Die historische Sonderstellung der Schildhofbauern im Tal lässt sich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen.
Durch das Passeiertal über den Jaufenpass verlief bereits zur Christuszeit ein Römerweg als Nord-Süd-Verbindung, der bis ins Mittelalter seine Bedeutung beibehielt. Aus der römischen Bezeichnung saltus – gleich Schlucht – überlieferte sich das heutige Saltaus als einer der ältesten Rastplätze und Zollstation an der Grenze zum Burggrafenamt. Der Saltauser Schildhof war somit lage- und funktionsbedingt der älteste der insgesamt 11 Schildhöfe im Vorderpasseier. Im 12. Jh. erlangte die Grafschaft mit dem Stammschloss Tirol ihre Unabhängigkeit innerhalb des Kaiserreichs der Habsburger. Von Anbeginn dieser Zeit werden Lehensverbindungen zugunsten der Tiroler Grafen sowie Knappendienste zur Kontrolle längs der Passstraße seitens namhafter Hofbauern im Tale erbracht. Um 1250 diente der Schildhof Saltaus als Zoll- und Gerichtsstation der Grafschaft von Tirol.
Der Freiheitsbrief
Vor 700 Jahren – um 1317 wurde den Schildhofbauern ihre Sonderstellung zum Tiroler Fürstenhaus durch den Freiheitsbrief von Graf Heinrich beurkundet und ihnen damit der Status eines Landadels verliehen. Besondere Rechte, aber auch Pflichten waren damit verbunden. Die Schildhöfler waren auf Lebenszeit steuerbefreit; als Angehörige des Landadels unterstanden sie nicht dem Volksgericht Passeier, sondern hatten ihren namentlichen Gerichtsstand am Hofe auf Schloss Tirol. Damit waren sie bessergestellte Waffenträger bei öffentlichen Anlässen, vor Gericht und in der Kirche. In Friedenszeit genossen die Schildhöfler Jagd- und Fischerei-Eigenrechte innerhalb ihrer Besitzungen – als Gegenleistung belieferten sie den Fürstenhof samt höherem Adel mit Wildbret, Fisch und landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Wie der Adel konnten die Schildhofbauern am gesetzgeberischen Landtag teilnehmen. Zu ihren Pflichten gehörten vor allem der Wehrdienst im Bedarfs- oder Kriegsfall; sie übernahmen die Schildwache auf Schloss Tirol und auf der Zenoburg sowie die militärische Sicherung und Zollkontrolle des Jaufenweges. Die Hochblüte der Schildhöfler im Passeier dauerte etwa vier Generationen an und verlor an Bedeutung nach 1420, als die Grafen Tirols ihren Sitz nach Innsbruck verlegten. Dennoch bezeugen viele der Schildhöfe deutlichen Wohlstand durch ansitzähnliche Hofstellen mit großzügigem Grundanteil in bevorzugter Lage mit viel Ausblick ins Tal. Sie sind bis heute durchwegs in Privatbesitz und haben unterschiedliche Entwicklungen erfahren. Man ist sich der gemeinsamen Ahnengeschichte jedoch bewusst, und bei festlichen Dorfanlässen im Tal tragen die Schildhöfler stolz die althergebrachte Passeirer Bauerntracht samt Wappenschild und Hellebarde als bereicherndes Zeugnis ihrer vergangenen Hochkultur. Ein letztes ihrer historischen Rechte behaupten und verwalten die Schildhofbauern bis heute: das Fischereirecht in der Passer mit ihren Nebengewässern.
Schildhöfe in St. Martin
Von Meran kommend lädt in der Dorfenge von Saltaus der zinnengekrönte, prächtige Schildhof Saltaus zur Einkehr; dieser ursprünglichste Passeirer Schildhof hat als zeitweiliger Gerichtssitz, als Rastplatz und Zollamt an strategischer Stelle über viele Jahrhunderte eindrucksvolle Geschichte erlebt. Die Edlen von Saltaus trugen drei Lilien im Wappen. Zu Zeiten Andreas Hofers fanden am Saltauserhof Bauernberatungen statt – 1809 wurden Kellerräume des Gasthauses zu Gefängniszellen für Bayern und Franzosen. Den letzten Besitzerfamilien Haller (auch Meraner Bürgermeister) im 19. Jh. und Pircher ab 1936 bis heute ist es zu verdanken, dass der Saltauserhof als stilvolle Kulturstätte und Visitenkarte für gepflegte Gastlichkeit am Eingang zum Passeiertal den Besuchern offensteht. In Saltaus beginnt der 2009 eröffnete Schildhöfeweg, welcher landschaftlich schön angelegt durch Wiesen, Kastanienhaine und Waldlichtungen zwei weitere höhergelegene Schildhöfe Haupold und Granstein auf Martiner Gemeindegebiet erschließt, die als neuerbaute Gästehäuser in bäuerlicher Umgebung heute dastehen. Am Eingang zum Kalmtal steht verwittert der ursprüngliche Schildhof Kalmbauer mit den Resten einer Ringmauer und dem steinernen Lanthalerturm. Die Schildhöfe Obergereut und Baumkirch über St. Martin bieten Urlaub am Bauernhof, wobei der mittelalterlichen Vergangenheit an verschiedenen Gebäudemerkmalen nachgegangen werden kann. Wie ein Wahrzeichen thront auf dem Hügel über dem Dorfzentrum St. Martin markant der Schildhof Steinhaus, 1285 bereits erwähnt; dem burgähnlichen Ansitz mit den mächtigen Erkern sieht man sofort die adelige Herkunft an. Steinumrandete Spitzbogentüren führen ins Innere des feudalen Bauernanwesens, zu dem seinerzeit Ländereien im Inntal gehörten.
Schildhöfe in St. Leonhard
In der Mörre, zu St. Leonhard gehörig, liegt der Schildhof Ebion, mit großzügigen Ferienwohnungen in natürlicher Umgebung am Bauernhof. Auf derselben linken Passerseite im Weiler Prantach befindet sich am Waldesrand der Schildhof Buchenegg auf 940 Hm, mit erneuertem Bauernhaus. Am Ortsrand von St. Leonhard, sonnseitig auf leicht erhöhtem Wiesengrund liegt vollständig erneuert der Schildhof Happerg als Gästehaus am Bio-Bauernhof mit Kleinvieh ums Haus, und mit viel Auslauf und Komfort, besonders für kinderfrohe Urlauberfamilien. Im Ortsteil Gomion auf dem Weg nach Moos in Passeier liegt der letzte Schildhof Gomion, dessen ursprünglicher Schildherr Albert von Forst um 1300 war, seines Zeichens einer von 13 außerehelichen Nachkommen des Grafen Meinhard II von Tirol – Gründervater der Grafschaft Tirol als eigenständiges Land um 1270. Diesem Schildhof gegenüber steht das sehenswerte Kirchlein Maria Lourdes aus dem Jahr 1890 mit holzgeschnitzter Grödner Madonna.
Insgesamt belegen also die Passeirer Schildhöfe eine interessante Zeugschaft aus der Zeit unserer frühesten Tiroler Ahnen im Gegensatz zum gegenwärtigen Lauf der Dinge.
von Jörg Bauer