Die Einführung einer „Sprachklasse“ an der Goethe-Schule in Bozen hat für hitzige Diskussionen gesorgt und die Emotionen landeweit hochgehen lassen. Auf den ersten Blick scheint es durchaus sinnvoll, Kinder ohne oder mit nur geringen Deutschkenntnissen in einer eigenen Klasse zu bündeln, um ihnen gezielt Sprachunterricht anzubieten. Gleichzeitig könnten die sogenannten deutschen Muttersprachler im regulären Unterricht besser gefördert werden, so die Argumentation.
von Josef Prantl
Doch nicht alle sehen diese Maßnahme positiv. „Es ist schrecklich,“ sagt Melena, eine Schülerin mit indischen Wurzeln, die in Südtirol geboren und aufgewachsen ist. Für sie führt die Idee der sogenannten Sonderklasse zu Ausgrenzung und Stigmatisierung. Sie plädiert für mehr kostengünstige Sprachkurse im ganzen Land sowohl für Schüler als auch deren Eltern. Die Schulen müssen mehr Ressourcen für Sprachförderung erhalten. Es braucht gute Lehrpersonen für Deutsch als Fremdsprachenunterricht.
Melena spricht fünf Sprachen fast fließend, ist sehr engagiert und eine erfolgreiche Schülerin. Trotzdem fühlt sie sich in unserer Gesellschaft oft nicht vollständig akzeptiert. „Ist es wegen meiner Hautfarbe?“, hat sie sich als Kind oft gefragt. Melenas Geschichte steht exemplarisch für das komplexe Thema Integration. Ihre Eltern kamen vor rund 20 Jahren aus Punjab nach Südtirol, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Melena hat viele Verwandte in Indien, die sie, wenn möglich, besucht. Doch das gestaltet sich oft als schwierig. Wenn man sie nach ihrer Identität fragt, beschreibt sie ihr Empfinden als „Identitätskrise“. Obwohl sie in Südtirol geboren ist, fühlt sie sich aufgrund ihrer Wurzeln nicht ganz zugehörig. In Indien hingegen wird sie häufig als „Europäerin“ wahrgenommen. „Es ist schon komisch, denn man sollte sich doch mit etwas identifizieren können“, sagt sie.
Multikulturelle Identität
Zu Hause spricht sie eine Mischung aus mehreren Sprachen: Deutsch, Englisch, Italienisch, Punjabi und Hindi. Diese sprachliche Vielfalt spiegelt ihre multikulturelle Identität wider und verdeutlicht die Herausforderungen, die mit dem Leben zwischen verschiedenen Kulturen einhergehen. Melena lebt somit in einer ständigen Wechselwirkung zwischen den beiden Welten, was ihre Identität sowohl bereichert als auch belastet. Es zeigt sich, dass Integration mehr ist als nur das Erlernen der Landessprache oder das Anpassen an gesellschaftliche Normen; es ist ein tiefgreifender Prozess des Suchens nach Zugehörigkeit und Selbstverständnis.
Südtirol verändert sich
Vor 25 Jahren dachte man bei der kulturellen und sprachlichen Vielfalt in Südtirol hauptsächlich an die drei Sprachgruppen: Deutsch, Italienisch und Ladinisch. Doch seit Mitte der 1990er Jahre hat sich das Bild stark gewandelt. Lebten vor 20 Jahren rund 16.000 Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Südtirol, sind es heute rund 51.000.
Migration ist ein weltweites Phänomen. Bis 2050 wird die Zahl der Migranten weltweit voraussichtlich auf über 400 Millionen ansteigen und gegen Ende des Jahrhunderts die Zwei-Milliarden-Marke erreichen. Die Ursachen sind vielfältig: Klimawandel, die Suche nach Wohlstand und sozialer Sicherheit, Kriege und Konflikte, aber auch zunehmende Mobilität. Hinzu kommt der Wunsch nach besseren Berufschancen und wirtschaftlichem Erfolg. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in den kommenden Jahrzehnten ist es unbestritten, dass wir auf qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sind, wenn unsere Sozial- und Gesundheitssysteme nicht völlig kollabieren sollen. Die Frage, wie Zuwanderung aber gefördert und gleichzeitig die Interessen der einheimischen Bevölkerung gewahrt werden können, ist ein zentrales Thema der politischen Diskussion.
Formen der Migration
Ein Ansatz zur Bewältigung dieser komplexen Herausforderung könnte darin bestehen, klar zwischen verschiedenen Formen der Migration zu unterscheiden – etwa zwischen Arbeitsmigration, der Suche nach einer besseren Lebensqualität und der Flucht vor Verfolgung. Ebenso wichtig ist die Unterscheidung zwischen regulärer und irregulärer Migration. Ein weiteres Problem ist die Wahrnehmung und Einstellung zur Migration, die stark vom Kontext abhängt. In den letzten Jahren hat die emotionale Polarisierung des Themas Migration in Europa deutlich zugenommen, insbesondere nach der Migrationskrise 2015. Diese Polarisierung, verstärkt durch populistische Bewegungen, hat die Konsensfindung in den europäischen Gesellschaften erschwert. Migration wird zunehmend ideologisiert und instrumentalisiert, was zu Spannungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene führt.
„Glokales“ Bewusstsein
Ein Gegenkonzept zur Polarisierung ist das Konzept des „Schwachen Kosmopolitismus“, das der Oxforder Politikwissenschaftler David Miller vorgeschlagen hat. Dieses Konzept legt nahe, dass der starke Kosmopolitismus, der die Gleichbehandlung aller Menschen unter allen Umständen fordert, in der Praxis durch eine gewisse Parteilichkeit für die eigenen Landsleute ergänzt werden kann. Ein solcher Ansatz könnte helfen, ein Gleichgewicht zwischen progressiven und konservativen Ansätzen in der Migrationspolitik zu finden. Irreguläre Migration könnte reduziert, die Außengrenzen besser geschützt und das Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung verringert werden. Gleichzeitig könnte eine schrittweise Integration der Migranten unter Berücksichtigung des Schutzes der lokalen Kulturen erfolgen. Ein solcher Ansatz könnte nicht nur populistischen Bewegungen den Wind aus den Segeln nehmen, sondern auch einen Humanismus fördern, der für die langfristige politische Stabilität unserer westlichen Gesellschaften unerlässlich ist. Besonders wichtig wäre die Förderung eines „glokalen“ Bewusstseins – eines Bewusstseins, das globale und lokale Perspektiven miteinander verbindet.
Demografische Veränderungen
Nach vorläufigen Daten des gesamtstaatlichen Statistikinstituts ISTAT leben rund 51.000 Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft in Südtirol. Dies entspricht einem Anteil von 9,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung, der höher liegt als der gesamtstaatliche Durchschnitt von 8,6 Prozent. Ein Großteil der ausländischen Bevölkerung in Südtirol stammt aus Europa, insbesondere aus Albanien, Deutschland, Rumänien und anderen EU-Ländern. Der asiatische und afrikanische Kontinent ist ebenfalls stark vertreten, wobei Pakistaner und Marokkaner die größten Gruppen stellen. Nicht-EU-Bürger machen mit 34.928 Personen einen großen Teil der Migrationsbevölkerung aus, von denen mehr als die Hälfte eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung besitzen.
Bildung
Ein zentrales Element der Integration ist das Bildungssystem. Etwa 12,5 Prozent der Schüler in Südtirol sind Ausländer. In den Kindergärten sind 13,6 Prozent der Kinder Ausländer. In den Grundschulen beträgt der Anteil der ausländischen Schüler 13,3 Prozent, während er in den Mittelschulen auf 14,5 Prozent und in den Oberschulen auf 9,4 Prozent sinkt. Besonders hervorzuheben ist die starke Präsenz ausländischer Schüler in den italienischsprachigen Schulen. „Es ist wichtig, sich nicht zu schämen, wenn man aus einem anderen Kulturkreis stammt, und sich aktiv mit der eigenen Herkunft auseinanderzusetzen“, betont Melena. Offenheit für Neues und die Fähigkeit, sich anzupassen, ohne dabei die eigene Identität aufzugeben, sind entscheidende Aspekte, die sie hervorhebt. Gleichzeitig muss sich auch die Südtiroler Gesellschaft weiterentwickeln und Menschen mit Migrationshintergrund vorbehaltlos annehmen. „Es gilt, Vorurteile abzubauen und einen respektvollen Dialog zu fördern, um ein harmonisches Miteinander zu ermöglichen. Nur so kann eine vielfältige und inklusive Gemeinschaft entstehen, in der jede Kultur ihren Platz hat“, sagt Melena.
Zakaria El Miroun ist 18 Jahre alt und steht kurz vor der Matura. Seine Eltern stammen aus Marokko und sind vor etwa 30 Jahren nach Südtirol gezogen. Zakaria lebt heute in Goldrain und pendelt jeden Tag mit dem Zug nach Meran zur Schule.
Zakaria, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit mir zu sprechen. Kannst du uns zunächst ein wenig über dich und deine Familie erzählen?
Zakaria: Meine Eltern kommen aus Casablanca in Marokko. Dort lebt noch meine Oma. Immer wieder kehren meine Eltern in ihre Heimat zurück, und ich fühle mich ebenfalls mit Marokko verbunden, weil es ein Teil meiner Identität ist. Allerdings bin ich in Südtirol geboren und hier aufgewachsen.
Was war der Hauptgrund für die Auswanderung deiner Eltern?
Das hatte berufliche Gründe. Mein Vater ist heute selbstständig, meine Mutter arbeitet als Reinigungskraft. Ich habe noch zwei jüngere Geschwister. Zu Hause sprechen wir viele Sprachen. In einem Satz können Wörter auf Deutsch, Italienisch und Arabisch vorkommen.
Was bedeutet es für dich, mit Migrationshintergrund in Südtirol aufzuwachsen?
Ich habe den Kindergarten, die Grundschule und die Mittelschule in Latsch besucht und mich immer gut integriert gefühlt. Ich war auch in zwei Vereinen aktiv – zuerst im Schwimmclub und später habe ich im Verein Fußball gespielt, was ich übrigens immer noch mache.
Was bedeutet Heimat für dich? Fühlst du dich hier zu Hause?
Das ist schwer zu beantworten. Ich denke schon, dass ich mich hier in Südtirol zu Hause fühle. Ich sehe mich als Südtiroler, aber auch ein bisschen als Marokkaner. Manchmal weiß ich nicht genau, wohin ich gehöre. Diese Frage beschäftigt mich oft, aber letztendlich ist es mir dann doch egal.
Welche Erinnerungen hast du an die Kultur und Traditionen deiner Herkunftsfamilie?
Bei uns zu Hause essen wir oft marokkanisch, also viel Couscous und typische Gerichte aus Marokko. Da mein Vater aber auch Koch war, gibt es bei uns auch Südtiroler Küche. Ich bin Moslem und halte mich an die Gebote, zum Beispiel trinke ich keinen Alkohol und esse kein Schweinefleisch.
Du sprichst vier Sprachen sehr gut. Wie erklärst du dir, dass du so gut Deutsch sprichst?
Das ist „learning by doing“. Wenn deine Umgebung deutschsprachig ist, lernst du die Sprache am besten und schnellsten. Meine Freunde sprechen alle Deutsch. Da meine Eltern besser Italienisch als Deutsch sprechen und ich früher viel italienisches Fernsehen geschaut habe, habe ich auch Italienisch gut gelernt. Englisch habe ich in der Schule gelernt und Arabisch innerhalb der Familie.
Was wünschst du dir für deine Zukunft hier in Südtirol?
Eine gute Arbeitsstelle. Ich möchte hier meine Familie gründen und mein Leben verbringen.
Gibt es etwas, das du anderen Jugendlichen mit Migrationshintergrund sagen möchtest, die nach Südtirol kommen.
Es ist enorm wichtig, am sozialen Leben teilzunehmen. Der Rest kommt dann von selbst. Die Eltern sollten großen Wert auf die Bildung ihrer Kinder legen. Es ist wichtig, Lernangebote anzunehmen.
Wie denkst du über sogenannte „Sonderklassen“ für Kinder ohne Sprachkenntnisse?
In der Grundschule halte ich das für keine gute Idee, weil es eine Stigmatisierung darstellt und Kinder die Sprache viel besser im sprachlichen Umfeld lernen.
In der Oberschule könnte ein intensiver Sprachkurs, der ein Semester dauert, allerdings hilfreich sein.
Es ist unbestritten, dass die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu sprechen, immer wichtiger wird. Claudia Pellegrini, Englischlehrerin am Gymnasium Meran, hat sich in einer Forschungsarbeit an der Universität Innsbruck intensiv mit dem Thema Mehrsprachigkeit auseinandergesetzt.
Sie ist überzeugt, dass Sprachenlernen nicht auf den Fachunterricht beschränkt werden sollte, sondern durch Vernetzung ganzheitlich gestaltet werden muss. „Mehrsprachige Menschen verfügen oft über eine Vielzahl von kognitiven, sozialen und kulturellen Vorteilen“, sagt die Meranerin. Studien zeigen, dass das Erlernen mehrerer Sprachen die kognitive Flexibilität erhöht und das Problemlösungsvermögen verbessert. „Wir wollen am Gymme Meran das Sprachenlernen nicht nur auf den Fachunterricht beschränken, sondern durch Vernetzung ganzheitlich gestalten“, dafür plädiert Claudia Pellegrini. Die Schülerinnen und Schüler erfahren Sprachunterricht nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch durch vernetzte und fächerübergreifende Ansätze. Dazu gehören Projekte, interkulturelle Veranstaltungen und Begegnungen, die den Schülern die Möglichkeit bieten, ihre Sprachkenntnisse in realen Kontexten anzuwenden und zu erweitern.
Im Gespräch mit der BAZ äußert sich die Englischlehrerin zu den verschiedenen Aspekten der Mehrsprachigkeit und den Herausforderungen, die sie im Unterricht erlebt.
Am Sprachengymnasium des Gymme Meran gibt es ein sogenanntes Mehrsprachencurriculum. Was ist darunter zu verstehen?
Prof. Claudia Pellegrini: Bereits im Schuljahr 2013/14 wurde das Südtiroler Mehrsprachencurriculum mit einer Klasse unter wissenschaftlicher Begleitung pilotiert. Die Bildungsdirektion wollte damit den Schulen ein Instrument an die Hand geben, um den Sprachenunterricht in den verschiedenen Sprachfächern durchlässig zu gestalten und Synergieeffekte zu schaffen.
Sprachenlehrerinnen und Sprachenlehrer arbeiten in Teams an mehrsprachigen Unterrichtseinheiten, um gemeinsam Inhalte, Grammatikstrukturen, Vokabeln, Sprachlernstrategien u.v.m. zu vermitteln. Grundlage dafür sind Erkenntnisse aus der Mehrsprachigkeitsforschung. Seit dem Schuljahr 2019/2020 haben wir das Mehrsprachencurriculum sukzessive in allen Klassen curricular eingeführt und an die Bedürfnisse unseres Sprachgymnasiums angepasst. Dieses Curriculum heißt nun „SprinT“, was für „Sprachen im Team“ steht. Die Sprachlehrerinnen und Sprachlehrer aller Klassen des Sprachengymnasiums bieten in jeder Klasse zweimal pro Schuljahr ein mehrsprachiges Modul und einmal pro Jahrgangsstufe eine klassenübergreifende mehrsprachige Veranstaltung an. Im Triennium arbeiten wir mit den Kollegen der Sachfächer und der Schulbibliothek zusammen.
Manchmal laden wir auch Referenten ein oder beteiligen uns an Projekten der Universität Bozen oder anderer externer Partner. Die mehrsprachigen Veranstaltungen hingegen organisieren wir schulintern. Für die ersten Klassen war das zum Beispiel die Feier zum Europäischen Tag der Sprachen am 26. September. Die Veranstaltungen sollen vor allem Freude an der Mehrsprachigkeit vermitteln.
Welche spezifischen Methoden oder Ansätze setzen Sie ein, um das Sprachenlernen zu fördern?
Wir arbeiten vernetzt. Die Sprachlehrerinnen und Sprachenlehrer der einzelnen Klassenräte erarbeiten die Module gemeinsam. Bei komplexeren Modulen werden die Inhalte zunächst in den einzelnen Sprachfächern behandelt. An den Projekttagen werden dann in Form von Teamteaching Arbeitsaufträge in verschiedenen Sprachen gegeben, welche die Schülerinnen und Schüler in kreativer Form lösen sollen. Dabei sollen immer verschiedene Sprachen zum Einsatz kommen. An unserer Schule sind dies Deutsch, Italienisch, Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Latein – und für die Schülerinnen und Schüler des klassischen Gymnasiums auch Altgriechisch. Die Schüler können zwischen mehreren Sprachen auswählen. Auch ihre eigenen Familiensprachen und Dialekte können verwendet werden. Durch dieses Training ist es für unsere Schüler ein Leichtes, zwischen den verschiedenen Sprachen zu switchen.
Wie sehen Sie die Rolle der Vernetzung zwischen Schülern aus verschiedenen Kulturen im Sprachenlernen?
In unserem Modell versuchen wir, alle Sprachen wertzuschätzen und die Sprachen und Kulturen anderer Länder, die in unseren Klassen gesprochen werden, immer wieder mit einzubeziehen. In den mehrsprachigen Modulen werden die Lernenden immer wieder aufgefordert, Vergleiche zu ihren Familiensprachen zu ziehen. Wenn es sich um ein Grammatikmodul handelt, fragen wir zum Beispiel: „Welche Zeitformen gibt es im Albanischen?“ oder „Kannst du mir den Gebrauch der Artikel im Polnischen erklären?“. So werden diese Schüler zu Sprachlehrer und wir alle – auch die Lehrpersonen – zu Lernenden.
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen im Unterricht, wenn es um die Förderung der Mehrsprachigkeit geht?
Am Sprachengymnasium sind wir in der glücklichen Lage, dass sich spracheninteressierte und motivierte Schülerinnen und Schüler an unserem Schultyp einschreiben. Wir haben im Stundenplan sehr viele Unterrichtsstunden, welche den Sprachen gewidmet sind, und wir haben sehr motivierte und professionelle Lehrkräfte. Wir arbeiten mit großem Einsatz und bieten in den verschiedenen Fächern eine Vielzahl von Möglichkeiten an, Sprachen zu lernen. Unsere Schülerinnen und Schüler erreichen schon bald ein sehr hohes Niveau. Viele von ihnen schaffen in Englisch schon in der 4. Klasse die Sprachzertifikatsprüfungen auf C1 Niveau, einige von ihnen sogar ein C2 Niveau! Das ist Muttersprachenniveau. Auch in den anderen Sprachenfächern ist das Niveau hoch. Zum Vergleich: Für die Abschlussprüfung wird in Italien nur ein B2-Niveau verlangt. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. In den unteren Klassen haben auch wir immer mehr mit komplexer werdenden Klassensituationen zu kämpfen.
Welche Ratschläge würden Sie Eltern geben, um ihre Kinder bei der Entwicklung von Mehrsprachigkeit zu unterstützen?
Ich denke, dass man das Interesse an der anderen Kultur, dessen Sprache man lernen möchte, wecken sollte. Man sollte als Eltern selbst den anderen Kulturen mit Offenheit begegnen. Dies kann man z. B. durch Reisen machen, aber auch nur zuhause, indem ich mit den Kindern Bücher lese, Filme, Serien oder ähnliche Inhalte im Internet mit ihnen anschaue. Am besten wäre es, das Kind würde Freunde finden, die eine andere Sprache sprechen. Dies könnte vielleicht in einem Sport- oder Kulturverein geschehen. Weniger Isolation in der gleichsprachigen Gruppe, sondern mehr Kommunikation in einem anderssprachigen Verein. Die Förderung sollte auf spielerische und natürliche Art stattfinden.
Der Unterricht in heterogenen Klassen stellt eine besondere Herausforderung dar, vor allem wenn einige Schüler kaum Sprachkenntnisse haben. Haben Sie dafür Strategien?
Das ist in der Tat ein sehr schwieriges Problem. An meiner Schule hatte ich selbst das Problem bisher nur mit wenigen Schülern. Es wird jedoch die Herausforderung der Zukunft werden, da die Migrationsströme in Zukunft zusätzlich auch aus Klimagründen zunehmen werden. Da ist in erster Linie die Politik gefragt, die günstige Rahmenbedingungen schaffen muss, damit ein Sprachunterricht, der für alle Lernenden in der Klasse befriedigend ist, überhaupt stattfinden kann. Die Schulen müssen mehr Unterstützung bekommen. Das Lehrpersonal könnte sich mehr mit der Mehrsprachigkeitsdidaktik auseinandersetzen.
Wie beurteilen Sie die Diskussion um die Bildung von sogenannten Sonderklassen für Schüler ohne Sprachkenntnisse? Könnte ein Ansatz, der sowohl integrative als auch differenzierte Elemente kombiniert, nicht eine Lösung sein?
Grundsätzlich bin ich aus meiner fast 40-jährigen Erfahrung als Sprachenlehrerin und als Wissenschaftlerin für eine inklusive Schule. Am Sprachengymnasium haben sich bisher fast ausschließlich Schüler mit Migrationshintergrund eingeschrieben, welche schon seit Jahren in Südtirol ansässig sind und auf demselben sprachlichen Niveau ihrer Mitschüler sind. Meine Hochachtung gilt demnach den Kolleginnen und Kollegen der Kindergärten, Grund- und Mittelschulen, welche eine ausgezeichnete Arbeit geleistet haben. Bisher scheint sich der Unterricht, der integrative und differenzierte Elemente beinhaltet, aus meiner Erfahrung bewährt zu haben. Doch da waren die Größenverhältnisse in den Klassen zwischen Schülern, die des Deutschen mächtig waren, und jenen, die nicht genügend Deutsch konnten, jedoch wohl noch ausgewogener.
Die Zukunft ist eine Gesellschaft mit vielen Gesichtern, und wir müssen lernen, miteinander zu leben, um eine Zukunft zu haben, sagt Farheena Jamal. Die BAZ sprach mit der Englischlehrerin an der Fachoberschule Marie Curie über ihren Lebensweg von Pakistan nach Südtirol, die Herausforderungen und Chancen der Integration sowie ihre Vision für eine inklusive Gesellschaft.
Frau Jamal, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. Zu Beginn: Können Sie uns etwas über Ihre Herkunft und Ihre Familie erzählen?
Prof. Farheena Jamal: Sehr gerne. Ich bin in Pakistan geboren und habe dort bis zu meinem 16. Lebensjahr gelebt. Mein Vater hatte einige Jahre zuvor in Deutschland gearbeitet und ist dann 2002 nach Südtirol gekommen, um hier Arbeit zu suchen. 2007 hat er schließlich meine Mutter, meine drei Geschwister und mich nach Südtirol geholt. Wir sind hierhergekommen, weil mein Vater der Meinung war, dass Südtirol eine gute Zukunft für uns bieten könnte. Es war eine große Umstellung, aber gleichzeitig eine wertvolle Chance für unsere Familie.
Das klingt nach einer bedeutenden Veränderung. Wie haben Sie persönlich diese Umstellung erlebt?
Ja, es war definitiv eine große Veränderung. In Pakistan hatte ich bereits die Schule besucht, und hier in Südtirol musste ich erst einmal meinen Weg finden. Meine Familie in Pakistan und meine Eltern legen großen Wert auf Bildung, da ich aus einer gebildeten Familie stamme. Deshalb war es ihnen sehr wichtig, dass meine Geschwister und ich zur Schule gehen, obwohl sie wenig über das Schulsystem in Südtirol wussten. Mein Vater wurde jedoch von einigen Bekannten, die damals ebenfalls in Meran lebten, gewarnt, dass es keine gute Idee sei, mich zur Schule zu schicken. Diese Freunde waren vor uns nach Südtirol angekommen, aber kannten die Kultur und das Schulsystem Südtirols kaum. Doch als ihre Kinder schließlich nach Südtirol kamen, haben sie sie in die Schule eingeschrieben, da sie inzwischen unseren Erfolg gesehen hatten und erkannten, wie wichtig Bildung ist. Ich hatte das große Glück, dass meine Eltern mich immer unterstützt haben – besonders mein Vater. Er hat nie auf andere gehört und sich stets für mich eingesetzt. Ohne ihn und meine Mutter hätte ich es vielleicht nicht geschafft. Ich war eine der ersten Schülerinnen mit Migrationshintergrund am Pädagogischen Gymnasium – und das ganz ohne Deutschkenntnisse. Anfangs hat mir nur mein Englisch geholfen.
Mit welchen Herausforderungen hatten Sie zu kämpfen, als Sie als Jugendliche mit Migrationshintergrund in Südtirol aufwuchsen?
Am Anfang hatte ich oft Heimweh und fühlte mich fremd, was vermutlich ganz normal ist, wenn man in einem neuen Land lebt. Besonders in der Schule habe ich aber viel Unterstützung erfahren. Lehrerinnen und Lehrer haben mich motiviert und mir das Gefühl gegeben, dass ich es schaffen kann. Sie sagten: „Wir brauchen dich, du schaffst das.“ Diese Worte haben mich tief berührt und mir die Kraft gegeben, meinen Weg weiterzugehen. In einem fremden Land zu hören, dass man gebraucht wird, gibt einem Mut und Zuversicht. Es ist ein Gefühl der Zugehörigkeit, das einem in schwierigen Momenten Halt gibt. Zusätzlich haben mir meine Mitschülerinnen sehr beim Lernen und Verstehen der Unterrichtsinhalte geholfen, obwohl sie damals nicht so gut Englisch sprachen wie die Jugendlichen heute. Sie haben mir ihre Notizen geliehen oder bei Gruppenarbeiten mit mir zusammengearbeitet. Mit einigen meiner ehemaligen Mitschülerinnen bin ich immer noch befreundet.
Wie haben Sie es geschafft, so schnell Deutsch zu lernen? Gab es besondere Strategien, die Ihnen geholfen haben?
Ein großer Vorteil war sicherlich, dass mein Vater Deutsch sprach. Aber ich habe mir die Sprache auch aktiv angeeignet, in dem ich regelmäßig die vom Sprachzentrum angebotenen Deutschkurse besucht habe, deutsches Fernsehen geschaut und viel Radio gehört habe. In der Schule haben die Lehrerinnen und Lehrer mich immer unterstützt und auf meinem Niveau abgeholt. Sie waren sehr geduldig und haben mir die Zeit gegeben, die ich brauchte, um die Sprache zu verstehen. Ich wusste sehr früh, dass ich Lehrerin werden wollte, und das hat mich zusätzlich motiviert. Ich habe mir Ziele gesetzt und wollte unbedingt schnell die Sprache lernen, um mein Studium beginnen zu können.
Wie sieht es bei Ihnen zu Hause aus? Welche Sprachen sprechen Sie in Ihrer Familie?
Wir sind eine polyglotte Familie. Zuhause sprechen wir Deutsch, Englisch, Urdu und Italienisch. Wir können auch Arabisch lesen, da wir es für das Lesen des Korans benötigen. In Pakistan habe ich zudem gelernt, Arabisch ins Urdu zu übersetzen, um den Koran besser zu verstehen. Deshalb fällt es mir leicht, mich mit anderen Kulturen zu verbinden. Zusätzlich hatte ich die Möglichkeit, Latein in der Schule zu lernen, und ich habe die lateinische Sprache einfach geliebt. Nach der Matura habe ich in Innsbruck Deutsch und Englisch aufs Lehramt studiert. Ich bin sehr dankbar, dass ich in so vielen Sprachen kommunizieren kann, denn Sprache ist der Schlüssel zu Integration und Verständnis.
Was bedeutet für Sie der Begriff „Heimat“? Fühlen Sie sich in Südtirol zu Hause?
Südtirol ist definitiv meine Heimat geworden. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich das so empfinden konnte, aber heute fühle ich mich hier sehr wohl. Ich habe viele Freunde, die zu meiner Familie geworden sind. Ich bin Pakistanerin, aber auch Südtirolerin. Es ist ein Teil meiner Identität, dass ich aus zwei Kulturen komme. Beide gehören zu mir, und beide sind mir wichtig. Inzwischen habe ich hier meine Familie gegründet, und meine Kinder wachsen in diesem Umfeld auf, was mich sehr glücklich macht.
Ihre Wurzeln als Pakistanerin und Ihre Rolle als Südtirolerin – wie vereinen Sie diese beiden Identitäten?
Es ist eine Balance, die nicht immer einfach zu halten ist. Als Muslima lebe ich nach den Gebräuchen und Werten meiner Religion, was mir sehr wichtig ist. Gleichzeitig habe ich mich in die Kultur Südtirols integriert und fühle mich hier zuhause. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder, denen ich versuche, beide Kulturen näherzubringen. In der Schule merke ich oft, wie sich Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund freuen, wenn sie mich sehen, weil sie sich in mir wiedererkennen. Ich möchte ihnen das Gefühl geben, dass sie dazugehören – genau wie mir das damals gegeben wurde.
Gab es Situationen, in denen Sie sich aufgrund Ihres Migrationshintergrundes ausgeschlossen oder anders gefühlt haben?
Natürlich gab es Momente, in denen ich mich fremd gefühlt habe. Aber insgesamt habe ich mehr Unterstützung als Ablehnung erfahren. Der Weg zur Integration war sicherlich nicht immer leicht, aber ich habe immer daran geglaubt, dass ich mein Ziel erreichen kann, wenn ich hart arbeite. Und genau das möchte ich auch anderen vermitteln: Es ist wichtig, sich Ziele zu setzen und diese zu verfolgen, auch wenn der Weg dorthin schwierig ist.
Haben Sie eine Botschaft für junge Menschen mit Migrationshintergrund, die möglicherweise ähnliche Erfahrungen machen wie Sie?
Ja, unbedingt. Ich möchte ihnen sagen: Es lohnt sich, sich anzustrengen. Egal, wie schwierig es manchmal erscheint, es ist wichtig, nicht aufzugeben. Setzt euch klare Ziele und verfolgt sie mit Geduld und Ausdauer. Besonders wichtig ist es, die Landessprachen zu lernen. Sie sind der Schlüssel zur Integration und zu vielen Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen.
Zum Abschluss eine Frage zur aktuellen Debatte über die Goetheschule und die Sonderklasse für Migrantenkinder. Wie stehen Sie zu dieser Thematik?
Ich glaube fest an das inklusive Modell, da ich selbst ein Ergebnis dieses Modells bin. Es fördert die Chancengleichheit und stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Kinder mit einer anderen Muttersprache zu separieren, bringt langfristig keinen Vorteil. Sie lernen dadurch nicht besser, im Gegenteil, sie fühlen sich möglicherweise noch mehr ausgegrenzt. Was es braucht, sind gut ausgebildete und motivierte Lehrerinnen und Lehrer, die wir im bereits haben, und die gezielt Fremdsprachenkompetenz fördern. Aber wir brauchen ausreichend Ressourcen, um nicht nur die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, sondern alle Schüler und Schülerinnen je nach ihren Bedürfnissen bestmöglich zu unterstützen, weil diese Kinder/Jugendliche unsere Zukunft sind. Integration beginnt in der Schule – und wenn wir dort die richtigen Weichen stellen, können wir eine Gesellschaft aufbauen, in der alle eine faire Chance haben.