Mit dem ersten Adventsonntag beginnt für viele die lauteste Zeit des Jahres. Dabei sollten es die stillen Momente der Vorbereitung auf die Geburt Jesu sein. Dass ein römischer Autor wie Vergil, der bereits 19 v. Chr. verstorben ist, mit dem christlichen Fest in Verbindung gebracht wird, ist bemerkenswert – und erklärungsbedürftig.
Auf unseren Kalendern lesen wir die Jahreszahl 2024. Diese verdanken wir dem im 6. Jahrhundert lebenden Mönch Dionysius Exiguus, der als Begründer der christlichen Zeitrechnung gilt. Trotz seiner umfangreichen astronomischen Überlegungen lag er mehrere Jahre daneben. Durch Vergleich historischer Ereignisse ist anzunehmen, dass Jesus von Nazareth schon zwischen 7 und 4 v. Chr. geboren wurde. Wer an die bekannte Weihnachtsgeschichte denkt, an die Erzählung von der Geburt eines Kindes, über die der Himmel jubelt und von der ein neues Zeitalter ausgeht, der denkt wohl eher an das Lukas-Evangelium als an einen vorchristlichen Schriftsteller. Doch in seinen Hirtengedichten, den „Eklogen“, die Vergil bereits über drei Jahrzehnte zuvor verfasst hatte, gibt es eine Passage, die von vielen als Weissagung der Geburt Christi gelesen wurde. Vergil hatte sicherlich anderes im Sinn. Die politische Lage war seit Caesars Ermordung katastrophal, es tobte ein mörderischer Bürgerkrieg. In dieser Situation hofften viele auf eine Erneuerung, die vom Himmel kam und die Gerechtigkeit wieder auferstehen ließ.
Ein großer Klassiker
Vergil, mit vollem Namen Publius Vergilius Maro, wurde 70 v. Chr. auf einem Landgut in der Nähe von Mantua geboren. Sein Vater war Töpfer, seine Mutter Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns. Die Nähe zum Landleben und zur bäuerlichen Welt prägte ihn früh und wird sein späteres literarisches Schaffen beeinflussen. In jungen Jahren besuchte er die Rhetorenschule in Cremona. Auch ein Aufenthalt in Mailand oder Studien der Mathematik und Medizin werden in einigen Quellen erwähnt. Besonders begabt soll er in der Redekunst aber nicht gewesen sein. Wohl auch deshalb hatte er sich schon früh der Dichtung zugewandt. In Rom und Neapel entstanden die bereits genannten „Eklogen“. Er hatte sie unter dem Eindruck der Landenteignungen unter Octavian, dem späteren Kaiser Augustus, geschrieben. Die Enteignungen, die auch Vergils Familie betrafen, sollten die Veteranen aus den Bürgerkriegen entschädigen. Später gehörte er dem Dichterkreis um Gaius Maecenas an, dem wir heute den Begriff „Mäzen“ für einen Kunstförderer verdanken. Maecenas widmete er sein Lehrgedicht „Georgica“, das als eine der kunstvollsten Dichtungen der antiken Literatur gilt. Er behandelt darin den Acker-, Obst- und Weinbau, sowie die Viehzucht und Imkerei, lässt dazwischen jedoch zahlreiche Mythen und poetische Reflexionen einfließen. Sein wohl bekanntestes Werk ist die „Aeneis“, in der er die Flucht des Aeneas aus dem brennenden Troja und dessen Irrfahrten beschreibt, die ihn nach Italien führen, wo er zum Stammvater der Römer wird. Vollenden konnte er den Text nicht mehr. Er hatte sich vorgenommen, den Osten des Römischen Reiches zu besuchen, um die Schauplätze seiner Handlung zu besichtigen. Auf seiner Reise hatte ihn in Megara ein heftiges Fieber ereilt. Er kam noch bis nach Brundisium, dem heutigen Brindisi, und starb am 21. September 19 v. Chr. im Alter von 50 Jahren. In Meran wurde Vergil, der mit seinen Werken die lateinische Dichtung revolutionierte, eine Straße gewidmet.
Eine große Prophezeiung
Im Mittelalter gehörte Vergil zu den bekanntesten und geschätztesten Dichtern überhaupt. Da man ihm, dem Heiden, eine „von Natur aus christliche Seele“ zusprach, galt er zudem als Vorbote des Christentums. Schließlich hatte er die Geburt des Weltenheilands und den Beginn eines neuen goldenen Zeitalters vorausgesagt: Vom hohen Himmel steigt ein neues Geschlecht hinab. Sei dem Kinde hold, mit dem bald das eiserne Weltalter endet und die goldene Zeit über der ganzen Erde aufleuchtet.
Christian Zelger