Pariser Vertrag bleibt aktuell

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Pariser Vertrag bleibt aktuell

Nach seinem 70. Geburtstag im vergangenen Jahr stand der Pariser Vertrag heute einmal mehr im Mittelpunkt einer Veranstaltung im Palais Widmann in Bozen.

„Die internationale Verankerung einer Autonomie gibt den betroffenen Minderheiten die Gewähr, dass der Staat, in dem sie leben, die Schutzregelungen nicht einseitig abändern oder gar ganz aufheben kann“, mit diesen Worten brachte heute (19. Oktober) Landeshauptmann Arno Kompatscher bei der Veranstaltung „70 Jahre Pariser Vertrag – Fakten, Folgen, Fragen“ im Palais Widmann in Bozen die Bedeutung des Pariser Vertrags auf den Punkt.  Aus verschiedenen Perspektiven wurde bei der heutigen Veranstaltung in Anwesenheit zahlreicher Spitzenvertreter aus Politik, Verwaltung und Gerichtswesen auf den Pariser Vertrag geblickt. Zum einen wurde der von der Universität Innsbruck anlässlich der 70 Jahre Pariser Vertrag herausgebrachte Band vorgestellt, zum anderen beleuchteten Verfassungsrichterin Daria de Pretis und der Völkerrechtsexperte Walter Obwexer aktuelle Fragestellungen zum Pariser Vertrag.   Die Autonomie, betonte in seiner Einführung Landeshauptmann Kompatscher, die den in Südtirol lebenden Minderheiten deutscher und ladinischer Sprache zugestanden wurde, sei durch das Pariser Abkommen völkerrechtlich verankert, Österreich könne in Ausübung seiner Schutzfunktion die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen durch Italien verlangen, Änderungen der Autonomie seien nur im gegenseitigen bilateralen Einvernehmen völkerrechtskonform. Der Landeshauptmann blickte heute auch auf die derzeitige Konfliktsituation in Katalonien. „Im Unterschied zu Südtirol verfügen die Katalanen in Katalonien über keine international abgesicherte Autonomie“, zog Südtirols Landeshauptmann den Vergleich, „deshalb kann der Zentralstaat die autonomen Befugnisse mit Verfassungsmehrheit völkerrechtskonform einschränken oder sogar ganz aufheben.“ Als mögliche Lösung sprach sich Kompatscher für die – bereits vom Präsidenten Kataloniens geforderte – „internationale Vermittlung“ aus. Diese sollte nicht nur einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss verhandelt, sondern auch für dessen Einhaltung Verantwortung übernehmen. Damit würde die Autonomie Kataloniens „internationalisiert“. Den Katalanen würde eine gewisse Garantie für ihre Selbständigkeit geboten.Landeshauptmann Kompatscher sieht darin eine Möglichkeit, „die derzeit vom Völkerrecht nicht gedeckten Sezessionsbestrebungen in rechtskonforme Bahnen zu lenken“. Südtirols Autonomie könnte dabei als Beispiel dienen.Südtirol Aufgabe sieht der Landeshauptmann darin, „die international verankerte Autonomie den sich stets rascher ändernden Rahmenbedingungen anzupassen und als ‚dynamische Autonomie‚ weiter auszubauen“.

„70 Jahre Pariser Vertrag“ erschienen
Der Rektor der Universität Innsbruck, Tilman Märk, und die aus Kastelruth stammende Historikerin der Uni Innsbruck, Eva Pfanzelter, stellten anschließend den Band „70 Jahre Pariser Vertrag“ vor. Er ist das Ergebnis zweier wissenschaftlicher Tagungen, die das Land Südtirol und die Universität Innsbruck im vergangenen Jahr veranstaltet hatten, um eine Bewertung der Ereignisse der damaligen Zeit sowohl aus geschichtswissenschaftlicher als auch aus rechtswissenschaftlicher Perspektive zu ermöglichen. Erstere umfasst die Vor-, Ereignis- und Nachgeschichte, letztere ist der Entwicklung des völkerrechtlichen Minderheitenschutzes in Europa, der Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Minderheitenschutzes in Italien, der europäischen Integration und dem EU-Beitritt Österreichs, der Ausübung der Schutzfunktion Österreichs und der regionalen Kooperation in der EU am Beispiel der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino gewidmet. Zusammenfassend könne man sagen, erklärte die Historikerin Pfanzelter, „das Gruber-Degasperi-Abkommen und das Autonomiestatut sind die Magna Charta der Südtirol-Autonomie“.

Pariser Vertrag in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts
Welche Rolle der Pariser Vertrag in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts gespielt hat und spielt, darauf ging die Verfasssungsrichterin und ehemalige Rektorin der Universität Trient, Daria de Pretis, ein. Sie erinnerte daran, dass der Pariser Vertrag in einem Dutzend von Urteilen des Verfassungsgerichts aus den 1960er bis 1980er Jahren erwähnt wird und zeigte vor allem anhand der Urteile über den Sprachgebrauch (Nr. 62/1960) und eines Verfassungsgerichtsurteils aus dem Jahr 1989 die Bedeutung des internationalen Abkommens für die Autonomie und den Minderheitenschutz auf. „Bewunderung für den Weitblick“ drückte die Verfassungsrichterin den Unterzeichnern des Abkommes angesichts der nach wie vor großen politischen Wirksamkeit des Gruber-Degasperi-Abkommens aus.

Pariser Vertrag nach 25 Jahren Streitbeilegung
Wie sich die Streitbeilegung auf den Pariser Vertrag ausgewirkt hat, analysierte abschließend der Südtiroler Völker- und Europarechtsexperte Walter Obwexer. „Mit der Streitbeendigungserklärung vom 11. Juni 1992 wurde einerseits der erreichte Stand der Autonomie völkerrechtlich festgeschrieben, andererseits die im Pariser Vertrag grundgelegte Zielsetzung einer weitestgehenden Verwirklichung der Autonomie und des Schutzes der begünstigten Volksgruppen bekräftigt sowie zu deren Erreichung der Grundsatz des politischen Konsenses zwischen der Zentralregierung und den betroffenen Volksgruppen völkerrechtlich akkordiert“, betonte Obwexer. Die Herausforderungen für die Zukunft der Autonomie liegen laut Obwexer zum einen darin, „die seit 1992 erfolgten Einschränkungen von autonomen Kompetenzen, die ohne Zustimmung der Schutzmacht Österreich vorgenommen wurden, wieder rückgängig zu machen oder aufzuheben“, sowie die Autonomie weiter auszubauen, wobei der einvernehmlichen bilateralen Vorgangsweise besondere Bedeutung zukomme.

(jw)