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Essen, um zu leben

Essen ist mehr als satt werden. Das Wissen über Vielfalt und Nachhaltigkeit in der Produktion gerät in Vergessenheit. Am 16. Oktober ist Welternährungstag. Die oew-Organisation für Eine solidarische Welt bittet an den Tisch: Südtiroler Hersteller von biologischem Obst und Gemüse tauschen sich mit Einkäufern und Abnehmern aus der gehobenen Gastronomie aus.

Ein Gespräch über schwierige Anfänge, wahren Genuss und das, was Hoffnung macht.

Günther Mittersteiner ist gelernter Tischler und bäuerlicher Quereinsteiger. Nach dem Tod seines Großvaters begann er 1995, am Kreuzwiesenhof in Lana auf einem Hektar Grund Äpfel zu pflanzen. 1996 schloss er sich dem Verband Bioland an, pachtete Grund dazu und baut heute Gemüse und Äpfel an. Er möchte demnächst auf die Richtlinien von Demeter umstellen, den Qualitätsführer in Bio. Gemeinsam mit Markus Braun startete er 1999 das Projekt „Biokistl“: Von neun Bauern gegründet, belieferte die Genossenschaft anfangs wöchentlich 36 Abnehmer mit Bio-Obst und -gemüse, heute sind es in Spitzenzeiten wöchentlich bis zu 1500 Empfänger. Mittersteiner ist der größte Hersteller des „Biokistl“, das seine Produkte auch in seinen Geschäften in Meran, Lana und Auer anbietet. Biokistl kauft vor allem im Winter Produkte von zertifizierten Biobetrieben zu und legt dabei Wert, dass die Fahrtwege kurz bleiben.

Anna Matscher, ausgebildete Masseurin, brachte sich ab 1987 autodidaktisch und mit viel Ausdauer das Kochen selbst bei. Gemeinsam mit ihrem Mann Alois übernahm sie dessen elterlichen Hof in Tisens. Als Küchenmeisterin im Gasthaus „Zum Löwen“ ist sie Südtirols einzige Sterneköchin. Sie weiß um die Herkunft ihrer Produkte und setzt in ihrem Garten Kräuter und Gemüse an, die sie sonst nicht bekommt. Der Austausch mit den Anbauern und die Suche nach neuen und hochwertigen Produkten beanspruchen einen großen Teil ihrer Zeit. Ein ständiger Prozess sei das, sagt Anna Matscher. Aber er fördert ihre Kreativität und wirkt sich positiv auf das Ergebnis im Teller aus.

Herr Mittersteiner, was hat Sie bewogen, beim Anbau nach biologischen Kriterien zu arbeiten?

Biobauer und Biokistlmitbegründer G. Mittersteiner und Sterneköchin Anna Matscher

Ich habe meine Kinder oft auf die Wiese mitgenommen, damit sie dort spielen konnten. Das hat mich zum Nachdenken über die eingesetzten Mittel gebracht und letztendlich zum Umstellen auf Bio bewogen. Abnahmesicherheit war unser Ziel, das „Biokistl“ als Genossenschaft die Idee von Markus Braun und mir. Gemeinsam mit anderen Bauern haben wir begonnen. Inzwischen wissen wir, dass sich die Erntezeit nicht mit der Abnahmezeit unserer Kunden deckt. Im Sommer versorgen sich viele Menschen aus dem eigenen Garten, im Winter steigt dann die Nachfrage. Das stellt uns vor große Herausforderungen, vor allem was Lagerung und Zukauf angeht.

Wie gut kannten Sie sich im Gemüseanbau aus?
Wir wussten sehr wenig über Gemüse. Die Monokulturen verdrängen das Wissen über Getreideanbau und alte Sorten. Wir verlieren die Vielfalt und Nachhaltigkeit. Die Weltbevölkerung wächst, die Böden werden ungesünder, das kann auf Dauer nicht gutgehen. Dazu kommt, dass Bauern von den nie­dri­gen Lebensmittelpreisen nicht leben können.

Frau Matscher, Sie sind ständig auf der Suche nach neuen Produkten. Auf welche Schwierigkeiten treffen Sie?
Wir Köche tun uns beim Einkauf schwer. Ich bin manchmal gezwungen blind einzukaufen, weil aufgrund der langen Kreisläufe nichts Genaues über die Herkunft bekannt ist. Ich komme von einem Bauernhof und weiß aus meiner Kindheit, wie eine gute Karotte schmeckt. So weit wie möglich kaufe ich Bioprodukte. Ich bin froh, selbst einen großen Garten zu haben. Als Köchin brauche ich Vielfalt und Farbe. Ich ziehe meine Kräuter selbst, beim Gemüse wächst nur ein Bruchteil dessen, was ich in der Küche brauche. Trotzdem freue ich mich über die große Vielfalt an Tomaten, Tomatillos, über den bunten Mangold, über Schwarzkohl, Grünkohl, Weißkohl, Zupfsalate, Rettichschoten oder Minigurken.

Wie kontrollieren Sie die Qualität?
Ich merke den Unterschied: ob eine Tomate unter Nylon oder unter freiem Himmel gezogen wurde. Mein Geschmackssinn hat sich verfeinert. Und ich kenne meine Lieferanten und ihre Anbaumethoden. Das ist mir wichtig. Ich suche das, was andere nicht haben.
Günther Mittersteiner: Leider verlangen die Leute, dass das Gemüse perfekt ausschaut, dass es lange hält und einen guten Geschmack hat. Was dem nicht entspricht, ist unverkäuflich. Vor allem Obstsorten wie Erdbeeren, Pfirsiche oder Nektarinen sind unbehandelt viel empfindlicher und faulen schneller. Wir ziehen manche alte Sorten selbst und  haben eine große Auswahl an Tomaten. Aber leider wollen viele Verbraucher nur die ihnen bekannten Strauchtomaten. Es braucht aufgeschlossene Kunden, die unbekannte und alte Sorten schätzen und Neues wagen.

Gespannt folgen Günther und Theresia Mittersteiner den Erklärungen der Sterneköchin

Anna Matscher: Mir ist es wichtig, dass die Produkte einen Eigengeschmack haben. In unserer Küche verkochen wir nur frische Lebensmittel. Wir backen das Brot selbst, nutzen dafür Roggen- und Weizenvollkornmehl oder Schwarzpolenta.

Ist Bio teurer?
Es geht um eine persönliche Einstellung. Mein Beruf hat das noch verstärkt. Ich kaufe einheimisches Fleisch und verarbeite das gesamte  Tier. Mein Mann und ich, aber auch unsere Gäste wissen: Hochwertige Produkte kosten mehr.

Günther Mittersteiner: Bei der Gründung des „Biokistl“ war es unser Ziel, Zwischenhändler zu umgehen. Wir wollten den Bauern faire Preise garantieren. Wir haben aber gemerkt: Bei Lebensmitteln sparen die Menschen. Aber man kann auch mit wenig Geld Bio kaufen. Wichtig ist, dass man auf Primärprodukte zurückgreift, wenn man das Getreide kauft und das Brot selbst bäckt. Dafür braucht es mehr Zeit, aber man muss auf Qualität nicht verzichten.

Was macht Ihnen Hoffnung?
Anna Matscher: Ich setze auf die nächste Generation. Junge Menschen denken neu. Umwelt und Nachhaltigkeit sind ihnen wichtig, sie wollen nicht mehr nur arbeiten, sie führen einen reduzierten Lebensstil und genießen das Leben mehr. Zu den Kochkursen, die wir veranstalten, kommen immer mehr junge Männer. Das Interesse an gesunder Küche und an Vielfalt wächst.

Günther Mittersteiner: Auch ich nehme bei jungen Bauern eine neue Generation wahr, die sich für das Alte interessiert. Es gibt vielleicht 1.000 verschiedene Paprika, wir aber ziehen nur ein paar, weil sie uns bekannt sind oder dem Auge gefallen. Oft bleiben bei uns ältere Menschen stehen, erkennen alte Sorten wieder und freuen sich. Grundsätzlich gilt: Wenn das Interesse nicht da ist, geht das Wissen verloren. Wenn das Wissen verloren geht, verschwinden die alten Sorten. Und die Vielfalt verliert.

von  Maria Lobis