicher das große Bild von Emilie Mediz Pelikan, auch die Werke von Ellen Tornquist zeugen von der ungemein großen Begabung dieser Frauen. Ich würde aber sagen, alle Positionen, jede einzelne für sich, sind beeindruckend, auch die abstrakten Werke von Franca Ghitti und Rina Riva.
Wer ist die älteste, wer die jüngste der Künstlerinnen und in welchem Zusammenhang stehen sie zu Meran?
Elfi Widmoser, die sicher noch viele kennen, starb 2021. Sie ist eng mit Meran verbunden, war aktiv im Südtiroler Künstlerbund tätig, und zeigt an den Werken mit dem melancholischen Grundton ihre besondere Beziehung zur Landschaft und Natur. Aus dem 19. Jahrhundert präsentieren wir in der Schau Johanna von Isser Großrubatscher (1802 – 1880), eine Künstlerin aus der Zeit der Spätromantik, welche in Meran ihre Ausbildung erhalten hatte. Sie ist mit ihrem Lebenswerk, den Burgenzeichnungen, eine Ausnahmeerscheinung und ein Ausnahmetalent.
Malen Frauen anders als Männer? Wählen sie andere Motive bzw. was bekommen wir in der Ausstellung zu sehen?
Das Spannende an der Schau ist, dass diese Künstlerinnen sich überhaupt nicht von ihren männlichen Kollegen unterscheiden. Das ist nicht „Frauenkunst“. Wenn man die Porträts von Walfrieda Riss, die Hochgebirgsmalereien von Ada von der Planitz, die großen Formate von Emilie Mediz Pelikan und Ellen Tornquist betrachtet, die abstrakten Werke von Rina Riva, Gina Klaber Thusek, die weiten Landschaften von Aliza Mandel: Alle diese Künstlerinnen zeigen – Kunst kennt kein Geschlecht.
Waren die ausgestellten Künstlerinnen zu ihrer Zeit anerkannt oder wurden sie als „Malweibchen“ abgetan?
Sehr wohl waren viele zu ihren Zeiten sehr anerkannt. Ilka Révai war in Ungarn eine bedeutende Fotografin, Lila Gruner war ab 1910 Mitglied und Schriftführerin der Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreichs, Rina Riva Leiterin des Instituts für Kunstgrafik in Meran, Mediz Pelikan nahm zu Beginn des Jahrhunderts an zahlreichen Ausstellungen in Wien und Dresden teil.
Franca Ghitti war eine anerkannte Bildhauerin, Dorothy Shakespear Pound war eine der wenigen Frauen, welche der künstlerischen Richtung des Vortizismus angehörte und für die Zeitschrift „Blast“ arbeitete.
Georg Baselitz, der zur Spitze der internationalen Kunstszene zählt, hat 2013 in einem Interview mit dem „Spiegel“ gesagt, Frauen würden nicht so gut malen, das sei ein Fakt. Was entgegnen Sie diesem Urteil?
Das würde ich nicht gerne kommentieren, das ist wohl ein veraltetes Frauenbild. Wie der bekannte Künstler zu dieser Behauptung kommt, verstehe ich nicht, wohl aber ist es eine Tatsache, dass Frauen oft weniger Anerkennung fanden. Aber wer die zeitgenössische Kunstszene betrachtet, erkennt: Die Zeiten haben sich geändert. Gabriele Münter, die lange Zeit im Schatten ihres zeitweiligen Partners Wassily Kandinsky stand, bringt es auf den Punkt: „Ich komme mir leicht „wenig“ vor, war uneitel, betrieb kein Ego-Marketing“. Ich lade den Künstler Baselitz gerne ein, so kann er sich von den Talenten dieser Künstlerinnen überzeugen.
Es ist Tatsache, dass Frauen in der Kunstgeschichte ein Schattendasein führen. Welche sind die Gründe?
„Der Kanon der Kunstgeschichte ist eigentlich ein Herrschaftsinstrument und drückt auch eine bestimmte Gesellschaftsform und eine herrschende Ideologie aus“, sagt ein Mann, der Kunsthistoriker Christian Saehrendt. Lange Zeit standen begabte Künstlerinnen im Schatten der Männer, denn sie hatten ja keinen Zugang zu den Akademien, waren oft Schülerinnen bekannter Meister, wurden als Musen abgetan, oft gaben sie die Künstlerkarriere mit der Heirat auf, besonders krass ist es oft bei Künstlerpaaren. Ein Beispiel: Lee Krasner, die Partnerin von Jackson Pollock sagte: „Ich habe vor Pollock, während Pollock und nach Pollock gemalt,“ und doch war sie lange Zeit nur als seine Witwe bekannt. Gott sei dank gibt es jetzt viele Ausstellungen, welche die Frauen ans Licht holen. Auch politische Aspekte sind oft zu berücksichtigen: Durch die Herrschaft der Nationalsozialisten wurde der emanzipatorische Aufbruch der frühen Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts gestoppt.
Wie sieht es heute mit den Frauen in der Kunst aus? Sind sie den Männern gleichgestellt?
Wir sehen, dass sich die Zeiten geändert haben: Der Südtiroler Künstlerbund ist ein gutes Beispiel: Wer sich die Liste der Mitglieder anschaut, erkennt, wie viele erfolgreiche Künstlerinnen es gibt. Auch International gibt es eine überaus anerkennte junge Generation von weiblichen Kunstschaffenden. Die Rankings der einflussreichsten Künstler listen viele Frauen auf.
Wie sind Sie zur Kunst gekommen und welche Bedeutung hat sie in Ihrem Leben?
Oft sind es einfach bestimmte Faktoren, die einen Weg vorzeichnen. Meine Mutter war eine Kunstliebhaberin, ich hatte vor allem auch Lehrer und Lehrerinnen, welche das Interesse geweckt haben. Ein Buch des Kunsthistorikers Jean Christophe Amman trägt den Titel „Das Glück zu sehen“ … dieser Satz bringt es auf den Punkt, was Kunst in meinem Leben bedeutet.