Als die beiden US-Amerikaner Jimmy Wales und Larry Sanger Anfang 2001 die freie Internet-Enzyklopädie Wikipedia gründeten, glaubten nur wenige an ihren Erfolg. Die Skepsis war verständlich: Das Internet-Lexikon baut darauf, dass wildfremde Menschen in ihrer Freizeit und ohne Bezahlung Artikel schreiben. Doch das Projekt war erfolgreicher, als selbst seine beiden Gründer erwartet hatten. Wer etwas beitragen wollte, konnte dies unkompliziert tun. Wer einen Fehler entdeckte, konnte ihn korrigieren. Wenn sehr viele Menschen die Möglichkeit mitzuarbeiten hätten, so das Credo der Initiatoren, dann steigt nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität. Und sie sollten Recht behalten. Bereits nach vier Jahren überschritt die englischsprachige Wikipedia die Schwelle von 1 Million Artikeln – weit mehr als jedes gedruckte Lexikon bietet. Die Version in deutscher Sprache kratzt derzeit an der 3-Millionen-Marke. Doch geht es dabei nicht allein um Texte. Millionen von Bildern und Fotos illustrieren die Einträge und werten diese auf. Jeder, der Interesse daran hat, kann etwas zum großen Ganzen beitragen. Ehrenamtlich – aber mit der Gewissheit, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Mehr als 16.000 Freiwillige arbeiten im deutschsprachigen Raum regelmäßig mit.
Doch wer sind sie und was treibt sie an?
Einer von ihnen ist der Wahl-Südtiroler Manfred Kilian. Er stammt aus Marl, einer Stadt mit 84.000 Einwohnern im Ruhrgebiet, und kam 2003 nach Südtirol. Seit mittlerweile zwanzig Jahren arbeitet er als Krankenpfleger in der Martinsbrunn ParkClinic. Mit der Abfertigung nach seinem Zivildienst kaufte er sich seinen ersten, damals noch analogen Fotoapparat. Als er von dem Konzept einer Enzyklopädie gehört hatte, die in Gemeinschaftsarbeit entstehen sollte, war er sofort begeistert. So begann er, mit seiner Kamera Südtirol zu dokumentieren. Das erste Foto entstand 2004 in der Katharina-Kapelle auf der Burg Hocheppan. Über die Auflösung von 664 x 500 Bildpunkten, damals „state of the art“, kann man heute nur noch schmunzeln. Auch das Hochladen der Dateien erforderte viel Geduld. Es waren eben technisch andere Zeiten. Ebenfalls im Jahr 2004 entstand der erste Lexikonartikel aus seiner Feder: Er behandelte das für Südtirol so bedeutsame Thema der Katakombenschulen. Bis heute sind über 300 weitere dazugekommen.
Nach den ersten sehr produktiven Jahren flachte seine Aktivität jedoch ab und bekam erst 2011 einen neuen Schub. In den Niederlanden wurde unter dem Titel „Wiki Loves Monuments“ ein Fotowettbewerb rund um Kulturdenkmäler ins Leben gerufen. Allein im ersten Jahr wurden mehr als 168.000 Fotos eingereicht, die von 5400 Fotografen aus ganz Europa stammten – darunter auch Manfred Kilian. Gemeinsam mit zwei weiteren Südtirolern hatte er es sich damals zur Aufgabe gemacht, systematisch möglichst viele Kulturdenkmäler in Südtirol zu fotografieren und der Wikipedia zur Verfügung zu stellen. Tausende Fotos von Kirchen, Kapellen, Gräbern und Kunstwerken, aber auch Naturdenkmälern und Panoramen fanden so ihren Weg in das Online-Lexikon. Sein früheres Arbeitsmodell kam seiner Freizeitbeschäftigung sehr entgegen. Durch die vielen Nachtschichten hatte er nach der Arbeit drei Tage frei. In dieser Zeit konnte er ausgiebig reisen und fotografieren. Vor rund zehn Jahren begann das Trio zudem, für jede Südtiroler Gemeinde eine Denkmalliste mit Namen, Bildern, Koordinaten, Links und einer kurzen Beschreibung zu erstellen. Eine naheliegende Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt erwies sich hingegen als schwierig. Das Interesse dort war gemischt.
Kilians Bilanz ist beeindruckend: Über 4100 seiner Fotos sind auf Wikimedia Commons hochgeladen. Gut 47 % wurden bereits in einen oder mehrere Artikel eingearbeitet – und das weltweit. Allein seine Panoramaaufnahme von Partschins wurde 40 Mal verwendet, sogar in Aserbaidschan. Das bisher letzte Foto entstand in der neuen Monikakirche in Plaus. Größere Probleme hatte er bei seinen Touren nie, da er sich immer an die Regel hielt, niemals Privatgrund zu betreten. Nur einmal wurde er von einem Hund gebissen. Dank seiner festen Schuhe passierte aber nichts. An seiner Begeisterung für die Fotografie und seiner Überzeugung, etwas zum Wohl der Allgemeinheit beisteuern zu wollen, hat das nichts geändert. Einen Wunsch hätte er allerdings: neue Mitstreiter aus dem Burggrafenamt zu finden, damit das Ziel, ganz Südtirol im Bild festzuhalten, weiter verfolgt wird. Christian Zelger