Eine Bilanz
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Nicht nur schillernde Gedanken

1901 wurde in Meran die erste Synagoge Tirols eröffnet. Der Rabbiner Aron Tänzer hielt die Weiherede. Knapp ein Jahr zuvor hatte man beschlossen, jenseits des „Naggelten Stegs“, der heutigen Theaterbrücke, ein jüdisches Gotteshaus zu bauen. Der damalige Marlinger Steig trägt seit 1959 den Namen Schillerstraße.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Firma Musch & Lun mit dem Bau der Meraner Synagoge beschäftigt war, wurde dieses Vorhaben in der Presse nicht überall mit Wohlwollen begleitet. Die „Tiroler Post“ zum Beispiel schreibt offen judenfeindlich: „Es wird täglich ‚a fainere‘ Stadt unser Curort: in allen Anlagen und Promenaden hört man sie mauscheln die listigen Hebräer, in dem Geschäftsleben wird den christlichen Handels- und Gewerbetreibenden eine stets wachsende, jüdische, schmutzige Concurrenz geboten. […] Es ergeht deshalb an alle christlich-antisemitischen Männer Merans der Ruf, ein festes Bollwerk gegen die Verjudung zu schaffen und energisch jeder jüdischen Ausbeutungslust entgegenzutreten.“ Unsere eigene Zeit ist kaum besser. Der Antisemitismus ist wieder auf dem Vormarsch. Und das 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, so als hätten die Menschen gar nichts aus der Geschichte gelernt. Neben den traditionellen Formen kommen sogar neue Spielarten hinzu, wie der linke Antisemitismus, der das Existenzrecht Israels in Frage stellt. Blickt man in vergangene Jahrhunderte zurück, so finden sich judenkritische bis judenfeindliche Gedanken oft in den ansonsten glänzendsten Köpfen. Auch der Namengeber der Straße, in der sich die Meraner Synagoge befindet, ist hier keine Ausnahme.

Arzt, Dichter und Historiker
Johann Christoph Friedrich Schiller wurde 1759 in Marbach am Neckar geboren. Sein Vater Johann Kaspar war ein Offizier und Wundarzt, schlecht besoldet und häufig mit dem Militär unterwegs. Die Mutter hieß Elisabeth Kodweiß und war Tochter eines Wirts und Bäckers. Friedrich war der einzige Sohn seiner Eltern und hatte fünf Schwestern. Die Familie musste mehrfach umziehen. Im Alter von 13 Jahren begann er mit dem Studium der Rechte, wechselte dann aber zur Medizin und machte mit 21 Jahren seinen Abschluss als Regimentsmedicus. Schon während seines Studiums faszinierte ihn die Literatur und so arbeitete er an seinem ersten Drama „Die Räuber“. Da er keinen Verlag fand, musste er den Text auf eigene Kosten drucken lassen. Die Uraufführung in Mannheim 1782 wurde dann ein voller Erfolg, besonders beim jungen Publikum. In den folgenden Jahren kämpfte er mit finanziellen Problemen und war auf die Unterstützung von Freunden angewiesen. Neben den Werken „Kabale und Liebe“ und „Don Carlos“ entsteht eine historische Studie über die Niederlande. Mittlerweile hatte er Johann Wolfgang von Goethe kennengelernt, der ihm eine Geschichtsprofessur in Jena vermittelt. An seiner wirtschaftlichen Situation veränderte dies jedoch wenig. Erst 1790 wird er Hofrat und erhält ein festes Jahresgehalt. Neben weiteren dramatischen Werken, die erfolgreich inszeniert wurden, entstehen lyrische, historische und philosophische Schriften. Im Frühjahr 1805 erkrankte er schwer und starb am 9. Mai 45-jährig an einer akuten Lungenentzündung.

Kein Ruhmesblatt
1790 veröffentlichte Schiller seinen Text „Die Sendung Moses“. Es ist sein einziges Werk, in dem das Judentum eine besondere Rolle spielt. Lange Zeit wurde es von den Literaturwissenschaftlern kaum beachtet. Dabei finden sich in ihm zahlreiche judenfeindliche Klischees, wie beispielsweise, dass sie einen Staat im Staat bilden würden und die Staatsklugheit dazu riet, „sie scharf zu bewachen, zu beschäftigen und auf Verminderung ihrer Anzahl zu denken.“ Auch wenn er sich hier auf die Zeit der Israeliten in Ägypten bezog, so klingt das für unsere Ohren angesichts des Holocaust leichtfertig. Es folgen noch einige inhaltliche und verbale Entgleisungen, allen voran wohl, die Juden seien das „roheste, bösartigste, verworfenste Volk der Erde“. Auch das ist im Kontext des Werks und damaliger Diskussionen zu sehen. Doch kann man Schiller vorwerfen, dass er den Feinden der Juden, von denen es unter seinen Lesern sicherlich etliche gegeben hat, nicht energisch entgegengetreten war, obwohl er sich mit diesem Text selbst die Gelegenheit dazu geschaffen hätte.
Christian Zelger