Südtirol wird immer mehr zum Land der Tüftler und Erfinder. Nirgendwo sonst in Italien werden jährlich so viele Patente angemeldet wie in Südtirol. Alpitronic hat sich in wenigen
Jahren vom Südtiroler Start-up zum europäischen Marktführer für Hypercharger in der Elektromobilität entwickelt. Auch andere junge Köpfe denken groß und wollen es ihnen gleichtun.
von Josef Prantl
Vom Golfplatz zur Intralogistik – E-Kargo:
Ursprünglich vom Meraner Stefan Berlanda erdacht, um am Golfplatz bequem zum nächsten Abschlag zu gelangen, hat der „Wodcar“ mittlerweile einen festen Platz in der Intralogistik großer Unternehmen gefunden. Der Name „Wodcar“ leitet sich von „Walk Or Drive“ ab, da das Fahrzeug sowohl gefahren als auch gehend begleitet werden kann. Der kompakte Elektrotransporter (120 cm x 80 cm) wird in Meran gebaut, passt in alle gängigen Lieferwagen und Aufzüge und kann für Transporte auf der sogenannten „letzten Meile“ eingesetzt werden. Unterstützt wird Berlanda von Klaus Giovannini (vielen bekannt als ehemaliger Chef der Fahrschule „Klaus“) und Hanno Pardatscher, der nach seinem Maschinenbaustudium und Assistentenjahren an der Technischen Universität Graz nach Meran zurückgekehrt ist und im Atelier „Labers 12“ an der Weiterentwicklung des innovativen Fahrzeugs tüftelt.
Innovation und Kreativität im Meraner MIND
Nicht nur in den Metropolen unserer Welt, auch in der Peripherie entwickelt sich langsam eine Szene von motivierten Start-upern, die tolle Ideen haben und diese auch umsetzen wollen. Zum Beispiel im MIND: In der ehemaligen Lagerhalle unter der Haupttribüne des Pferderennplatzes ist ein moderner Dreh- und Angelpunkt für Start-ups, Unternehmen, Schulen und innovationsfreudige Menschen entstanden. Innovation und Kreativität geben hier den Ton an. Bereits ein Jahr nach seiner Gründung hat das MIND zahlreiche Initiativen umgesetzt, Workshops für Schulen sowie Veranstaltungen und Kurse für Unternehmen und interessierte Bürgerinnen und Bürger organisiert. Es kooperiert mit anderen Einrichtungen wie dem NOI-Techpark und dem Verein BASIS Vinschgau. Heute zählt die Community 170 Mitglieder, von denen 41 den Arbeitsplatz im Coworking Space nutzen oder in privaten Büros dort arbeiten.
Vom Start-up zum erfolgreichen Unternehmen
Einer, dem dies gelungen ist, ist der ehemalige Schüler des Meraner Realgymnasiums, Stefan Raffeiner. Sein digitales Klassenbuch ist heute in den meisten Schulen Südtirols im Einsatz. Angefangen hat alles am Meraner Realgymnasium und auf Initiative des damaligen Direktors Franz Josef Oberstaller. Mit „Teachino“, einem KI-basierten Tool, das Lehrerinnen und Lehrer bei der Unterrichtsvorbereitung unterstützt, konnte Raffeiner kürzlich den Abschluss einer siebenstelligen Finanzierungsrunde verkünden. Hauptinvestor ist neben Südtiroler Investoren die Klett-Gruppe, einer der größten Schulbuchverlage und Bildungsanbieter Europas mit über 90 Tochtergesellschaften in 23 Ländern (u.a. auch PONS und Langenscheidt). „Es freut mich persönlich sehr, auch mehrere Südtiroler Investoren im Boot zu haben. Mit Klett haben wir zudem einen strategischen Partner gefunden, der im Bildungsbereich bestens vernetzt ist“, sagt Raffeiner. Mit dem neuen Kapital will das Start-up die Forschung und Entwicklung rund um die KI-Unterstützung für Lehrerinnen und Lehrer intensivieren.
Ein kluger Kopf ist auch David Plaseller. Der Dorf Tiroler hat gemeinsam mit dem Nordtiroler Patrick Gössl eine Plattform entwickelt, die die Entsorgung von Bauschutt schneller, transparenter und günstiger macht. Immerhin macht Bauschutt mehr als 30 Prozent des europäischen Abfallaufkommens aus, doch der Entsorgungsprozess ist für Unternehmen der Baubranche kompliziert. 2021 gewann sein Start-up „revitalyze“ den Tiroler Innovationspreis, vor einem Jahr schaffte es das Start-up ins Finale des Umdasch-Forschungspreises.
Viele kluge Köpfe
Der Meraner Simon Sparber hat es mit „Angles 90“ geschafft und sein Start-up, das innovative Fitnessgeräte entwickelt, an ein finnisches Unternehmen verkauft. Mehr als 150.000 Produkte wurden seit der Gründung 2017 bereits weltweit verkauft, mehr als 85.000 Kundinnen und Kunden bedient, heißt es auf der Website von „Angles 90“. „Carlito“ ist eine innovative Plattform, „die das Gästeerlebnis verbessert, den Umsatz steigert und Hotelprozesse optimiert“, versprechen die Macher des Tools. Die vier jungen Meraner Jim Unterweger, Michael Hochkofler, Moritz Carrescia und Maximilian Torggler haben die Digitalisierungslücke in der Hotellerie erkannt und eine innovative Plattform entwickelt. „Virtual Reception“ beispielsweise organisiert die Gästekommunikation für Hoteliers: Dank des benutzerfreundlichen Chats kann auf Anfragen und Anliegen rasch reagiert werden. „Bookito“ hilft Hotels, alle internen Aktivitäten wie Massagen, SPA-Behandlungen oder geführte Wanderungen effizient und digital zu kommunizieren. Gäste können ihren Aufenthalt besser planen und alle internen Aktivitäten mit wenigen Klicks buchen. Die digitale Gästemappe ermöglicht es den Hotels, ihre Inhalte wie Formulare, QR-Codes und Links effizient zu verwalten. Die Bilanz nach drei Jahren: zwei Büros, zehn Mitarbeitende und eine erfolgreich abgeschlossene Investitionsrunde. „Lanatec“ nannte der Lananer Martin Margesin 2022 sein Unternehmen, das sich auf die Entwicklung modernster Lithium-Ionen-Batterietechnologie konzentriert. Nach zwei Jahren intensiver Entwicklungsarbeit hat Margesin einen vollelektrischen Allrounder für den alpinen Einsatz fertiggestellt, den der Südtiroler Schneekanonenhersteller TechnoAlpin nun unter dem neuen Firmennamen „xelom“ weltweit vertreibt.
„Atelier Labers 12“
Vorreiter der Idee einer „Creative Community“ sind Wolfram Pardatscher und Margit Klammer mit „Labers 12“, einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die zwar eigene Projekte verfolgen, aber Synergien und Kooperationen mit anderen Mitgliedern nutzen. Wolfram Pardatscher, Leiter der Abteilung Bau und technische Dienste der Stadtgemeinde, hat den so genannten „Business Incubator“ am Pferderennplatz geplant. Labers 12 ist seit jeher das Atelier von Margit Klammer. Die Künstlerin ist unter anderem für die fünf Pavillons und die Voliere in den Gärten von Schloss Trauttmansdorff bekannt. Sie gestaltete eine Ebene des Art Drive-in Parkhauses der Therme Meran, entwickelte das Corporate Design des Südtiroler Straßendienstes und entwarf die Platzgestaltung vor dem Salewa Headquarter in Bozen, für die sie in New York mit einem internationalen Architekturpreis ausgezeichnet wurde. Der große Kubus am Kreisverkehr an der Nordwesteinfahrt der MeBo in Meran stammt von ihr. Bekannt ist Margit Klammer auch für ihre Rosenkrone: 1984 noch als Dornenkrone von den Schützen beim Landesfestumzug durch Innsbruck getragen, schmückte Klammer das Symbol für den letzten Landesfestumzug mit 2009 Rosen. „Jede Rose ist ein Zeichen der Liebe zu unserem Land, auch wenn – wie jeder weiß – keine Rose ohne Dornen ist“, erklärte die Künstlerin.
Zwischen Wissenschaft und Kunst
Mittlerweile haben sich auch Hanno Pardatscher mit seiner eigenen Werkstatt sowie die Goldschmiedin Ruth Pinzger in Labers 12 niedergelassen, um dort neue Konzepte zu entwickeln und kreative Lösungen zu realisieren. Mitunter nutzt auch die wissenschaftliche Illustratorin Tatjana Hirschmugl die Räumlichkeiten, um neue Erkenntnisse aus dem Life-Science-Bereich bildhaft darzustellen. Dies ermöglicht ihren Kunden aus der Industrie und dem akademischen Umfeld komplexe Projekte visuell zugänglicher zu machen. Viele ihrer Arbeiten werden in renommierten Fachmagazinen veröffentlicht. Vor kurzem wurde sie auch von der Gemeinde Meran dazu beauftragt ein Projekt im öffentlichen Raum umzusetzen. An den Eingangstoren des neu eröffneten Flussparks nahe der Passer-Etsch-Mündung befinden sich von ihr gestaltete Infotafeln, welche faszinierende Einblicke in die lokale Gewässerökologie bieten.
Dass die Natur in ihrer Faszination und Schönheit unübertroffen bleibt und die beste Künstlerin ist, weiß auch Ruth Pinzger. Neue, zeitlose Designs, ungewöhnliche Materialien und viel Liebe zum Detail zeichnen ihren Schmuck aus. Sie arbeitet sehr umweltbewusst und verarbeitet hauptsächlich recycelte Materialien. Am liebsten verwendet sie Edelsteine aus Österreich oder Südtirol, die sie direkt von Mineraliensammlern kauft und zu Schmucksteinen schleifen lässt. Diamanten kauft sie ausschließlich aus konfliktfreien Quellen oder ersteigert sie auf Auktionen. Sie liebt es Familienerbstücke und alten Schmuck zeitgemäß zu interpretieren und individuell umzuarbeiten. Nachhaltiger Schmuck habe viele Facetten, sagt sie.
Start-ups gestalten die Zukunft
Die Welt der Start-ups ist in ständiger Bewegung. Mit Blick auf die Zukunft sind es vor allem Start-ups, die durch einzigartige Innovationen und Nachhaltigkeitsansätze das größte Wachstumspotenzial aufweisen. Start- ups bleiben für unsere Wirtschaft ein unersetzlicher Innovationsmotor. Start-up Themen mit mehr Priorität vorantreiben und sie zu fördern, ist daher Aufgabe und Herausforderung für die Politik.
MIND steht für „Meran.o Innovation District“. Ziel ist es auch, Start-ups, Unternehmen, Schulen und interessierte Bürger bei der Umsetzung kreativer Ideen zu unterstützen und zu fördern. MIND feierte kürzlich seinen ersten Geburtstag. Die BAZ sprach mit MIND-Pressereferentin Astrid Steinmair.
Astrid Steinmair: Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung des MIND in diesem ersten Jahr des Bestehens. Das Coworking und die privaten Büros sind sehr gut ausgelastet. Knapp 170 Mitglieder zählt die MIND-Community, davon nutzen 41 einen festen Arbeitsplatz im Coworking oder in privaten Büros und die restlichen andere Dienstleistungen des MIND, wie ein Start-up Package oder einen Flex Desk. Immer mehr Interessierte nehmen die Möglichkeit wahr, unsere Konferenz- und Veranstaltungsräume zu mieten. Ein wichtiges Standbein des MIND sind die Workshops für Schulen: 30 Workshops für über 500 teilnehmende Schülerinnen und Schüler wurden an den Schulen Merans und im Innovationslabor EduLab im MIND im vergangenen Schuljahr durchgeführt. Insgesamt kann man sagen, dass das MIND zu einem lebendigen Zentrum für Information und Austausch geworden ist, das die Innovationslandschaft Merans und darüber hinaus bereichert.
Welche Vorteile hat es für freiberufliche Kreative, sich in kooperativen Strukturen wie einem Co-Working Space oder einem Creative Hub zu organisieren?
Ein Coworking bietet die Möglichkeit, einen voll ausgestatteten Arbeitsplatz flexibel zu nutzen, ohne sich an langfristige Verträge binden zu müssen. Dies ist besonders vorteilhaft für diejenigen, die gerade erst starten und ihre Ausgaben minimieren müssen. Der Wechsel vom Home-Office in einen Coworking Space schafft eine klare Trennung zwischen Arbeit und Privatleben, man kann konzentrierter arbeiten und fühlt sich nicht isoliert.
Das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. In der Coworking-Community können Erfahrungen und Herausforderungen geteilt werden und neue Kooperationen und Wachstumsmöglichkeiten entstehen, auch durch das Angebot an Workshops, Vorträgen und Networking-Events. Diese bietet das MIND allen Interessierten kostenlos an.
Südtirol erlebt derzeit einen Start-up-Boom. Können Sie uns ein paar Beispiele nennen, die Sie persönlich beeindrucken?
Im Land entstehen sehr viele innovative Ideen und Unternehmen, die tolle Innovationen vorantreiben. Im Allgemeinen beeindruckt mich bei Gründerinnen und Gründern die Leidenschaft beim Voranbringen ihrer Idee, die letztendlich wohl auch für die nötige Willenskraft sorgt, in schwierigen Situationen durchzuhalten. Mir persönlich gefallen der „Boulderball“ und „Angles90“ sehr gut, da sie mit Sportarten zu tun haben, die ich selbst sehr gerne ausübe.
In welchen Branchen sind Start-ups bei uns derzeit besonders gefragt?
Der Trend zur zunehmenden Digitalisierung bringt mehr Startups in den Bereichen IT, Softwareentwicklung, Künstliche Intelligenz und digitale Dienstleistungen hervor. Ein Fokus in der Region liegt auf Nachhaltigkeit, was ein gutes Terrain für Unternehmen in den Bereichen Umwelttechnologien, Mobilität und Verkehr, aber auch an Tourismus- und Agrartechnologie bietet.
Was raten Sie Menschen, die eine Idee haben und ein Unternehmen gründen wollen?
Kontinuierlich an der Verwirklichung ihrer Vision festzuhalten, aber auch anpassungsfähig zu sein. Der Weg zum Erfolg ist oft steinig und es gilt, auf Misserfolge flexibel zu reagieren. Berufliche Netzwerke sind ebenso hilfreich wie die Nutzung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten, die hier im Land zahlreich angeboten werden. All jene, die innovative Ideen verwirklichen möchten, erhalten am Innovationsschalter im MIND unverbindlich Beratung über Förderungen, Vernetzungsmöglichkeiten, Mentoring und Weiterbildung. Um gezielt auch Frauen zu ermutigen, wurden vor ein paar Monaten die „Female Empowerment Hours“ ins Leben gerufen, eine Beratung von Frau zu Frau.
Woran scheitern Start-ups mit einer guten Geschäftsidee in den meisten Fällen?
In ihrer jüngsten Studie listet das Marktforschungsunternehmen CB Insights die 20 häufigsten Gründe für den Misserfolg von Start-ups auf. Bei 42 Prozent der 101 befragten Unternehmen sind dies fehlender Marktbedarf, gefolgt von unzureichender Finanzierung und Problemen im Gründungsteam. Auch ineffektives Marketing, Preisgestaltung und mangelnde Übereinstimmung mit den tatsächlichen Nutzeranforderungen sind vielfach verantwortlich für den fehlenden Durchbruch. Selten gibt es nur einen Grund für das Scheitern, und die Gründe sind je nach Branche und Unternehmen unterschiedlich. Eine gute Möglichkeit, bereits in einem frühen Stadium der Produktentwicklung herauszufinden, wie die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer auf das Produkt oder die Dienstleistung reagieren, ist das Product Testing, das wir regelmäßig veranstalten.
Wie geht es mit MIND weiter? Wo sehen Sie die Südtiroler Gründerszene in fünf bis zehn Jahren?
Es wird sicherlich weiterhin Unternehmensgründungen geben, insbesondere in technologischen und innovativen Bereichen. Wir hoffen jedoch auf eine höhere Überlebensrate dank verbesserter Rahmenbedingungen: bessere Services, mehr Investitionen für Start-ups und eine gestärkte Unternehmenskultur. Eigeninitiative und Unternehmertum werden bereits in jungen Menschen verstärkt gefördert, wie zahlreiche Schulprojekte im MIND zeigen. Gleichzeitig sollten wir aber auch offener werden: Nur ein Bruchteil aller Startups schafft den Durchbruch, doch das Scheitern einer Geschäftsidee oder eines Unternehmens sollte weniger als Tragödie als vielmehr als Lernprozess gesehen werden. Das MIND wird auch in Zukunft Unternehmen unterstützen, indem es die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren fördert und neue Chancen für die Wirtschaft und Gemeinschaft schafft. Großes Potential liegt auch in der Entwicklung des Innovationsdistrikts Meran.o, dem Innovationsviertel rund um den Untermaiser Bahnhof, das neben dem MIND das IDM, Alperia und das Militärareal umfasst.