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Niemals vergessen

Ein guter Stolperer fällt nicht, weiß der Volksmund. Manchmal ist aber ein Stolpern erwünscht. Um innezuhalten und um sich bewusst zu werden, warum man aus dem Takt gekommen ist. Zum Beispiel in der Plankensteinstraße nahe des bekannten Hotel Palace in Meran.

Es ist der 16. Dezember 1942. Heinrich Himmler, einer der Hauptverantwortlichen des Holocaust, ordnet die Deportation der innerhalb des Deutschen Reiches lebenden Sinti und Roma an. Über 20.000 von ihnen wurden daraufhin in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt und im abgetrennten Bereich des „Zigeunerfamilienlagers“ untergebracht. Am 50. Jahrestag des sogenannten „Auschwitz-Erlasses“ ließ der deutsche Künstler Gunter Demnig einen mit einer Messingplatte versehenen und beschrifteten Stein in ein Pflaster ein. Es war der erste Schritt für sein Projekt der Stolpersteine, das die Erinnerung an alle während der NS-Zeit verfolgten Menschen wachhalten sollte. Ab Mitte der 90er Jahre begann er – zunächst noch ohne behördliche Genehmigungen –, in verschiedenen Städten seine Stolpersteine zu verlegen. 1997 schließlich stimmte in Sankt Georgen bei Salzburg erstmals ein Bürgermeister offiziell zu. Seither wuchs Demnigs Projekt zum größten dezentralen Mahnmal der Welt. Bis heute wurden in mehr als 30 Ländern über 100.000 Stolpersteine in die Straßen eingelassen. Dabei wird jeder Stolperstein in Handarbeit gefertigt, eine Entscheidung mit hoher Symbolkraft. Dies stünde in direktem Gegensatz zur maschinellen Massenvernichtung von Menschen in den KZs, so der Künstler. Die Steine werden in der Regel dort platziert, wo die Opfer ihre letzte selbstgewählte Adresse hatten. So beginnt der kurze, in die Messingplatten geschnittene Text meist mit „Hier wohnte …“, worauf der Name sowie Geburts-, Deportations- und Todesdatum, sofern bekannt, folgen. Im Mai 2012 wurden in Meran 33 solcher Stolpersteine im Andenken an die hier ansässigen Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Zwei davon befinden sich in der Plankensteinstraße.

Nur ein Schicksal von vielen
Einer der beiden Steine ist Caterina Rapaport Zadra gewidmet. Mehrmals in ihrem Leben war sie auf der Flucht, einzig allein aufgrund der Tatsache, dass sie Jüdin war. Katharina Rosa wurde am 21. Dezember 1897 als Tochter des Hirsch Rapaport und seiner Frau Else Hankin in Jekaterinoslaw geboren. Die Stadt heißt heute Dnipro und ist mit einer Einwohnerzahl von fast einer Million die viertgrößte Stadt der Ukraine. Sie stammte aus einer Kaufmannsfamilie russischer Herkunft. Aufgrund antijüdischer Pogrome war sie gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie lebte zunächst in München, doch auch dort konnte sie nicht bleiben. Durch die Nürnberger Rassengesetze musste sie 1935 Deutschland verlassen. So kam sie nach Meran. Durch die Heirat mit dem acht Jahre jüngeren Leopoldo Zadra aus Vervò im Nonstal wurde sie italienische Staatsbürgerin. Ihr Mann arbeitete als Privatlehrer, sie war Hausfrau und verkaufte nebenher Stoffe. Im August 1943 brachte Zadra seine Frau in seinen Heimatort und bat seine Verwandte Leopoldina, sie bei sich aufzunehmen, ohne ihr zu sagen, dass Caterina Jüdin war. Etwa einen Monat später tauchten zwei Männer mit Maschinengewehr und Pistole auf und sagten, sie seien hier, um Caterina abzuholen. Leopoldina versuchte dies noch zu verhindern, auch ein Fluchtversuch über den Hinterausgang in den Wald scheiterte. Caterina wurde schreiend verhaftet und nach Meran gebracht – es war der 16. September 1943. Zwei Wochen später kehrte ihr Mann, der sie verraten hatte, in SS-Uniform nach Vervò zurück und eignete sich gewaltsam die Habseligkeiten seiner Frau an. Im Oktober verließ Catarina mit anderen das Gefängnis in Meran und wurde über Reichenau nach Auschwitz deportiert, von wo sie nicht mehr zurückkehrte.
Christian Zelger